Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Gin Frauenberuf tieferes Versinken in Schamlosigkeit und Elend." Nun ist zwar Professor Ritterliche Rücksicht auf die Frauen fordert und Vertrauen auf ihre Hoch ist das Ziel und unmeßbar und daher leicht verkennbar der Erfolg. Die Frauen miisseu den Kampf gegen die Herabwürdigung ihrer Schwestern Soll das Gespinst zur Linderung und Heilung auf eine tiefe Wunde der Gin Frauenberuf tieferes Versinken in Schamlosigkeit und Elend." Nun ist zwar Professor Ritterliche Rücksicht auf die Frauen fordert und Vertrauen auf ihre Hoch ist das Ziel und unmeßbar und daher leicht verkennbar der Erfolg. Die Frauen miisseu den Kampf gegen die Herabwürdigung ihrer Schwestern Soll das Gespinst zur Linderung und Heilung auf eine tiefe Wunde der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302235"/> <fw type="header" place="top"> Gin Frauenberuf</fw><lb/> <p xml:id="ID_1084" prev="#ID_1083"> tieferes Versinken in Schamlosigkeit und Elend." Nun ist zwar Professor<lb/> von Bergmann aus ritterlicher Rücksicht auf die Frauen ein ausgesprochner Gegner<lb/> des medizinischen Studiums der Frauen: „Die Kämpfe mit den Erregungen,<lb/> Verantwortungen und Verzweiflungen eines Arztes will ich ihnen nicht zumuten,<lb/> denn dazu schätzeich die Frauen viel zu hoch." Dagegen baut Professor Lassar<lb/> auf die Kraft, die Krankenschwestern und Hebammen im Ertragen der auch ihnen<lb/> nicht erspart bleibenden Erregungen, Verantwortungen und Verzweiflungen be¬<lb/> währen, und erinnert daran, daß auch das Leben andrer arbeitender Frauen an<lb/> Erregungen und Anstrengungen reich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1085"> Ritterliche Rücksicht auf die Frauen fordert und Vertrauen auf ihre<lb/> Leistungsfähigkeit empfiehlt die Anstellung von Polizeiassistentinnen und Polizei¬<lb/> ärztinnen. Man wende den armen, über die Kraft ihrer schwachen Schultern<lb/> mit Leid und Not beladnen Verlornen ein bißchen Rücksicht zu, sie siud auch<lb/> Frauen, und man baue mit einigem Vertrauen auf die Geistes- und Gemütskraft<lb/> der wohlbchüteten, bewährten, reinen Frauen, nachdem man so lang, allzulang,<lb/> ohne sich zu beunruhigen, furchtbare Erregungen und Verzweiflung auf schlecht¬<lb/> behüteten, verirrten, verführten und dann als unrein verstoßnen Schwestern hat<lb/> lasten lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1086"> Hoch ist das Ziel und unmeßbar und daher leicht verkennbar der Erfolg.<lb/> Auch die schüchternste Hoffnung auf Befreiung, auch das schwächste Sehnen nach<lb/> Reinigung und Reinheit dürfen nicht verkümmern, sondern müssen an der Stätte,<lb/> wo den Verlornen die Gesellschaft rügend und strafend entgegentritt, Nahrung<lb/> finden. Könnte man die Zahl der Männer feststellen, die durch ihre Frauen<lb/> vor dem gänzlichen Untergang bewahrt werden, so erschiene die Forderung, den<lb/> Tausenden von Frauen, die die Genossinnen der Schuld, oft auch die Opfer<lb/> jener Männer sind, und denen die gesellschaftliche Rehabilitierung und die Ent-<lb/> führung durch eine reine Ehe versagt ist, ein paar gütige Herzen entgegenzu¬<lb/> senden, recht bescheiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1087"> Die Frauen miisseu den Kampf gegen die Herabwürdigung ihrer Schwestern<lb/> in Deutschland fast allein führen. Dies hat die Kämpferinnen verbittert, und<lb/> ihre Verbitterung äußert sich bisweilen in Übertreibungen, die ihnen gläubige Hörer<lb/> und willige Helfer raubt. So schließt Dr. Käthe Schirmacher die Anzeige der<lb/> Beichte einer Gefallnen in der Zeitschrift „Der Abolitionist" mit folgenden<lb/> Sätzen, in denen sich Wahrheit und Übertreibung mischen: „Die »Beichte« ist eine<lb/> Widerlegung der angeblich herrschenden Monogamie der Kulturstaaten; sie be¬<lb/> stätigt in ganz ungesuchter Weise die gewohnheitsmäßige »Unreinheit« des Mannes<lb/> und die stille Freimaurerei aller Männer. Sie zerstört eine Lebenslüge und<lb/> schafft eine Wahrheit. Nur zu einer Erkenntnis hat die Beichtende sich nicht<lb/> erhoben: mit welchem Recht die Welt sie denn eine Gefallene nennt? Auf diesem<lb/> Punkt versagt ihre Urteilskraft. Andere werden hier weiterspinnen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Soll das Gespinst zur Linderung und Heilung auf eine tiefe Wunde der<lb/> menschlichen Gesellschaft gelegt werden, so darf es nicht in Gift getaucht sein.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
Gin Frauenberuf
tieferes Versinken in Schamlosigkeit und Elend." Nun ist zwar Professor
von Bergmann aus ritterlicher Rücksicht auf die Frauen ein ausgesprochner Gegner
des medizinischen Studiums der Frauen: „Die Kämpfe mit den Erregungen,
Verantwortungen und Verzweiflungen eines Arztes will ich ihnen nicht zumuten,
denn dazu schätzeich die Frauen viel zu hoch." Dagegen baut Professor Lassar
auf die Kraft, die Krankenschwestern und Hebammen im Ertragen der auch ihnen
nicht erspart bleibenden Erregungen, Verantwortungen und Verzweiflungen be¬
währen, und erinnert daran, daß auch das Leben andrer arbeitender Frauen an
Erregungen und Anstrengungen reich ist.
Ritterliche Rücksicht auf die Frauen fordert und Vertrauen auf ihre
Leistungsfähigkeit empfiehlt die Anstellung von Polizeiassistentinnen und Polizei¬
ärztinnen. Man wende den armen, über die Kraft ihrer schwachen Schultern
mit Leid und Not beladnen Verlornen ein bißchen Rücksicht zu, sie siud auch
Frauen, und man baue mit einigem Vertrauen auf die Geistes- und Gemütskraft
der wohlbchüteten, bewährten, reinen Frauen, nachdem man so lang, allzulang,
ohne sich zu beunruhigen, furchtbare Erregungen und Verzweiflung auf schlecht¬
behüteten, verirrten, verführten und dann als unrein verstoßnen Schwestern hat
lasten lassen.
Hoch ist das Ziel und unmeßbar und daher leicht verkennbar der Erfolg.
Auch die schüchternste Hoffnung auf Befreiung, auch das schwächste Sehnen nach
Reinigung und Reinheit dürfen nicht verkümmern, sondern müssen an der Stätte,
wo den Verlornen die Gesellschaft rügend und strafend entgegentritt, Nahrung
finden. Könnte man die Zahl der Männer feststellen, die durch ihre Frauen
vor dem gänzlichen Untergang bewahrt werden, so erschiene die Forderung, den
Tausenden von Frauen, die die Genossinnen der Schuld, oft auch die Opfer
jener Männer sind, und denen die gesellschaftliche Rehabilitierung und die Ent-
führung durch eine reine Ehe versagt ist, ein paar gütige Herzen entgegenzu¬
senden, recht bescheiden.
Die Frauen miisseu den Kampf gegen die Herabwürdigung ihrer Schwestern
in Deutschland fast allein führen. Dies hat die Kämpferinnen verbittert, und
ihre Verbitterung äußert sich bisweilen in Übertreibungen, die ihnen gläubige Hörer
und willige Helfer raubt. So schließt Dr. Käthe Schirmacher die Anzeige der
Beichte einer Gefallnen in der Zeitschrift „Der Abolitionist" mit folgenden
Sätzen, in denen sich Wahrheit und Übertreibung mischen: „Die »Beichte« ist eine
Widerlegung der angeblich herrschenden Monogamie der Kulturstaaten; sie be¬
stätigt in ganz ungesuchter Weise die gewohnheitsmäßige »Unreinheit« des Mannes
und die stille Freimaurerei aller Männer. Sie zerstört eine Lebenslüge und
schafft eine Wahrheit. Nur zu einer Erkenntnis hat die Beichtende sich nicht
erhoben: mit welchem Recht die Welt sie denn eine Gefallene nennt? Auf diesem
Punkt versagt ihre Urteilskraft. Andere werden hier weiterspinnen."
Soll das Gespinst zur Linderung und Heilung auf eine tiefe Wunde der
menschlichen Gesellschaft gelegt werden, so darf es nicht in Gift getaucht sein.
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