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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der Säkulare Kampf gegen das Riesenkapital in Nordamerika

Arbeiter können nichts machen. Auch ihre Koalition versagt oft, weil sie es
nur mit einem einzigen Arbeitgeber zu tun haben, und weil ununterbrochen frische
Kräfte aus dem Auslande zuströmen.

Drückend ist dabei namentlich die Herrschaft über die Politik. Nirgends
ist das Parteiwesen geschlossener und besser diszipliniert als in den Vereinigten
Staaten. Selbst das englische reicht nicht daran. Seit der erwähnten, übrigens
mit der Umgestaltung zusammenhängenden Zersplitterung im Jahre 1860 sind
immer nur die beiden Parteien maßgebend gewesen, die republikanische und die
demokratische. Dazwischen hat sich die populistische einzudrängen versucht: ohne
allen Erfolg. Noch weniger haben die sonstigen kleinen Splitter machen können,
die Prohibitionistische (Antialkohol), die sozialdemokratische usw. Es kommen
nicht einmal Stichwahlen in Frage, denn es gibt immer nur die relative Mehr¬
heit. Niemand will "sein Votum wegwerfen". Man schließt sich irgendeiner der
beiden um den Sieg ringenden Parteien an. Die Organisation der beiden sucht alles
zu umschließen und trifft dabei Verkehrungen, denen Europa nichts an die Seite
zu setzen hat. Es gehören ungeheure Parteifonds dazu. Unter andern muß
jeder Beamte bestimmte Prozentsätze von seinem Gehalt in die Kassen der Partei
zahlen, der er seine Ernennung verdankt. Daß er sich die Mittel dafür oft erst
durch Unterschleife oder Bestechlichkeit verschafft, stört die Amerikaner nicht, ob¬
wohl dadurch ein häßlicher Flecken auf ihr ganzes Parteiwesen füllt. Nun
darf man nicht denken, daß die Republikaner, weil sie seit 1860, also seit
siebenundvierzig Jahren, nur acht Jahre nicht das Vundespräsidium besessen
haben, die Verfügung über alle Stellen gehabt hätten. Viele Einzelstaaten sind
in den Händen der im Gesamtgebiet unterlegnen Partei, und die Gemeinden
haben oft ein andres Parteiregiment als der Einzelstaat, dem sie angehören.
Der alte einst sklavenhalterische Süden ist noch immer im Besitze der mehr
freihändlerischen demokratischen Partei; den größten Teil des Nordens halten
die schutzzöllnerischen Republikaner unentreißbar in Händen. Manche Staaten
schwanken; zu diesen gehört der wichtigste von allen: Newyork. Zurzeit ist das
Staatsregiment republikanisch, das fast eben so wichtige Regiment der Riesen¬
stadt Newyork demokratisch, wie fast immer. Beide Parteien gebrauchen außer
dem Tribut von Beamten, Lieferanten usw. noch riesige Beiträge zu den Kassen.
Die Hauptspender für die republikanischen Kassen sind die Trusts. Diese geben
das Geld millionenweise und haben damit einen verhängnisvollen Einfluß auf
die ganze Partei. Wenn sie eine "Temporaliensperre" in Aussicht stellen, wie
wir bei Gelegenheit der Kandidaturen für 1904 schon bemerkt haben, so gerät
die Parteileitung in die größten Sorgen.

Obendrein sind die Trusts allmächtig im Bundessenat. Da im Norden
die von ihnen abhängige republikanische Partei die Zügel in der Hand hat, so
kommen nur die geldspendenden Trustmagnaten selber oder doch ihre nächsten
Freunde in den Senat. Der alte sklavenhalterische Süden wählt zwar Demo¬
kraten, aber diese bleiben immer in der Minderheit, wenn nicht aus dem Norden


Der Säkulare Kampf gegen das Riesenkapital in Nordamerika

Arbeiter können nichts machen. Auch ihre Koalition versagt oft, weil sie es
nur mit einem einzigen Arbeitgeber zu tun haben, und weil ununterbrochen frische
Kräfte aus dem Auslande zuströmen.

Drückend ist dabei namentlich die Herrschaft über die Politik. Nirgends
ist das Parteiwesen geschlossener und besser diszipliniert als in den Vereinigten
Staaten. Selbst das englische reicht nicht daran. Seit der erwähnten, übrigens
mit der Umgestaltung zusammenhängenden Zersplitterung im Jahre 1860 sind
immer nur die beiden Parteien maßgebend gewesen, die republikanische und die
demokratische. Dazwischen hat sich die populistische einzudrängen versucht: ohne
allen Erfolg. Noch weniger haben die sonstigen kleinen Splitter machen können,
die Prohibitionistische (Antialkohol), die sozialdemokratische usw. Es kommen
nicht einmal Stichwahlen in Frage, denn es gibt immer nur die relative Mehr¬
heit. Niemand will „sein Votum wegwerfen". Man schließt sich irgendeiner der
beiden um den Sieg ringenden Parteien an. Die Organisation der beiden sucht alles
zu umschließen und trifft dabei Verkehrungen, denen Europa nichts an die Seite
zu setzen hat. Es gehören ungeheure Parteifonds dazu. Unter andern muß
jeder Beamte bestimmte Prozentsätze von seinem Gehalt in die Kassen der Partei
zahlen, der er seine Ernennung verdankt. Daß er sich die Mittel dafür oft erst
durch Unterschleife oder Bestechlichkeit verschafft, stört die Amerikaner nicht, ob¬
wohl dadurch ein häßlicher Flecken auf ihr ganzes Parteiwesen füllt. Nun
darf man nicht denken, daß die Republikaner, weil sie seit 1860, also seit
siebenundvierzig Jahren, nur acht Jahre nicht das Vundespräsidium besessen
haben, die Verfügung über alle Stellen gehabt hätten. Viele Einzelstaaten sind
in den Händen der im Gesamtgebiet unterlegnen Partei, und die Gemeinden
haben oft ein andres Parteiregiment als der Einzelstaat, dem sie angehören.
Der alte einst sklavenhalterische Süden ist noch immer im Besitze der mehr
freihändlerischen demokratischen Partei; den größten Teil des Nordens halten
die schutzzöllnerischen Republikaner unentreißbar in Händen. Manche Staaten
schwanken; zu diesen gehört der wichtigste von allen: Newyork. Zurzeit ist das
Staatsregiment republikanisch, das fast eben so wichtige Regiment der Riesen¬
stadt Newyork demokratisch, wie fast immer. Beide Parteien gebrauchen außer
dem Tribut von Beamten, Lieferanten usw. noch riesige Beiträge zu den Kassen.
Die Hauptspender für die republikanischen Kassen sind die Trusts. Diese geben
das Geld millionenweise und haben damit einen verhängnisvollen Einfluß auf
die ganze Partei. Wenn sie eine „Temporaliensperre" in Aussicht stellen, wie
wir bei Gelegenheit der Kandidaturen für 1904 schon bemerkt haben, so gerät
die Parteileitung in die größten Sorgen.

Obendrein sind die Trusts allmächtig im Bundessenat. Da im Norden
die von ihnen abhängige republikanische Partei die Zügel in der Hand hat, so
kommen nur die geldspendenden Trustmagnaten selber oder doch ihre nächsten
Freunde in den Senat. Der alte sklavenhalterische Süden wählt zwar Demo¬
kraten, aber diese bleiben immer in der Minderheit, wenn nicht aus dem Norden


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[0173] Der Säkulare Kampf gegen das Riesenkapital in Nordamerika Arbeiter können nichts machen. Auch ihre Koalition versagt oft, weil sie es nur mit einem einzigen Arbeitgeber zu tun haben, und weil ununterbrochen frische Kräfte aus dem Auslande zuströmen. Drückend ist dabei namentlich die Herrschaft über die Politik. Nirgends ist das Parteiwesen geschlossener und besser diszipliniert als in den Vereinigten Staaten. Selbst das englische reicht nicht daran. Seit der erwähnten, übrigens mit der Umgestaltung zusammenhängenden Zersplitterung im Jahre 1860 sind immer nur die beiden Parteien maßgebend gewesen, die republikanische und die demokratische. Dazwischen hat sich die populistische einzudrängen versucht: ohne allen Erfolg. Noch weniger haben die sonstigen kleinen Splitter machen können, die Prohibitionistische (Antialkohol), die sozialdemokratische usw. Es kommen nicht einmal Stichwahlen in Frage, denn es gibt immer nur die relative Mehr¬ heit. Niemand will „sein Votum wegwerfen". Man schließt sich irgendeiner der beiden um den Sieg ringenden Parteien an. Die Organisation der beiden sucht alles zu umschließen und trifft dabei Verkehrungen, denen Europa nichts an die Seite zu setzen hat. Es gehören ungeheure Parteifonds dazu. Unter andern muß jeder Beamte bestimmte Prozentsätze von seinem Gehalt in die Kassen der Partei zahlen, der er seine Ernennung verdankt. Daß er sich die Mittel dafür oft erst durch Unterschleife oder Bestechlichkeit verschafft, stört die Amerikaner nicht, ob¬ wohl dadurch ein häßlicher Flecken auf ihr ganzes Parteiwesen füllt. Nun darf man nicht denken, daß die Republikaner, weil sie seit 1860, also seit siebenundvierzig Jahren, nur acht Jahre nicht das Vundespräsidium besessen haben, die Verfügung über alle Stellen gehabt hätten. Viele Einzelstaaten sind in den Händen der im Gesamtgebiet unterlegnen Partei, und die Gemeinden haben oft ein andres Parteiregiment als der Einzelstaat, dem sie angehören. Der alte einst sklavenhalterische Süden ist noch immer im Besitze der mehr freihändlerischen demokratischen Partei; den größten Teil des Nordens halten die schutzzöllnerischen Republikaner unentreißbar in Händen. Manche Staaten schwanken; zu diesen gehört der wichtigste von allen: Newyork. Zurzeit ist das Staatsregiment republikanisch, das fast eben so wichtige Regiment der Riesen¬ stadt Newyork demokratisch, wie fast immer. Beide Parteien gebrauchen außer dem Tribut von Beamten, Lieferanten usw. noch riesige Beiträge zu den Kassen. Die Hauptspender für die republikanischen Kassen sind die Trusts. Diese geben das Geld millionenweise und haben damit einen verhängnisvollen Einfluß auf die ganze Partei. Wenn sie eine „Temporaliensperre" in Aussicht stellen, wie wir bei Gelegenheit der Kandidaturen für 1904 schon bemerkt haben, so gerät die Parteileitung in die größten Sorgen. Obendrein sind die Trusts allmächtig im Bundessenat. Da im Norden die von ihnen abhängige republikanische Partei die Zügel in der Hand hat, so kommen nur die geldspendenden Trustmagnaten selber oder doch ihre nächsten Freunde in den Senat. Der alte sklavenhalterische Süden wählt zwar Demo¬ kraten, aber diese bleiben immer in der Minderheit, wenn nicht aus dem Norden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/173>, abgerufen am 06.02.2025.