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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der Säkulare Kampf gegen das Riesenkapital in Nordamerika

Bundesregierung in Schulangelegenheiten rein gar nichts zu sagen habe, weil
sie nach der Verfassung den Einzelstaaten zustehn. Kommt also Bryan ins
Weiße Haus, so wächst die Gefahr eines Zusammenstoßes mit Japan, Zugleich
würde damit die Union in der durch Novsevelt so eifrig betriebnen Flotten-
rüstuug lässiger werden. Denn die Demokraten bekämpfen den ganzen Im¬
perialismus nicht zum wenigsten wegen der Rüstungen.

Welche Wege ein Mann wie Hearst einschlagen würde, über dessen Charakter¬
festigkeit noch so wenig bekannt ist, dem vielmehr eine so weitgehende Charakter¬
losigkeit nachgesagt wird, entzieht sich jeder Vermutung.

Übereinstimmend sagen alle Nachrichten aus den Vereinigten Staaten, daß
ein Vertrauensmann der Trusts keine Aussicht habe, gewählt zu werden. Mau
muß also einnehmen, daß die kleine Armee in die Mobilisierung übertritt, um
ini kritischen Augenblick ihre Macht nach dieser oder nach jener Seite überzu¬
führen, je nachdem, was ihr am vorteilhaftester ist. Sie "wird auf der Fenz
sitzen", wie der bezeichnende amerikanische Ausdruck lautet. Vermutlich wird
sie daraufhin arbeiten, im letzten Augenblick mit dem trustfeindlichen Flügel der
Republikaner ein möglichst gutes Abkommen zu treffen. Sie wird danach
trachten, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß die Maßregeln gegen sie selber
ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, was zum Beispiel fürs Zollwesen sehr
bedeutsam werden könnte. Dafür könnten ihr schon eine Anzahl Millionen in
der Tasche locker sitzen. Käme dennoch durch einen der bei allgemeinen
Wahlen stets möglichen Zufälle ein Trustfreund an die Spitze der Nation, so
würde dieser wahrscheinlich alles aufbieten, die Leidenschaften der Wühlerschaft
auf andre Dinge zu lenken. Hochschutzzoll, Panamerikanismus, Imperialismus,
Reibereien mit Japan, mit europäischen Mächten wären Dinge, denen man ent¬
gegensehen müßte.

Klarer entfaltet sich die Perspektive, wenn Novsevelt selber oder ein unter
seiner Ägide stehender Mann die Palme davontrüge. Wenn er sich nicht
durch ein faules Kompromiß mit den Trusts die Hände binden ließe, so wäre
kaum etwas andres zu erwarten als ein planmäßiger Versuch, den Newyorler
Riesenkapitalisten den Daumen aufs Auge zu drücken. Dann wäre eine Reihe
der schärfsten Maßnahmen gegen sie zu erwarten. Und wenn man anch noch
so fest davon überzeugt ist, daß die amerikanischen Straf- und Kontrollgesetze
nur schwer gegen die Milliardäre zur Anwendung zu bringen sind, so weiß
man doch nicht, wohin eine Aktion gelangt, die von einem so klugen und
charaktervoller Manne wie Novsevelt geführt und von dem besten sittlichen
Bewußtsein der Nation getragen wird. Die Rockefeller und Genossen mögen
sich mit Besorgnis des alten Worts erinnern: man sieht wohl, wo die Sache
anfängt, aber nicht, wo sie endet. Vielleicht kommt Novsevelt dann auf die
früher von ihm empfohlne Politik der Mäßigung der Einfuhrzölle zurück. Es
ist aber auch denkbar, daß er, um die Schutzzollneigungen seiner Partei nicht
zu reizen, gerade auf diese Mittel verzichtet, um alle die andern um so unde-


Der Säkulare Kampf gegen das Riesenkapital in Nordamerika

Bundesregierung in Schulangelegenheiten rein gar nichts zu sagen habe, weil
sie nach der Verfassung den Einzelstaaten zustehn. Kommt also Bryan ins
Weiße Haus, so wächst die Gefahr eines Zusammenstoßes mit Japan, Zugleich
würde damit die Union in der durch Novsevelt so eifrig betriebnen Flotten-
rüstuug lässiger werden. Denn die Demokraten bekämpfen den ganzen Im¬
perialismus nicht zum wenigsten wegen der Rüstungen.

Welche Wege ein Mann wie Hearst einschlagen würde, über dessen Charakter¬
festigkeit noch so wenig bekannt ist, dem vielmehr eine so weitgehende Charakter¬
losigkeit nachgesagt wird, entzieht sich jeder Vermutung.

Übereinstimmend sagen alle Nachrichten aus den Vereinigten Staaten, daß
ein Vertrauensmann der Trusts keine Aussicht habe, gewählt zu werden. Mau
muß also einnehmen, daß die kleine Armee in die Mobilisierung übertritt, um
ini kritischen Augenblick ihre Macht nach dieser oder nach jener Seite überzu¬
führen, je nachdem, was ihr am vorteilhaftester ist. Sie „wird auf der Fenz
sitzen", wie der bezeichnende amerikanische Ausdruck lautet. Vermutlich wird
sie daraufhin arbeiten, im letzten Augenblick mit dem trustfeindlichen Flügel der
Republikaner ein möglichst gutes Abkommen zu treffen. Sie wird danach
trachten, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß die Maßregeln gegen sie selber
ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, was zum Beispiel fürs Zollwesen sehr
bedeutsam werden könnte. Dafür könnten ihr schon eine Anzahl Millionen in
der Tasche locker sitzen. Käme dennoch durch einen der bei allgemeinen
Wahlen stets möglichen Zufälle ein Trustfreund an die Spitze der Nation, so
würde dieser wahrscheinlich alles aufbieten, die Leidenschaften der Wühlerschaft
auf andre Dinge zu lenken. Hochschutzzoll, Panamerikanismus, Imperialismus,
Reibereien mit Japan, mit europäischen Mächten wären Dinge, denen man ent¬
gegensehen müßte.

Klarer entfaltet sich die Perspektive, wenn Novsevelt selber oder ein unter
seiner Ägide stehender Mann die Palme davontrüge. Wenn er sich nicht
durch ein faules Kompromiß mit den Trusts die Hände binden ließe, so wäre
kaum etwas andres zu erwarten als ein planmäßiger Versuch, den Newyorler
Riesenkapitalisten den Daumen aufs Auge zu drücken. Dann wäre eine Reihe
der schärfsten Maßnahmen gegen sie zu erwarten. Und wenn man anch noch
so fest davon überzeugt ist, daß die amerikanischen Straf- und Kontrollgesetze
nur schwer gegen die Milliardäre zur Anwendung zu bringen sind, so weiß
man doch nicht, wohin eine Aktion gelangt, die von einem so klugen und
charaktervoller Manne wie Novsevelt geführt und von dem besten sittlichen
Bewußtsein der Nation getragen wird. Die Rockefeller und Genossen mögen
sich mit Besorgnis des alten Worts erinnern: man sieht wohl, wo die Sache
anfängt, aber nicht, wo sie endet. Vielleicht kommt Novsevelt dann auf die
früher von ihm empfohlne Politik der Mäßigung der Einfuhrzölle zurück. Es
ist aber auch denkbar, daß er, um die Schutzzollneigungen seiner Partei nicht
zu reizen, gerade auf diese Mittel verzichtet, um alle die andern um so unde-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/178>, abgerufen am 05.02.2025.