Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Gin Frauenberuf Arbeit im ersten Jahre nur 10 Gerettete. Die Arbeit wuchs. Vom 1. De¬ Das "nur", das ich oben zu der Zahl der im ersten Jahre Geretteten Das animalische Leben des Menschen steht hoch im Preise, sein Seelen¬ Gin Frauenberuf Arbeit im ersten Jahre nur 10 Gerettete. Die Arbeit wuchs. Vom 1. De¬ Das „nur", das ich oben zu der Zahl der im ersten Jahre Geretteten Das animalische Leben des Menschen steht hoch im Preise, sein Seelen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302231"/> <fw type="header" place="top"> Gin Frauenberuf</fw><lb/> <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> Arbeit im ersten Jahre nur 10 Gerettete. Die Arbeit wuchs. Vom 1. De¬<lb/> zember 1903 ab gab der Stuttgarter Gemeinderat der Polizeiassistentin für<lb/> jeden zweiten Sonntag sowie für besonders arbeitsreiche Tage eine zweite be¬<lb/> währte Schwester des Hilfspflegerinnenverbaudes als Gehilfin an die Seite.<lb/> Im zweiten Jahre ihrer Tätigkeit, 1904, brachte die Polizciassistentin 28 ihrer<lb/> Schützlinge in die Heimat, 84 in Rettungshäuser, 16 in Stellung. Sie berichtet<lb/> unter anderm: „Selbst bei solchen Personen, welche als rückfällig gelten, macht<lb/> man oft die Erfahrung, daß nicht alle Mühe vergebens war. Es kommt sogar vor,<lb/> daß Personen, welche selbst unverbesserlich scheinen, bitten, daß man sich um andere<lb/> jüngere Mädchen annehmen möge, damit sie nicht so tief sinken wie sie." Im<lb/> dritten Jahre brachte die Retterin 114 weibliche Personen in ein von ihr ge¬<lb/> gründetes Vorasyl, 33 in das katholische Vorasyl, 12 in die Armenbeschäftigungs¬<lb/> anstalt, 8 in die Irrenabteilung des Bürgerhospitals, 43 in Rettungsanstaltcn,<lb/> 45 in die Heimat, 40 in Stellung und übergab 187 andrer Fürsorge. Sie<lb/> erzählt in ihrem Bericht über das Jahr 1905: „Die Mädchen, welche gerne die<lb/> rettende Hand ergriffen, wurden in der Regel zuerst in ein (am 1. Juni 1904<lb/> von der Polizciassistentin gegründetes) Vvrasyl aufgenommen. ... So kam ein<lb/> bereits tief gesunkenes Mädchen von fünfundzwanzig Jahren und bat, ihr zur<lb/> Umkehr von dem schlechten Leben behilflich zu sein. Sie blieb, da sie sehr<lb/> leidend war, vierzehn Tage im Vorasyl und wurde dann von dort in ihre<lb/> Heimat gebracht. Ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen, welches eine längere Ge¬<lb/> fängnisstrafe wegen schweren Diebstahls verbüßt hatte, kam von der Strafanstalt<lb/> zu der Polizeiassistentin mit der Bitte, sich ihrer anzunehmen. Sie wurde in<lb/> dem katholischen Vorasyl untergebracht und kam von dort in Stellung, wo sie<lb/> sich bis jetzt bewährt hat."</p><lb/> <p xml:id="ID_1069"> Das „nur", das ich oben zu der Zahl der im ersten Jahre Geretteten<lb/> gesetzt habe, soll nicht Unzufriedenheit mit der Arbeit, sondern nur mit dem vou<lb/> vielen andern Umständen abhängigen Erfolg ausdrücken. Die Menschenfreundin,<lb/> die diese Arbeit geleistet hat, wäre sicher, wie wir, auch einer Geretteten froh,<lb/> aber mit hundert nicht zufrieden. Ich muß bei diesen Zahlen an die Tätigkeit<lb/> der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger denken. Von Borkum bis<lb/> Nimmersatt zieht sich über unsre Küsten ein kostspieliger Nettungsavparat.<lb/> Opferwilligkeit, nicht selten heldenhafter Opfermut setzt ihn in Bewegung, und<lb/> am Ende eines Jahres haben Fürsorge, Opferwilligkeit und Heldenmut an der<lb/> ganzen langen Küste 109. 80, 82 Menschenleben gerettet. Froh muß man der<lb/> Geretteten, stolz muß man auf die Retter sein, ihrem Heldenmut hätte man noch<lb/> größern Erfolg gewünscht, aber niemand wird finden, daß sich die kostspielige<lb/> Einrichtung nicht rentiere.</p><lb/> <p xml:id="ID_1070" next="#ID_1071"> Das animalische Leben des Menschen steht hoch im Preise, sein Seelen¬<lb/> leben, seine Ehre nicht. Wenn die Mannschaft eiues Rettungsboots mit Lebens¬<lb/> gefahr ein Paar Prostituierte von dem Wrack eines Segelboots holt, wird ihre<lb/> Tat als Rettung von Menschenleben anerkannt. Mit Recht. Aber schätzt man</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Gin Frauenberuf
Arbeit im ersten Jahre nur 10 Gerettete. Die Arbeit wuchs. Vom 1. De¬
zember 1903 ab gab der Stuttgarter Gemeinderat der Polizeiassistentin für
jeden zweiten Sonntag sowie für besonders arbeitsreiche Tage eine zweite be¬
währte Schwester des Hilfspflegerinnenverbaudes als Gehilfin an die Seite.
Im zweiten Jahre ihrer Tätigkeit, 1904, brachte die Polizciassistentin 28 ihrer
Schützlinge in die Heimat, 84 in Rettungshäuser, 16 in Stellung. Sie berichtet
unter anderm: „Selbst bei solchen Personen, welche als rückfällig gelten, macht
man oft die Erfahrung, daß nicht alle Mühe vergebens war. Es kommt sogar vor,
daß Personen, welche selbst unverbesserlich scheinen, bitten, daß man sich um andere
jüngere Mädchen annehmen möge, damit sie nicht so tief sinken wie sie." Im
dritten Jahre brachte die Retterin 114 weibliche Personen in ein von ihr ge¬
gründetes Vorasyl, 33 in das katholische Vorasyl, 12 in die Armenbeschäftigungs¬
anstalt, 8 in die Irrenabteilung des Bürgerhospitals, 43 in Rettungsanstaltcn,
45 in die Heimat, 40 in Stellung und übergab 187 andrer Fürsorge. Sie
erzählt in ihrem Bericht über das Jahr 1905: „Die Mädchen, welche gerne die
rettende Hand ergriffen, wurden in der Regel zuerst in ein (am 1. Juni 1904
von der Polizciassistentin gegründetes) Vvrasyl aufgenommen. ... So kam ein
bereits tief gesunkenes Mädchen von fünfundzwanzig Jahren und bat, ihr zur
Umkehr von dem schlechten Leben behilflich zu sein. Sie blieb, da sie sehr
leidend war, vierzehn Tage im Vorasyl und wurde dann von dort in ihre
Heimat gebracht. Ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen, welches eine längere Ge¬
fängnisstrafe wegen schweren Diebstahls verbüßt hatte, kam von der Strafanstalt
zu der Polizeiassistentin mit der Bitte, sich ihrer anzunehmen. Sie wurde in
dem katholischen Vorasyl untergebracht und kam von dort in Stellung, wo sie
sich bis jetzt bewährt hat."
Das „nur", das ich oben zu der Zahl der im ersten Jahre Geretteten
gesetzt habe, soll nicht Unzufriedenheit mit der Arbeit, sondern nur mit dem vou
vielen andern Umständen abhängigen Erfolg ausdrücken. Die Menschenfreundin,
die diese Arbeit geleistet hat, wäre sicher, wie wir, auch einer Geretteten froh,
aber mit hundert nicht zufrieden. Ich muß bei diesen Zahlen an die Tätigkeit
der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger denken. Von Borkum bis
Nimmersatt zieht sich über unsre Küsten ein kostspieliger Nettungsavparat.
Opferwilligkeit, nicht selten heldenhafter Opfermut setzt ihn in Bewegung, und
am Ende eines Jahres haben Fürsorge, Opferwilligkeit und Heldenmut an der
ganzen langen Küste 109. 80, 82 Menschenleben gerettet. Froh muß man der
Geretteten, stolz muß man auf die Retter sein, ihrem Heldenmut hätte man noch
größern Erfolg gewünscht, aber niemand wird finden, daß sich die kostspielige
Einrichtung nicht rentiere.
Das animalische Leben des Menschen steht hoch im Preise, sein Seelen¬
leben, seine Ehre nicht. Wenn die Mannschaft eiues Rettungsboots mit Lebens¬
gefahr ein Paar Prostituierte von dem Wrack eines Segelboots holt, wird ihre
Tat als Rettung von Menschenleben anerkannt. Mit Recht. Aber schätzt man
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