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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Lin Frauenberuf

führe. Es sei fleißig, ehrlich und solide, und sie sei mir sehr dankbar für die
Empfehlung.

Ein anderes Mädchen, das ich in Stellung gebracht, bringt mir jeden ersten
des Monats ihren Lohn in Verwahrung, von dem ich ihr dann die notwendige
Kleidung besorge, besucht mich an jedem ihrer freien Tage und beweist mir
durch viele kleine Aufmerksamkeiten eine rührende Anhänglichkeit.

Meine Korrespondenz mit meinen Schützlingen sowohl als mit deren An¬
gehörigen ist eine außerordentlich rege. Oft erhalte ich auch wohl Butter, Eier,
selbstgebackenes Brot, eine kleine Handarbeit oder gar 20 oder 50 Pfennige
fein verpackt aus der Ferne als Zeichen der Dankbarkeit.

Sehr oft werde ich in den verschiedensten Angelegenheiten um Rat gefragt,
und es werden mir Geständnisse gemacht, die mich in direkten Konflikt mit
meiner Stellung als Polizei-Beamtin bringen. So kam eines Abends heimlich
ein Mädchen zu einer Besprechung zu mir, das Hierselbst Stadtverbot hat, somit
jeden Moment festgenommen werden konnte und mich durch ihren Besuch in die
größte Verlegenheit versetzte."

Wem schadet diese Tätigkeit? In wessen Amtsbefugnisse greift sie ein?
Wessen Laufbahn wird durch die neue Amtsgenossin verkürzt? Als die Frauen
Zutritt zu der ehrenamtlichen und zu der besoldeten Armenpflege verlangten,
leisteten am längsten die Armenpfleger Widerstand, "von denen viele eine Er¬
schwerung ihrer Amtsgeschäfte fürchteten und mit Amtsniederlegung drohten,
falls neben ihnen auch Frauen die Tugenden der heiligen Elisabeth üben sollten".
Solchen Widerstand haben die Polizeiassistentinnen, die hoffentlich bald in allen
größern deutschen Städten ihre Tätigkeit beginnen werden, von den Polizei¬
beamten nicht zu fürchten. Sie kommen, mögen sie nun Krankenpflegerinnen von
Beruf sein oder nicht, zur Pflege und Rettung kranker Töchter unsers Volks.

Zwischen Ärzten und Schwestern besteht eine ans der höchsten Achtung und
auf dem gemeinsamen Liebeswerk begründete Kameradschaft, die ich erst vor
wenig Wochen am letzten Krankenlager meiner Frau beobachtet habe. Von den
Ärzten droht kein Widerstand gegen das Zusammenarbeiten mit Polizeiassisten¬
tinnen. Von den Ärzten wird anch kein Einspruch erhoben werden, wenn das
medizinische Studium der Frauen ihnen eine Anzahl von tüchtigen Kolleginnen
für die Untersuchung und Behandlung der weiblichen Gefangnen und besonders
der Prostituierten an die Seite stellt. Minister Bosse sagt an der oben ange¬
führten Stelle: "Noch viel wichtiger (als die Rücksicht auf Frauen, die die
Scham davon abhält, einen Arzt zu befragen) ist die ärztliche Untersuchung der
Prostituierten. Will man die Scham bei diesen in den tiefsten Abgrund des
Elends gefallnen, beklagenswerten Frauen wiederherstellen, so muß man ihnen
die Brutalität erspare", vou einem Manne untersucht zu werden. Zu retten
sind diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an,
wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten
in Verbindung bringt. Die Untersuchung durch den Arzt bedeutet jedesmal ein


Lin Frauenberuf

führe. Es sei fleißig, ehrlich und solide, und sie sei mir sehr dankbar für die
Empfehlung.

Ein anderes Mädchen, das ich in Stellung gebracht, bringt mir jeden ersten
des Monats ihren Lohn in Verwahrung, von dem ich ihr dann die notwendige
Kleidung besorge, besucht mich an jedem ihrer freien Tage und beweist mir
durch viele kleine Aufmerksamkeiten eine rührende Anhänglichkeit.

Meine Korrespondenz mit meinen Schützlingen sowohl als mit deren An¬
gehörigen ist eine außerordentlich rege. Oft erhalte ich auch wohl Butter, Eier,
selbstgebackenes Brot, eine kleine Handarbeit oder gar 20 oder 50 Pfennige
fein verpackt aus der Ferne als Zeichen der Dankbarkeit.

Sehr oft werde ich in den verschiedensten Angelegenheiten um Rat gefragt,
und es werden mir Geständnisse gemacht, die mich in direkten Konflikt mit
meiner Stellung als Polizei-Beamtin bringen. So kam eines Abends heimlich
ein Mädchen zu einer Besprechung zu mir, das Hierselbst Stadtverbot hat, somit
jeden Moment festgenommen werden konnte und mich durch ihren Besuch in die
größte Verlegenheit versetzte."

Wem schadet diese Tätigkeit? In wessen Amtsbefugnisse greift sie ein?
Wessen Laufbahn wird durch die neue Amtsgenossin verkürzt? Als die Frauen
Zutritt zu der ehrenamtlichen und zu der besoldeten Armenpflege verlangten,
leisteten am längsten die Armenpfleger Widerstand, „von denen viele eine Er¬
schwerung ihrer Amtsgeschäfte fürchteten und mit Amtsniederlegung drohten,
falls neben ihnen auch Frauen die Tugenden der heiligen Elisabeth üben sollten".
Solchen Widerstand haben die Polizeiassistentinnen, die hoffentlich bald in allen
größern deutschen Städten ihre Tätigkeit beginnen werden, von den Polizei¬
beamten nicht zu fürchten. Sie kommen, mögen sie nun Krankenpflegerinnen von
Beruf sein oder nicht, zur Pflege und Rettung kranker Töchter unsers Volks.

Zwischen Ärzten und Schwestern besteht eine ans der höchsten Achtung und
auf dem gemeinsamen Liebeswerk begründete Kameradschaft, die ich erst vor
wenig Wochen am letzten Krankenlager meiner Frau beobachtet habe. Von den
Ärzten droht kein Widerstand gegen das Zusammenarbeiten mit Polizeiassisten¬
tinnen. Von den Ärzten wird anch kein Einspruch erhoben werden, wenn das
medizinische Studium der Frauen ihnen eine Anzahl von tüchtigen Kolleginnen
für die Untersuchung und Behandlung der weiblichen Gefangnen und besonders
der Prostituierten an die Seite stellt. Minister Bosse sagt an der oben ange¬
führten Stelle: „Noch viel wichtiger (als die Rücksicht auf Frauen, die die
Scham davon abhält, einen Arzt zu befragen) ist die ärztliche Untersuchung der
Prostituierten. Will man die Scham bei diesen in den tiefsten Abgrund des
Elends gefallnen, beklagenswerten Frauen wiederherstellen, so muß man ihnen
die Brutalität erspare», vou einem Manne untersucht zu werden. Zu retten
sind diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an,
wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten
in Verbindung bringt. Die Untersuchung durch den Arzt bedeutet jedesmal ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/246>, abgerufen am 06.02.2025.