Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß Wer kann alle die fremden Offiziere kennen! Na hör Er, den alten Blücher kennt doch jedes Kind. Das war der Blücher? Kein andrer. Herr des Himmels, dann muß er seinen Taler wieder kriegen! Und ehe der Kann Er mir wohl sagen, ob in diesem Hause Herr Immanuel Gerlach, der Immanuel Gerlach? Der bin ich selbst. Seine Majestät der Kaiser aller Reußen wünschen von Ihm rasiert zu werden Er öffnete den Schlag und lud den Alten durch eine Handbewegung zum Dem guten Meister drohten einen Augenblick lang die Sinne zu schwinden, Wie kam er, der einfache bescheidne Mann, der sein Leben lang nur kleine Über diesen Erwägungen gewann der Alte seine Fassung wieder, rasierte, als Die Haselnuß Wer kann alle die fremden Offiziere kennen! Na hör Er, den alten Blücher kennt doch jedes Kind. Das war der Blücher? Kein andrer. Herr des Himmels, dann muß er seinen Taler wieder kriegen! Und ehe der Kann Er mir wohl sagen, ob in diesem Hause Herr Immanuel Gerlach, der Immanuel Gerlach? Der bin ich selbst. Seine Majestät der Kaiser aller Reußen wünschen von Ihm rasiert zu werden Er öffnete den Schlag und lud den Alten durch eine Handbewegung zum Dem guten Meister drohten einen Augenblick lang die Sinne zu schwinden, Wie kam er, der einfache bescheidne Mann, der sein Leben lang nur kleine Über diesen Erwägungen gewann der Alte seine Fassung wieder, rasierte, als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302198"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_951"> Wer kann alle die fremden Offiziere kennen!</p><lb/> <p xml:id="ID_952"> Na hör Er, den alten Blücher kennt doch jedes Kind.</p><lb/> <p xml:id="ID_953"> Das war der Blücher?</p><lb/> <p xml:id="ID_954"> Kein andrer.</p><lb/> <p xml:id="ID_955"> Herr des Himmels, dann muß er seinen Taler wieder kriegen! Und ehe der<lb/> Schneider noch begriff, was geschah, stürzte Meister Immanuel die Treppe hinunter,<lb/> um den Marschall auf der Straße anzuhalten und ihm zu sagen, daß er von einem<lb/> solchen Helden keine Bezahlung nehme. Aber auf dem ganzen Neukirchhof war von<lb/> dem greisen Feldherrn nichts mehr zu sehn, und Gerlach mußte seinen Taler wohl<lb/> oder übel behalten. Als er noch in Gedanken versunken unter der Tür stand und<lb/> überlegte, ob er nicht den ersten besten preußischen Soldaten nach Blüchers Quartier<lb/> fragen sollte, kam eine von vier Rapphengsten gezogne prächtige Kutsche angefahren<lb/> und hielt gerade vor der Tür zu Meister Jmmcmuels Wohnung. Der Alte hatte<lb/> kaum Zeit, zu bemerken, daß der Wagenschlag mit einer Krone geschmückt war, als<lb/> schon ein in tscherkessische Tracht gekleideter Leibjäger vom Bock sprang und gerades¬<lb/> wegs auf ihn zutrat.</p><lb/> <p xml:id="ID_956"> Kann Er mir wohl sagen, ob in diesem Hause Herr Immanuel Gerlach, der<lb/> berühmte Barbier, wohnt? fragte er, indem er die Pelzmütze lüftete.</p><lb/> <p xml:id="ID_957"> Immanuel Gerlach? Der bin ich selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> Seine Majestät der Kaiser aller Reußen wünschen von Ihm rasiert zu werden<lb/> und lassen Ihn ersuchen, sich sogleich in Dero Quartier zu bemühn. Beliebe Er<lb/> gefälligst, in der Kutsche Platz zu nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_959"> Er öffnete den Schlag und lud den Alten durch eine Handbewegung zum<lb/> Einsteigen ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_960"> Dem guten Meister drohten einen Augenblick lang die Sinne zu schwinden,<lb/> dann aber faßte er sich und erklärte, daß er sofort mitkommen werde, zuvor aber<lb/> sein Rasierzeug holen müsse. Das sei nicht nötig, erklärte der Tscherkesse, Seine<lb/> Majestät sei mit allem versehen, und der diensttuende Kammerdiener werde ihm eine<lb/> ganze Sammlung der feinsten englischen Messer zur Verfügung stellen. Und ehe der<lb/> Alte noch etwas erwidern konnte, fühlte er sich in die Kutsche geschoben, die sich<lb/> sogleich in Bewegung setzte und, von allen Straßenpassanten angestaunt, der<lb/> Katharinenstraße zurollte. Immanuel war zumute, als ob er träume. Mit zitternden<lb/> Fingern betastete er den himmelblauen Damastüberzug des Polsters und getraute<lb/> sich kaum, durch die kristallklaren Fensterscheiben hinaus auf die Gasse zu schauen,<lb/> wo die Leute stehen blieben und ihn, den sie offenbar für einen hohen Würden¬<lb/> träger hielten, ehrerbietig grüßten.</p><lb/> <p xml:id="ID_961"> Wie kam er, der einfache bescheidne Mann, der sein Leben lang nur kleine<lb/> Leute, und wenn es hoch kam, einmal einen toten Ratsherrn barbiert hatte, zu diesem<lb/> unfaßbarer Glück? Sollte er es wirklich der unscheinbaren Haselnuß zu verdanken<lb/> haben, die er vor kaum einer Stunde halb widerwillig in seine Tasche versenkt<lb/> hatte? Wahrhaftig, es sah beinahe so aus, als ob der Talisman doch nicht so ganz<lb/> unwirksam sei. Aber — das Zeugnis konnte er sich selbst mit gutem Gewissen aus¬<lb/> stellen: sein Handwerk verstand er so gut wie jeder andre. Vielleicht sogar noch<lb/> besser. Daß bisher noch kein gekröntes Haupt seine Dienste in Anspruch genommen<lb/> hatte, war seine Schuld nicht. War es also wirklich ein so großes Wunder,<lb/> daß der russische Kaiser gerade nach ihm schickte?</p><lb/> <p xml:id="ID_962" next="#ID_963"> Über diesen Erwägungen gewann der Alte seine Fassung wieder, rasierte, als<lb/> er in den Gemächern des Kaisers angekommen war, seinen hohen Kunden mit nicht<lb/> geringerm Gleichmut, als ob er den Schneider aus dem dritten Stock unter den<lb/> Händen gehabt hätte, und steckte den goldnen Imperial, den ihm nach verrichteter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Die Haselnuß
Wer kann alle die fremden Offiziere kennen!
Na hör Er, den alten Blücher kennt doch jedes Kind.
Das war der Blücher?
Kein andrer.
Herr des Himmels, dann muß er seinen Taler wieder kriegen! Und ehe der
Schneider noch begriff, was geschah, stürzte Meister Immanuel die Treppe hinunter,
um den Marschall auf der Straße anzuhalten und ihm zu sagen, daß er von einem
solchen Helden keine Bezahlung nehme. Aber auf dem ganzen Neukirchhof war von
dem greisen Feldherrn nichts mehr zu sehn, und Gerlach mußte seinen Taler wohl
oder übel behalten. Als er noch in Gedanken versunken unter der Tür stand und
überlegte, ob er nicht den ersten besten preußischen Soldaten nach Blüchers Quartier
fragen sollte, kam eine von vier Rapphengsten gezogne prächtige Kutsche angefahren
und hielt gerade vor der Tür zu Meister Jmmcmuels Wohnung. Der Alte hatte
kaum Zeit, zu bemerken, daß der Wagenschlag mit einer Krone geschmückt war, als
schon ein in tscherkessische Tracht gekleideter Leibjäger vom Bock sprang und gerades¬
wegs auf ihn zutrat.
Kann Er mir wohl sagen, ob in diesem Hause Herr Immanuel Gerlach, der
berühmte Barbier, wohnt? fragte er, indem er die Pelzmütze lüftete.
Immanuel Gerlach? Der bin ich selbst.
Seine Majestät der Kaiser aller Reußen wünschen von Ihm rasiert zu werden
und lassen Ihn ersuchen, sich sogleich in Dero Quartier zu bemühn. Beliebe Er
gefälligst, in der Kutsche Platz zu nehmen.
Er öffnete den Schlag und lud den Alten durch eine Handbewegung zum
Einsteigen ein.
Dem guten Meister drohten einen Augenblick lang die Sinne zu schwinden,
dann aber faßte er sich und erklärte, daß er sofort mitkommen werde, zuvor aber
sein Rasierzeug holen müsse. Das sei nicht nötig, erklärte der Tscherkesse, Seine
Majestät sei mit allem versehen, und der diensttuende Kammerdiener werde ihm eine
ganze Sammlung der feinsten englischen Messer zur Verfügung stellen. Und ehe der
Alte noch etwas erwidern konnte, fühlte er sich in die Kutsche geschoben, die sich
sogleich in Bewegung setzte und, von allen Straßenpassanten angestaunt, der
Katharinenstraße zurollte. Immanuel war zumute, als ob er träume. Mit zitternden
Fingern betastete er den himmelblauen Damastüberzug des Polsters und getraute
sich kaum, durch die kristallklaren Fensterscheiben hinaus auf die Gasse zu schauen,
wo die Leute stehen blieben und ihn, den sie offenbar für einen hohen Würden¬
träger hielten, ehrerbietig grüßten.
Wie kam er, der einfache bescheidne Mann, der sein Leben lang nur kleine
Leute, und wenn es hoch kam, einmal einen toten Ratsherrn barbiert hatte, zu diesem
unfaßbarer Glück? Sollte er es wirklich der unscheinbaren Haselnuß zu verdanken
haben, die er vor kaum einer Stunde halb widerwillig in seine Tasche versenkt
hatte? Wahrhaftig, es sah beinahe so aus, als ob der Talisman doch nicht so ganz
unwirksam sei. Aber — das Zeugnis konnte er sich selbst mit gutem Gewissen aus¬
stellen: sein Handwerk verstand er so gut wie jeder andre. Vielleicht sogar noch
besser. Daß bisher noch kein gekröntes Haupt seine Dienste in Anspruch genommen
hatte, war seine Schuld nicht. War es also wirklich ein so großes Wunder,
daß der russische Kaiser gerade nach ihm schickte?
Über diesen Erwägungen gewann der Alte seine Fassung wieder, rasierte, als
er in den Gemächern des Kaisers angekommen war, seinen hohen Kunden mit nicht
geringerm Gleichmut, als ob er den Schneider aus dem dritten Stock unter den
Händen gehabt hätte, und steckte den goldnen Imperial, den ihm nach verrichteter
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