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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Ozean

der, ein neues Absatzgebiet zu gewinnen, wo man die europäische Konkurrenz
durch Zölle fernhalten könne, und sodann, sich einen Fußpunkt zum Eingreifen
in die ostasiatischen Angelegenheiten zu schaffen. Die Imperialisten in den Ver¬
einigten Staaten schauen auf den Stillen Ozean als auf ein Meer, auf das sie
ein besondres Vorrecht haben, weil sie allein von allen Völkern kaukasischer
Rasse unmittelbar an diese riesige Wasserwüste grenzen, alle andern Länder nur
durch ganz detachierte Kolonien. Sie sehen Ostasien als vor ihrer Tür liegend
an wie die Franzosen ganz Nordafrika und womöglich auch Kleinasien und
Syrien. Sie wollen sich, wenn es irgend angeht, auch dort Vorzugsmärkte
schaffen, auf denen sie Europa aus dem Felde schlagen können.

Da ist nun aber durch das Auftauchen Japans als konkurrenzfähiges
Industrieland und als Großmacht eine Verschiebung in die Dinge gekommen,
die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Vor dem ostasiatischen
Kriege fürchteten die Vereinigten Staaten und mit ihnen England und namentlich
Australien die Russen. Mau sah in Wladiwostok ein gefährliches Ausfallstor
und in der südsibirischen Eisenbahn das Mittel, China in Schach zu halten und
es dein Willen Rußlands dienstbar zu machen. Man schätzte Japan als einen
Wächter an Ostasiens Küsten gegen Rußlands Vordringen. Es kam ganz
anders. Der Sieg Japans zerschlug die russischen Pläne und machte ans d?in
Inselreich die erste pazifische Großmacht. England und die Vereinigten Staaten
zogen sehr verschiedne Konsequenzen aus der Sache. England erneuerte und
erweiterte das zuvor schon 3-ä nov geschlossene Bündnis zu einem allgemeinen,
die Vereinigten Staaten sahen sich zu großer Wachsamkeit genötigt. Amerika
hatte zu einer Veränderung seiner offiziellen Politik keine Veranlassung. Viel¬
mehr markierte es äußerlich nach wie vor ausgesprochen das unveränderte Wohl¬
wollen. Aber was die Staatsmänner in Washington klug verhüllen, das ver¬
raten die populären Stimmen in der Presse und das Verhalten des Staats
Kalifornien. Es ist mit einemmal ein ausgesprochnes Mißtrauen gegen den
neuen Konkurrenten und der feste Entschluß, ihn in seinen Schranken zu halten,
eingetreten.

Bisher war Japan kein Expansionsland. Durch die Erwerbung von
Formosa und später von Korea ist es eins geworden. Seine kluge Politik hin¬
sichtlich der Mandschurei zeigt, daß es noch lange nicht damit am Ende ist.
Japan hat auf 382400 Quadratkilometern ohne Formosa und Korea 43 760000
Einwohner und ist damit dichter bevölkert als Deutschland; es hat 114 Ein¬
wohner auf den Quadratkilometer, Deutschland nur 104. Das Inselreich ist
zwar in seinen Hauptbestandteilen ganz fruchtbar, und das Volk ist anspruchs¬
los. Doch können seine zahlreichen Bewohner nur recht armselig darauf leben.
Japan verfolgt nun ganz folgerichtig eine doppelte Politik: es will sich eine
Ausfuhrindustrie verschaffen und Raum für seine Auswanderung gewinnen.
Seine Industrie kommt empor auf Grund erbärmlicher Arbeitslöhne und grau¬
samer Ausbeutung der Arbeitskraft. Absatz im Inlande allein tut es nicht,


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Ozean

der, ein neues Absatzgebiet zu gewinnen, wo man die europäische Konkurrenz
durch Zölle fernhalten könne, und sodann, sich einen Fußpunkt zum Eingreifen
in die ostasiatischen Angelegenheiten zu schaffen. Die Imperialisten in den Ver¬
einigten Staaten schauen auf den Stillen Ozean als auf ein Meer, auf das sie
ein besondres Vorrecht haben, weil sie allein von allen Völkern kaukasischer
Rasse unmittelbar an diese riesige Wasserwüste grenzen, alle andern Länder nur
durch ganz detachierte Kolonien. Sie sehen Ostasien als vor ihrer Tür liegend
an wie die Franzosen ganz Nordafrika und womöglich auch Kleinasien und
Syrien. Sie wollen sich, wenn es irgend angeht, auch dort Vorzugsmärkte
schaffen, auf denen sie Europa aus dem Felde schlagen können.

Da ist nun aber durch das Auftauchen Japans als konkurrenzfähiges
Industrieland und als Großmacht eine Verschiebung in die Dinge gekommen,
die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Vor dem ostasiatischen
Kriege fürchteten die Vereinigten Staaten und mit ihnen England und namentlich
Australien die Russen. Mau sah in Wladiwostok ein gefährliches Ausfallstor
und in der südsibirischen Eisenbahn das Mittel, China in Schach zu halten und
es dein Willen Rußlands dienstbar zu machen. Man schätzte Japan als einen
Wächter an Ostasiens Küsten gegen Rußlands Vordringen. Es kam ganz
anders. Der Sieg Japans zerschlug die russischen Pläne und machte ans d?in
Inselreich die erste pazifische Großmacht. England und die Vereinigten Staaten
zogen sehr verschiedne Konsequenzen aus der Sache. England erneuerte und
erweiterte das zuvor schon 3-ä nov geschlossene Bündnis zu einem allgemeinen,
die Vereinigten Staaten sahen sich zu großer Wachsamkeit genötigt. Amerika
hatte zu einer Veränderung seiner offiziellen Politik keine Veranlassung. Viel¬
mehr markierte es äußerlich nach wie vor ausgesprochen das unveränderte Wohl¬
wollen. Aber was die Staatsmänner in Washington klug verhüllen, das ver¬
raten die populären Stimmen in der Presse und das Verhalten des Staats
Kalifornien. Es ist mit einemmal ein ausgesprochnes Mißtrauen gegen den
neuen Konkurrenten und der feste Entschluß, ihn in seinen Schranken zu halten,
eingetreten.

Bisher war Japan kein Expansionsland. Durch die Erwerbung von
Formosa und später von Korea ist es eins geworden. Seine kluge Politik hin¬
sichtlich der Mandschurei zeigt, daß es noch lange nicht damit am Ende ist.
Japan hat auf 382400 Quadratkilometern ohne Formosa und Korea 43 760000
Einwohner und ist damit dichter bevölkert als Deutschland; es hat 114 Ein¬
wohner auf den Quadratkilometer, Deutschland nur 104. Das Inselreich ist
zwar in seinen Hauptbestandteilen ganz fruchtbar, und das Volk ist anspruchs¬
los. Doch können seine zahlreichen Bewohner nur recht armselig darauf leben.
Japan verfolgt nun ganz folgerichtig eine doppelte Politik: es will sich eine
Ausfuhrindustrie verschaffen und Raum für seine Auswanderung gewinnen.
Seine Industrie kommt empor auf Grund erbärmlicher Arbeitslöhne und grau¬
samer Ausbeutung der Arbeitskraft. Absatz im Inlande allein tut es nicht,


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[0076] Die Neugestaltung der Politik am Stillen Ozean der, ein neues Absatzgebiet zu gewinnen, wo man die europäische Konkurrenz durch Zölle fernhalten könne, und sodann, sich einen Fußpunkt zum Eingreifen in die ostasiatischen Angelegenheiten zu schaffen. Die Imperialisten in den Ver¬ einigten Staaten schauen auf den Stillen Ozean als auf ein Meer, auf das sie ein besondres Vorrecht haben, weil sie allein von allen Völkern kaukasischer Rasse unmittelbar an diese riesige Wasserwüste grenzen, alle andern Länder nur durch ganz detachierte Kolonien. Sie sehen Ostasien als vor ihrer Tür liegend an wie die Franzosen ganz Nordafrika und womöglich auch Kleinasien und Syrien. Sie wollen sich, wenn es irgend angeht, auch dort Vorzugsmärkte schaffen, auf denen sie Europa aus dem Felde schlagen können. Da ist nun aber durch das Auftauchen Japans als konkurrenzfähiges Industrieland und als Großmacht eine Verschiebung in die Dinge gekommen, die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Vor dem ostasiatischen Kriege fürchteten die Vereinigten Staaten und mit ihnen England und namentlich Australien die Russen. Mau sah in Wladiwostok ein gefährliches Ausfallstor und in der südsibirischen Eisenbahn das Mittel, China in Schach zu halten und es dein Willen Rußlands dienstbar zu machen. Man schätzte Japan als einen Wächter an Ostasiens Küsten gegen Rußlands Vordringen. Es kam ganz anders. Der Sieg Japans zerschlug die russischen Pläne und machte ans d?in Inselreich die erste pazifische Großmacht. England und die Vereinigten Staaten zogen sehr verschiedne Konsequenzen aus der Sache. England erneuerte und erweiterte das zuvor schon 3-ä nov geschlossene Bündnis zu einem allgemeinen, die Vereinigten Staaten sahen sich zu großer Wachsamkeit genötigt. Amerika hatte zu einer Veränderung seiner offiziellen Politik keine Veranlassung. Viel¬ mehr markierte es äußerlich nach wie vor ausgesprochen das unveränderte Wohl¬ wollen. Aber was die Staatsmänner in Washington klug verhüllen, das ver¬ raten die populären Stimmen in der Presse und das Verhalten des Staats Kalifornien. Es ist mit einemmal ein ausgesprochnes Mißtrauen gegen den neuen Konkurrenten und der feste Entschluß, ihn in seinen Schranken zu halten, eingetreten. Bisher war Japan kein Expansionsland. Durch die Erwerbung von Formosa und später von Korea ist es eins geworden. Seine kluge Politik hin¬ sichtlich der Mandschurei zeigt, daß es noch lange nicht damit am Ende ist. Japan hat auf 382400 Quadratkilometern ohne Formosa und Korea 43 760000 Einwohner und ist damit dichter bevölkert als Deutschland; es hat 114 Ein¬ wohner auf den Quadratkilometer, Deutschland nur 104. Das Inselreich ist zwar in seinen Hauptbestandteilen ganz fruchtbar, und das Volk ist anspruchs¬ los. Doch können seine zahlreichen Bewohner nur recht armselig darauf leben. Japan verfolgt nun ganz folgerichtig eine doppelte Politik: es will sich eine Ausfuhrindustrie verschaffen und Raum für seine Auswanderung gewinnen. Seine Industrie kommt empor auf Grund erbärmlicher Arbeitslöhne und grau¬ samer Ausbeutung der Arbeitskraft. Absatz im Inlande allein tut es nicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/76>, abgerufen am 24.07.2024.