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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Leben

Vor der Tür des Häuschens liegt die Fichte hingestreckt, abgedreht vom
Sturm, wie eines Kindes Hand ein Streichholz bricht. Das mächtige grüne Ge¬
zweig deckt zur Hälfte den Eingang. Ein paar Meter weiter nach rechts: so lag
er jetzt tot unter dem zerschmetterten Häuschen, und sein Bündel Holz da draußen
würde in alle Ewigkeit vergebens auf ihn warten.

Er sitzt in Tränen und dankbarem Grauen, lauscht in sich hinein und hat das
Unwetter draußen vergessen, vergißt auch beiseite zu rücken, als durch eine Dach¬
lücke der Regen auf seine Schulter zu tropfen und zu fließen beginnt.

Ein wenig Heller wirds vor der Tür. Die Wolken sind leer, der Wind hat
sich müde getobt, wird leis und geduldig und tut, als ob er traurig wäre um deu
gebrochnen Baum. Schwach und schwächer verklingt das Rollen des abziehenden
Gewitters zwischen den Felswänden des seitlichen Tales.

Von der Ruhe ringsum wird der alte Mann wach, er steht auf, schüttelt das
Wasser von sich und kriecht gebückt zur niedern Tür hinaus.

Die nassen Zweige des gestürzten Baumes streifen ihm die Mütze vom Kopf,
furchtsam bückt er sich danach, sieht sich um, ob die andern Bäume noch stehn, und
ob der umgefallne ihm nicht nachrückt. Dann stolpert er gebückt mit kurzen Schritten
über die Lichtung weg dem Baumstumpf zu, auf dem er vorhin sein Bündel Holz
hat liegen lassen.

Naß und schwer liegt es da, umschlungen vom nassen Strick. Einen Augen¬
blick besinnt er sich -- soll ers liegen lassen bis zum andern Tage? Aber naß ist
er ja doch, er greift zu und zieht es ans den schräg eingestemmten Rücken hinauf.

Der Wald tropft und blinkt, die Mücken sind weg, die Luft ist frisch, lächelnd
bewegt vom leisen Winde, der schon nicht mehr weiß, was er dem Walde getan.

Der Alte sieht sich noch einmal um - grüne Zweige liegen überall, junge
Buchen um sich selbst gedreht -- auf der Lichtung noch eine Kiefer mit hochstehenden
Wurzelballen. Ach, viel Schaden und Unglück hat der Sturm gemacht . . .

Er atmet auf, als er den gebahnten Waldweg erreicht hat.

In der Mitte geht er, rechts und links im Fahrgeleise schießen schäumende
Wässerlein voll Moos und Rindenstücken hinter ihm her und an ihm vorbei. Einmal
liegt ein Felsblock da, losgewühlt aus der überhängenden Wand.

Der Greis in der nassen Leinenjacke haftet abwärts, so schnell es geht, sein
Rücken ist eckig gebeugt unter der Last, seine Hände halten den Strick -- den
Strick, um dessenwillen er hier mit dem schrecklichen Unwetter gestraft ist und kaum
lebendig davongekommen.

Aber der liebe Gott hat ihm vergeben -- er lebt und atmet und trägt ohne
Schaden an seinem Leibe sein Bündel Holz nach Hause. Schrecken und Glück und
Dankbarkeit sind in ihm und ein Gefühl, als müsse das ganze Dorf ihm entgegen¬
laufen und froh init ihm sein.




Leben

Vor der Tür des Häuschens liegt die Fichte hingestreckt, abgedreht vom
Sturm, wie eines Kindes Hand ein Streichholz bricht. Das mächtige grüne Ge¬
zweig deckt zur Hälfte den Eingang. Ein paar Meter weiter nach rechts: so lag
er jetzt tot unter dem zerschmetterten Häuschen, und sein Bündel Holz da draußen
würde in alle Ewigkeit vergebens auf ihn warten.

Er sitzt in Tränen und dankbarem Grauen, lauscht in sich hinein und hat das
Unwetter draußen vergessen, vergißt auch beiseite zu rücken, als durch eine Dach¬
lücke der Regen auf seine Schulter zu tropfen und zu fließen beginnt.

Ein wenig Heller wirds vor der Tür. Die Wolken sind leer, der Wind hat
sich müde getobt, wird leis und geduldig und tut, als ob er traurig wäre um deu
gebrochnen Baum. Schwach und schwächer verklingt das Rollen des abziehenden
Gewitters zwischen den Felswänden des seitlichen Tales.

Von der Ruhe ringsum wird der alte Mann wach, er steht auf, schüttelt das
Wasser von sich und kriecht gebückt zur niedern Tür hinaus.

Die nassen Zweige des gestürzten Baumes streifen ihm die Mütze vom Kopf,
furchtsam bückt er sich danach, sieht sich um, ob die andern Bäume noch stehn, und
ob der umgefallne ihm nicht nachrückt. Dann stolpert er gebückt mit kurzen Schritten
über die Lichtung weg dem Baumstumpf zu, auf dem er vorhin sein Bündel Holz
hat liegen lassen.

Naß und schwer liegt es da, umschlungen vom nassen Strick. Einen Augen¬
blick besinnt er sich — soll ers liegen lassen bis zum andern Tage? Aber naß ist
er ja doch, er greift zu und zieht es ans den schräg eingestemmten Rücken hinauf.

Der Wald tropft und blinkt, die Mücken sind weg, die Luft ist frisch, lächelnd
bewegt vom leisen Winde, der schon nicht mehr weiß, was er dem Walde getan.

Der Alte sieht sich noch einmal um - grüne Zweige liegen überall, junge
Buchen um sich selbst gedreht — auf der Lichtung noch eine Kiefer mit hochstehenden
Wurzelballen. Ach, viel Schaden und Unglück hat der Sturm gemacht . . .

Er atmet auf, als er den gebahnten Waldweg erreicht hat.

In der Mitte geht er, rechts und links im Fahrgeleise schießen schäumende
Wässerlein voll Moos und Rindenstücken hinter ihm her und an ihm vorbei. Einmal
liegt ein Felsblock da, losgewühlt aus der überhängenden Wand.

Der Greis in der nassen Leinenjacke haftet abwärts, so schnell es geht, sein
Rücken ist eckig gebeugt unter der Last, seine Hände halten den Strick — den
Strick, um dessenwillen er hier mit dem schrecklichen Unwetter gestraft ist und kaum
lebendig davongekommen.

Aber der liebe Gott hat ihm vergeben — er lebt und atmet und trägt ohne
Schaden an seinem Leibe sein Bündel Holz nach Hause. Schrecken und Glück und
Dankbarkeit sind in ihm und ein Gefühl, als müsse das ganze Dorf ihm entgegen¬
laufen und froh init ihm sein.




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[0720] Leben Vor der Tür des Häuschens liegt die Fichte hingestreckt, abgedreht vom Sturm, wie eines Kindes Hand ein Streichholz bricht. Das mächtige grüne Ge¬ zweig deckt zur Hälfte den Eingang. Ein paar Meter weiter nach rechts: so lag er jetzt tot unter dem zerschmetterten Häuschen, und sein Bündel Holz da draußen würde in alle Ewigkeit vergebens auf ihn warten. Er sitzt in Tränen und dankbarem Grauen, lauscht in sich hinein und hat das Unwetter draußen vergessen, vergißt auch beiseite zu rücken, als durch eine Dach¬ lücke der Regen auf seine Schulter zu tropfen und zu fließen beginnt. Ein wenig Heller wirds vor der Tür. Die Wolken sind leer, der Wind hat sich müde getobt, wird leis und geduldig und tut, als ob er traurig wäre um deu gebrochnen Baum. Schwach und schwächer verklingt das Rollen des abziehenden Gewitters zwischen den Felswänden des seitlichen Tales. Von der Ruhe ringsum wird der alte Mann wach, er steht auf, schüttelt das Wasser von sich und kriecht gebückt zur niedern Tür hinaus. Die nassen Zweige des gestürzten Baumes streifen ihm die Mütze vom Kopf, furchtsam bückt er sich danach, sieht sich um, ob die andern Bäume noch stehn, und ob der umgefallne ihm nicht nachrückt. Dann stolpert er gebückt mit kurzen Schritten über die Lichtung weg dem Baumstumpf zu, auf dem er vorhin sein Bündel Holz hat liegen lassen. Naß und schwer liegt es da, umschlungen vom nassen Strick. Einen Augen¬ blick besinnt er sich — soll ers liegen lassen bis zum andern Tage? Aber naß ist er ja doch, er greift zu und zieht es ans den schräg eingestemmten Rücken hinauf. Der Wald tropft und blinkt, die Mücken sind weg, die Luft ist frisch, lächelnd bewegt vom leisen Winde, der schon nicht mehr weiß, was er dem Walde getan. Der Alte sieht sich noch einmal um - grüne Zweige liegen überall, junge Buchen um sich selbst gedreht — auf der Lichtung noch eine Kiefer mit hochstehenden Wurzelballen. Ach, viel Schaden und Unglück hat der Sturm gemacht . . . Er atmet auf, als er den gebahnten Waldweg erreicht hat. In der Mitte geht er, rechts und links im Fahrgeleise schießen schäumende Wässerlein voll Moos und Rindenstücken hinter ihm her und an ihm vorbei. Einmal liegt ein Felsblock da, losgewühlt aus der überhängenden Wand. Der Greis in der nassen Leinenjacke haftet abwärts, so schnell es geht, sein Rücken ist eckig gebeugt unter der Last, seine Hände halten den Strick — den Strick, um dessenwillen er hier mit dem schrecklichen Unwetter gestraft ist und kaum lebendig davongekommen. Aber der liebe Gott hat ihm vergeben — er lebt und atmet und trägt ohne Schaden an seinem Leibe sein Bündel Holz nach Hause. Schrecken und Glück und Dankbarkeit sind in ihm und ein Gefühl, als müsse das ganze Dorf ihm entgegen¬ laufen und froh init ihm sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/720>, abgerufen am 30.06.2024.