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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Frauen in den Gemeindeverwaltungen

Mutter wird mit der Lehrerin erst den vollen weiblichen Einfluß zum Nutzen
der heranwachsenden weiblichen Generation geltend machen können. Frauen
müssen mit über die brennenden Fragen der Schulreform entscheiden. Ich kann
hier nur einige Stichworte aufführen: Reform der höhern Mädchenschule, obli¬
gatorische weibliche Fortbildungsschulen, Haushaltungsunterricht usw. Das alles
sind Fragen, bei denen das Urteil der Mutter genau so viel wiegt wie das des
Vaters.

Ich brauche nur das Wort "Wohnungsfrage" zu nennen, um auf ein
Gebiet hinzuweisen, ans dem die Frauen die Kenntnisse und Erfahrungen ihres
eigensten häuslichen Lebenskreises für den Dienst der Gemeinde nutzbar machen
könnten. Die kommunale Wohnungspflege ist ein Feld, das der Bestellung
auch durch die Frauen wartet. Ich möchte nur ein ganz praktisches Beispiel
erwähnen, das teils in das Gebiet der Schulverwaltung, teils hierher gehört.
Die Bestrebungen der Kunsterziehungstage machen sich beim Ban neuer Schul-
Häuser bemerkenswert geltend. Man kann jetzt wirklich von Schulpalästen reden.
Hätte man aber einmal eine praktische Frau vorher gehört, so würde man wissen,
daß der höchste Schmuck eines Zinnners Reinlichkeit ist. Ich möchte jeder Stadt
raten, laßt lieber alle Freskogemälde, alle mit Schnitzereien verzierten Schul¬
bänke, alle kunstvoll gearbeiteten Treppengeländer usw. weg, aber setzt dafür
durch, daß eure Klassen täglich naß ausgewischt werden, denn bei dem trocknen
Kehren bleibt eben der berühmte Schulstaub zurück, der die schlechte Schulluft
macht. Auch in der Frage der Arbeiterwohnungen können Frauen ihren prak¬
tischen Rat erteilen.

Endlich bleibt noch das Gebiet des Sanitätswesens zu erwähnen, das so
groß und vielseitig ist, daß ich ebenfalls nur einiges hervorheben kann. Ruft
uicht die Säuglings- und Wöchnerinnenfürsorge, das Hebammenwesen usw. förmlich
nach der Frau? Bedarf man hier nicht der Frauen, um wirklich wirkungsvoll
Frauen und Kindern helfen zu können? Auch das dunkle Gebiet der sitten¬
polizeilichen Aufsicht will ich hier nur streifen. Sollten Frauen, die an der
Gemeindeverfassung ratend teil hätten, da nicht vieles ändern können? Würden
sie nicht für Polizeimatronen, für weibliche Ärzte, für weibliche Jnspektorinnen usw.
eintreten? So gibt es viele Gebiete in der Gemeindeverfassung, auf denen die
Männer bald die Erleichterungen spüren, die ihnen durch die helfenden Frauen
zuteil würden. Was müssen nun die Frauen tun, um das Gemeindewahlrecht
zu erlangen?

Die Frauen, die sich des Besitzes jetzt schon erfreuen, müssen ihr Recht
in gewissenhaftester Weise ausüben. Die mit Gemeindeämtern betrauten Frauen
müssen eingedenk sein, daß sie Pionierarbeit tun zur Einsetzung der Frau in
ihre vollen Bürgerrechte. Alle Frauen müssen sich zunächst auf den einzelnen
Gebieten des Gemeindelebens gründlich unterrichten (Dcunaschke, Aufgaben der
Gemeindepolitik, Jena, S. Fischer), bei Fragen, die sich auf das Wohl von Frauen
und Kindern beziehen, auch öffentlich ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Es


Frauen in den Gemeindeverwaltungen

Mutter wird mit der Lehrerin erst den vollen weiblichen Einfluß zum Nutzen
der heranwachsenden weiblichen Generation geltend machen können. Frauen
müssen mit über die brennenden Fragen der Schulreform entscheiden. Ich kann
hier nur einige Stichworte aufführen: Reform der höhern Mädchenschule, obli¬
gatorische weibliche Fortbildungsschulen, Haushaltungsunterricht usw. Das alles
sind Fragen, bei denen das Urteil der Mutter genau so viel wiegt wie das des
Vaters.

Ich brauche nur das Wort „Wohnungsfrage" zu nennen, um auf ein
Gebiet hinzuweisen, ans dem die Frauen die Kenntnisse und Erfahrungen ihres
eigensten häuslichen Lebenskreises für den Dienst der Gemeinde nutzbar machen
könnten. Die kommunale Wohnungspflege ist ein Feld, das der Bestellung
auch durch die Frauen wartet. Ich möchte nur ein ganz praktisches Beispiel
erwähnen, das teils in das Gebiet der Schulverwaltung, teils hierher gehört.
Die Bestrebungen der Kunsterziehungstage machen sich beim Ban neuer Schul-
Häuser bemerkenswert geltend. Man kann jetzt wirklich von Schulpalästen reden.
Hätte man aber einmal eine praktische Frau vorher gehört, so würde man wissen,
daß der höchste Schmuck eines Zinnners Reinlichkeit ist. Ich möchte jeder Stadt
raten, laßt lieber alle Freskogemälde, alle mit Schnitzereien verzierten Schul¬
bänke, alle kunstvoll gearbeiteten Treppengeländer usw. weg, aber setzt dafür
durch, daß eure Klassen täglich naß ausgewischt werden, denn bei dem trocknen
Kehren bleibt eben der berühmte Schulstaub zurück, der die schlechte Schulluft
macht. Auch in der Frage der Arbeiterwohnungen können Frauen ihren prak¬
tischen Rat erteilen.

Endlich bleibt noch das Gebiet des Sanitätswesens zu erwähnen, das so
groß und vielseitig ist, daß ich ebenfalls nur einiges hervorheben kann. Ruft
uicht die Säuglings- und Wöchnerinnenfürsorge, das Hebammenwesen usw. förmlich
nach der Frau? Bedarf man hier nicht der Frauen, um wirklich wirkungsvoll
Frauen und Kindern helfen zu können? Auch das dunkle Gebiet der sitten¬
polizeilichen Aufsicht will ich hier nur streifen. Sollten Frauen, die an der
Gemeindeverfassung ratend teil hätten, da nicht vieles ändern können? Würden
sie nicht für Polizeimatronen, für weibliche Ärzte, für weibliche Jnspektorinnen usw.
eintreten? So gibt es viele Gebiete in der Gemeindeverfassung, auf denen die
Männer bald die Erleichterungen spüren, die ihnen durch die helfenden Frauen
zuteil würden. Was müssen nun die Frauen tun, um das Gemeindewahlrecht
zu erlangen?

Die Frauen, die sich des Besitzes jetzt schon erfreuen, müssen ihr Recht
in gewissenhaftester Weise ausüben. Die mit Gemeindeämtern betrauten Frauen
müssen eingedenk sein, daß sie Pionierarbeit tun zur Einsetzung der Frau in
ihre vollen Bürgerrechte. Alle Frauen müssen sich zunächst auf den einzelnen
Gebieten des Gemeindelebens gründlich unterrichten (Dcunaschke, Aufgaben der
Gemeindepolitik, Jena, S. Fischer), bei Fragen, die sich auf das Wohl von Frauen
und Kindern beziehen, auch öffentlich ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Es


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[0706] Frauen in den Gemeindeverwaltungen Mutter wird mit der Lehrerin erst den vollen weiblichen Einfluß zum Nutzen der heranwachsenden weiblichen Generation geltend machen können. Frauen müssen mit über die brennenden Fragen der Schulreform entscheiden. Ich kann hier nur einige Stichworte aufführen: Reform der höhern Mädchenschule, obli¬ gatorische weibliche Fortbildungsschulen, Haushaltungsunterricht usw. Das alles sind Fragen, bei denen das Urteil der Mutter genau so viel wiegt wie das des Vaters. Ich brauche nur das Wort „Wohnungsfrage" zu nennen, um auf ein Gebiet hinzuweisen, ans dem die Frauen die Kenntnisse und Erfahrungen ihres eigensten häuslichen Lebenskreises für den Dienst der Gemeinde nutzbar machen könnten. Die kommunale Wohnungspflege ist ein Feld, das der Bestellung auch durch die Frauen wartet. Ich möchte nur ein ganz praktisches Beispiel erwähnen, das teils in das Gebiet der Schulverwaltung, teils hierher gehört. Die Bestrebungen der Kunsterziehungstage machen sich beim Ban neuer Schul- Häuser bemerkenswert geltend. Man kann jetzt wirklich von Schulpalästen reden. Hätte man aber einmal eine praktische Frau vorher gehört, so würde man wissen, daß der höchste Schmuck eines Zinnners Reinlichkeit ist. Ich möchte jeder Stadt raten, laßt lieber alle Freskogemälde, alle mit Schnitzereien verzierten Schul¬ bänke, alle kunstvoll gearbeiteten Treppengeländer usw. weg, aber setzt dafür durch, daß eure Klassen täglich naß ausgewischt werden, denn bei dem trocknen Kehren bleibt eben der berühmte Schulstaub zurück, der die schlechte Schulluft macht. Auch in der Frage der Arbeiterwohnungen können Frauen ihren prak¬ tischen Rat erteilen. Endlich bleibt noch das Gebiet des Sanitätswesens zu erwähnen, das so groß und vielseitig ist, daß ich ebenfalls nur einiges hervorheben kann. Ruft uicht die Säuglings- und Wöchnerinnenfürsorge, das Hebammenwesen usw. förmlich nach der Frau? Bedarf man hier nicht der Frauen, um wirklich wirkungsvoll Frauen und Kindern helfen zu können? Auch das dunkle Gebiet der sitten¬ polizeilichen Aufsicht will ich hier nur streifen. Sollten Frauen, die an der Gemeindeverfassung ratend teil hätten, da nicht vieles ändern können? Würden sie nicht für Polizeimatronen, für weibliche Ärzte, für weibliche Jnspektorinnen usw. eintreten? So gibt es viele Gebiete in der Gemeindeverfassung, auf denen die Männer bald die Erleichterungen spüren, die ihnen durch die helfenden Frauen zuteil würden. Was müssen nun die Frauen tun, um das Gemeindewahlrecht zu erlangen? Die Frauen, die sich des Besitzes jetzt schon erfreuen, müssen ihr Recht in gewissenhaftester Weise ausüben. Die mit Gemeindeämtern betrauten Frauen müssen eingedenk sein, daß sie Pionierarbeit tun zur Einsetzung der Frau in ihre vollen Bürgerrechte. Alle Frauen müssen sich zunächst auf den einzelnen Gebieten des Gemeindelebens gründlich unterrichten (Dcunaschke, Aufgaben der Gemeindepolitik, Jena, S. Fischer), bei Fragen, die sich auf das Wohl von Frauen und Kindern beziehen, auch öffentlich ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/706>, abgerufen am 04.07.2024.