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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Thomas Hardys Ncixolconsdrama

Ganzen noch verschärft wird. Humoristische Züge fehlen zwar nicht ganz;
welcher Art sie sind, mag folgendes Beispiel zeigen. Matrosen erzählen nach
dem Siege von Trafalgar, wie man die Leiche Nelsons in ein Faß mit Rum
gelegt habe, um sie zum feierlichen Begräbnis zu konservieren. Da sei es denn
mit dem Grog für die Mannschaft übel bestellt gewesen, bis sich die Matrosen
nicht anders zu helfen gewußt hätten, als das Faß, in dem ihr toter Admiral
lag, anzuzapfen! Und als man die Reifen gelöst, um den Körper heraus¬
zunehmen, fand sich kein Tropfen Rum mehr im Faß. "It Möins ^uver astiors",
bemerkt der biedere Kleinstädter, dem diese seltsame Mär erzählt wird, die auch
wohl manchem Leser "quser" scheinen möchte. Doch schließt sich an diese Episode
ein in grandiosen Rhythmen rollendes Schlachtlied, das den Höhepunkt des
ersten Teils bezeichnet, und dessen Schlußstrophe hier wiedergegeben sei:

Mg viotoi'S Ana tds viwquislioä tdsu tds "toi-in it toWöü iwä toi'ö,
^" din'ä tus^ "tropf, tuo8v vorrr-ont iusi>, npov tus.t sui'I^ öden's;
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'Ital "igdt 'Il'kckÜMU'!

Aber Siegesjubel und Lebensfreude sind um jene Zeit selten zu treffen,
und auf andre Mittel, die düstere Stimmung in seinem Drama zu mildern,
hat Hardy freiwillig verzichtet. Er ist in seinem Streben, mit dem hergebrachten
Bühnendrama zu brechen, zweifellos zu weit gegangen. Wie kann er von den
Triumphen der Bühne des klassischen Altertums oder des Zeitalters der
Elisabeth träumen, wenn sein Werk in so wesentlichen Elementen von jenen
Vorbildern abweicht? Sein Plan, so interessant er ist, reicht über menschliches
Können hinaus. Die Vielheit internationaler Konflikte kann keine Einheit
geben. Zugegeben, daß die moderne Lebensanschauung auf ernstere Probleme
gestellt ist, daß die Welt älter geworden, wie Hardy sagt -- ein großer Fehler
ist doch in seinem Werk: die weite Perspektive verwischt das reinmenschliche
Element. Wie eng ist dagegen der Rahmen der Griechen, die eigentlich nur
dramatisierte Familiengeschichte gaben und ihre Weltanschauung im Spiegel der
^nzelnen Gestalten konzentrierter. Auch Shakespeare steht in seinen Geschichts-
ramen fest auf der Erde. Er zeigt uns seine handelnden Personen in ihrem
^ben und Hassen; wir können ihr Fühlen begreifen, weil fort und fort ver¬
wandte Saiten in uns anklingen. Die Trüger der Handlung bei Hardy reden
zu uns nur. w^n sie die Höhen ihres Schicksals erklommen haben, und von
dort her weht eine eisige Luft. Es ist, als wenn der Schleier, mit dem der
Dichter bei einer möglichen Darstellung die kaleidoskopischen Bilder seines
Riesenpanoramas zu verhüllen plant, auch die Gestalten im Vordergrunde
schattenhaft verdunkelte.


Thomas Hardys Ncixolconsdrama

Ganzen noch verschärft wird. Humoristische Züge fehlen zwar nicht ganz;
welcher Art sie sind, mag folgendes Beispiel zeigen. Matrosen erzählen nach
dem Siege von Trafalgar, wie man die Leiche Nelsons in ein Faß mit Rum
gelegt habe, um sie zum feierlichen Begräbnis zu konservieren. Da sei es denn
mit dem Grog für die Mannschaft übel bestellt gewesen, bis sich die Matrosen
nicht anders zu helfen gewußt hätten, als das Faß, in dem ihr toter Admiral
lag, anzuzapfen! Und als man die Reifen gelöst, um den Körper heraus¬
zunehmen, fand sich kein Tropfen Rum mehr im Faß. „It Möins ^uver astiors",
bemerkt der biedere Kleinstädter, dem diese seltsame Mär erzählt wird, die auch
wohl manchem Leser „quser" scheinen möchte. Doch schließt sich an diese Episode
ein in grandiosen Rhythmen rollendes Schlachtlied, das den Höhepunkt des
ersten Teils bezeichnet, und dessen Schlußstrophe hier wiedergegeben sei:

Mg viotoi'S Ana tds viwquislioä tdsu tds »toi-in it toWöü iwä toi'ö,
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Aber Siegesjubel und Lebensfreude sind um jene Zeit selten zu treffen,
und auf andre Mittel, die düstere Stimmung in seinem Drama zu mildern,
hat Hardy freiwillig verzichtet. Er ist in seinem Streben, mit dem hergebrachten
Bühnendrama zu brechen, zweifellos zu weit gegangen. Wie kann er von den
Triumphen der Bühne des klassischen Altertums oder des Zeitalters der
Elisabeth träumen, wenn sein Werk in so wesentlichen Elementen von jenen
Vorbildern abweicht? Sein Plan, so interessant er ist, reicht über menschliches
Können hinaus. Die Vielheit internationaler Konflikte kann keine Einheit
geben. Zugegeben, daß die moderne Lebensanschauung auf ernstere Probleme
gestellt ist, daß die Welt älter geworden, wie Hardy sagt — ein großer Fehler
ist doch in seinem Werk: die weite Perspektive verwischt das reinmenschliche
Element. Wie eng ist dagegen der Rahmen der Griechen, die eigentlich nur
dramatisierte Familiengeschichte gaben und ihre Weltanschauung im Spiegel der
^nzelnen Gestalten konzentrierter. Auch Shakespeare steht in seinen Geschichts-
ramen fest auf der Erde. Er zeigt uns seine handelnden Personen in ihrem
^ben und Hassen; wir können ihr Fühlen begreifen, weil fort und fort ver¬
wandte Saiten in uns anklingen. Die Trüger der Handlung bei Hardy reden
zu uns nur. w^n sie die Höhen ihres Schicksals erklommen haben, und von
dort her weht eine eisige Luft. Es ist, als wenn der Schleier, mit dem der
Dichter bei einer möglichen Darstellung die kaleidoskopischen Bilder seines
Riesenpanoramas zu verhüllen plant, auch die Gestalten im Vordergrunde
schattenhaft verdunkelte.


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[0143] Thomas Hardys Ncixolconsdrama Ganzen noch verschärft wird. Humoristische Züge fehlen zwar nicht ganz; welcher Art sie sind, mag folgendes Beispiel zeigen. Matrosen erzählen nach dem Siege von Trafalgar, wie man die Leiche Nelsons in ein Faß mit Rum gelegt habe, um sie zum feierlichen Begräbnis zu konservieren. Da sei es denn mit dem Grog für die Mannschaft übel bestellt gewesen, bis sich die Matrosen nicht anders zu helfen gewußt hätten, als das Faß, in dem ihr toter Admiral lag, anzuzapfen! Und als man die Reifen gelöst, um den Körper heraus¬ zunehmen, fand sich kein Tropfen Rum mehr im Faß. „It Möins ^uver astiors", bemerkt der biedere Kleinstädter, dem diese seltsame Mär erzählt wird, die auch wohl manchem Leser „quser" scheinen möchte. Doch schließt sich an diese Episode ein in grandiosen Rhythmen rollendes Schlachtlied, das den Höhepunkt des ersten Teils bezeichnet, und dessen Schlußstrophe hier wiedergegeben sei: Mg viotoi'S Ana tds viwquislioä tdsu tds »toi-in it toWöü iwä toi'ö, ^« din'ä tus^ «tropf, tuo8v vorrr-ont iusi>, npov tus.t sui'I^ öden's; Dös,ä Rslson All<1 dis dsU-llsAä orsw, Kis los« Lrow nsar lind Kv, Vsrs rollsä togstdsi' vo. elf ässp klint uiZIit se ?iAta>Mr. (^U!) 'I'Ils äsvp ?Ilg Ass^, 'Ital »igdt 'Il'kckÜMU'! Aber Siegesjubel und Lebensfreude sind um jene Zeit selten zu treffen, und auf andre Mittel, die düstere Stimmung in seinem Drama zu mildern, hat Hardy freiwillig verzichtet. Er ist in seinem Streben, mit dem hergebrachten Bühnendrama zu brechen, zweifellos zu weit gegangen. Wie kann er von den Triumphen der Bühne des klassischen Altertums oder des Zeitalters der Elisabeth träumen, wenn sein Werk in so wesentlichen Elementen von jenen Vorbildern abweicht? Sein Plan, so interessant er ist, reicht über menschliches Können hinaus. Die Vielheit internationaler Konflikte kann keine Einheit geben. Zugegeben, daß die moderne Lebensanschauung auf ernstere Probleme gestellt ist, daß die Welt älter geworden, wie Hardy sagt — ein großer Fehler ist doch in seinem Werk: die weite Perspektive verwischt das reinmenschliche Element. Wie eng ist dagegen der Rahmen der Griechen, die eigentlich nur dramatisierte Familiengeschichte gaben und ihre Weltanschauung im Spiegel der ^nzelnen Gestalten konzentrierter. Auch Shakespeare steht in seinen Geschichts- ramen fest auf der Erde. Er zeigt uns seine handelnden Personen in ihrem ^ben und Hassen; wir können ihr Fühlen begreifen, weil fort und fort ver¬ wandte Saiten in uns anklingen. Die Trüger der Handlung bei Hardy reden zu uns nur. w^n sie die Höhen ihres Schicksals erklommen haben, und von dort her weht eine eisige Luft. Es ist, als wenn der Schleier, mit dem der Dichter bei einer möglichen Darstellung die kaleidoskopischen Bilder seines Riesenpanoramas zu verhüllen plant, auch die Gestalten im Vordergrunde schattenhaft verdunkelte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/143>, abgerufen am 06.02.2025.