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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Frauen in den Gemeindeverwaltungen

Vieles instinktiv richtig erfassen, was der Mann auf dem Umwege des Ver¬
standes mühsam zusammensuchen muß, ihre praktischen Fähigkeiten würden sich
im Haushalt der Gemeinde nützlich erweisen. Außerdem sind die Anlagen von
Mann und Frau zwar durchaus gleichwertig, aber durchaus uicht gleichartig.
Vieles sieht die Frau in einem andern Licht als der Mann. Es kann nun
aber nie schaden, etwas in zweifacher Beleuchtung zu sehen, alles wird sich da¬
durch klarer und deutlicher zeigen.

Auch die Interessen der Frauen sind oft verschieden von denen der Männer.
Manches, das bisher in der Gemeindeverwaltung zu kurz gekommen ist, würde
durch darauf gerichtetes mütterliches Interesse seinen rechten Platz, seine nötige
Beachtung erhalten. Die Gemeindeverwaltung würde also durch den Eintritt
der Frauen eine größere Summe von Erfahrung, von Kenntnis der Zustände
und von praktischer Einsicht erhalten. Ich denke an das große und wichtige
Gebiet der Armen- und der Waisenpflege. In vielen Städten haben sich Frauen
schon als praktische Arbeiterinnen auf diesem Gebiete bewährt. Die Zahl der
Städte, die Waisen- und Armenpflegerinnen als städtische Beamtinnen anstellen,
wächst zusehends. Es handelt sich nun aber auch darum, Sitz und Stimme bei
der Gestaltung des Pflegewesens zu erhalten. Nicht nur treue Handlangerinnen
sollen die Frauen bleiben, sondern sie müssen auch das Recht erhalten, selbständig
ihre Urteile, ihre Erfahrungen verwerten zu können. Es würde wohl oft das
fühlende Mutterherz der Frau den rechnenden Verstand des Mannes auf diesem
Gebiete, das so wichtig für die Wohlfahrt der Gemeinde ist, ergänzen.

Nach dem weiten Gebiete der Armen- und Waisenpflege kommt dann das
ebenso große und wichtige Gebiet der Schulverwaltung in Frage. Die letzte
Zeit hat einerseits durch die Verhandlungen im Reichstag, andrerseits durch die
Erörterungen auf dem Münchner Lehrertage die Augen weiterer Kreise auf die
Lehrerinnen und auf die Schule mit ihren Forderungen gerichtet. Die Frauen,
die als Mitarbeiterinnen im Mädchenschulwesen einen anerkannten Platz in der
Schulverwaltung haben sollten, haben es sich sauer genug werden lassen müssen,
ehe sie durch die Hinterpförtchen in die Verwaltung hineinschlüpfen konnten.
Aber die preußischen Volksschullehrerinnen sind seit dem 23. Juli 1906 nnn doch
hineingekommen! Paragraph 44 des Schulunterhaltungsgesetzes sagt, daß sie zwar
nicht zu den Personen, aus denen die Schuldeputation nach der Vorschrift des
Gesetzes bestehn muß, gehört, aber zu denen, aus denen sie bestehn kann. Nach
den Bestimmungen können der Mitgliederzahl der Schuldeputativn nach nur große
Städte in Betracht kommen, die sich den Frauen eröffnen. Paragraph 45, der
von der Zusammensetzung der Schulkommissionen redet, enthält auch neben
dem Lehrer das in einer Klammer stehende Wort "Lehrerin". Es wird die
Aufgabe der Lehrerin sein, das Gesetz mit seinen Möglichkeiten auszunützen.
Die Lehrerinnen allein tun es aber in der Schulverwaltung auch nicht. Genau
so wertvoll wie der Rat und das Urteil des männlichen Laien muß auch Rat
und Urteil des weiblichen Laien eingeschätzt werden. Gerade die Hausfrau und


Grenzboten I 1907 90
Frauen in den Gemeindeverwaltungen

Vieles instinktiv richtig erfassen, was der Mann auf dem Umwege des Ver¬
standes mühsam zusammensuchen muß, ihre praktischen Fähigkeiten würden sich
im Haushalt der Gemeinde nützlich erweisen. Außerdem sind die Anlagen von
Mann und Frau zwar durchaus gleichwertig, aber durchaus uicht gleichartig.
Vieles sieht die Frau in einem andern Licht als der Mann. Es kann nun
aber nie schaden, etwas in zweifacher Beleuchtung zu sehen, alles wird sich da¬
durch klarer und deutlicher zeigen.

Auch die Interessen der Frauen sind oft verschieden von denen der Männer.
Manches, das bisher in der Gemeindeverwaltung zu kurz gekommen ist, würde
durch darauf gerichtetes mütterliches Interesse seinen rechten Platz, seine nötige
Beachtung erhalten. Die Gemeindeverwaltung würde also durch den Eintritt
der Frauen eine größere Summe von Erfahrung, von Kenntnis der Zustände
und von praktischer Einsicht erhalten. Ich denke an das große und wichtige
Gebiet der Armen- und der Waisenpflege. In vielen Städten haben sich Frauen
schon als praktische Arbeiterinnen auf diesem Gebiete bewährt. Die Zahl der
Städte, die Waisen- und Armenpflegerinnen als städtische Beamtinnen anstellen,
wächst zusehends. Es handelt sich nun aber auch darum, Sitz und Stimme bei
der Gestaltung des Pflegewesens zu erhalten. Nicht nur treue Handlangerinnen
sollen die Frauen bleiben, sondern sie müssen auch das Recht erhalten, selbständig
ihre Urteile, ihre Erfahrungen verwerten zu können. Es würde wohl oft das
fühlende Mutterherz der Frau den rechnenden Verstand des Mannes auf diesem
Gebiete, das so wichtig für die Wohlfahrt der Gemeinde ist, ergänzen.

Nach dem weiten Gebiete der Armen- und Waisenpflege kommt dann das
ebenso große und wichtige Gebiet der Schulverwaltung in Frage. Die letzte
Zeit hat einerseits durch die Verhandlungen im Reichstag, andrerseits durch die
Erörterungen auf dem Münchner Lehrertage die Augen weiterer Kreise auf die
Lehrerinnen und auf die Schule mit ihren Forderungen gerichtet. Die Frauen,
die als Mitarbeiterinnen im Mädchenschulwesen einen anerkannten Platz in der
Schulverwaltung haben sollten, haben es sich sauer genug werden lassen müssen,
ehe sie durch die Hinterpförtchen in die Verwaltung hineinschlüpfen konnten.
Aber die preußischen Volksschullehrerinnen sind seit dem 23. Juli 1906 nnn doch
hineingekommen! Paragraph 44 des Schulunterhaltungsgesetzes sagt, daß sie zwar
nicht zu den Personen, aus denen die Schuldeputation nach der Vorschrift des
Gesetzes bestehn muß, gehört, aber zu denen, aus denen sie bestehn kann. Nach
den Bestimmungen können der Mitgliederzahl der Schuldeputativn nach nur große
Städte in Betracht kommen, die sich den Frauen eröffnen. Paragraph 45, der
von der Zusammensetzung der Schulkommissionen redet, enthält auch neben
dem Lehrer das in einer Klammer stehende Wort „Lehrerin". Es wird die
Aufgabe der Lehrerin sein, das Gesetz mit seinen Möglichkeiten auszunützen.
Die Lehrerinnen allein tun es aber in der Schulverwaltung auch nicht. Genau
so wertvoll wie der Rat und das Urteil des männlichen Laien muß auch Rat
und Urteil des weiblichen Laien eingeschätzt werden. Gerade die Hausfrau und


Grenzboten I 1907 90
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[0705] Frauen in den Gemeindeverwaltungen Vieles instinktiv richtig erfassen, was der Mann auf dem Umwege des Ver¬ standes mühsam zusammensuchen muß, ihre praktischen Fähigkeiten würden sich im Haushalt der Gemeinde nützlich erweisen. Außerdem sind die Anlagen von Mann und Frau zwar durchaus gleichwertig, aber durchaus uicht gleichartig. Vieles sieht die Frau in einem andern Licht als der Mann. Es kann nun aber nie schaden, etwas in zweifacher Beleuchtung zu sehen, alles wird sich da¬ durch klarer und deutlicher zeigen. Auch die Interessen der Frauen sind oft verschieden von denen der Männer. Manches, das bisher in der Gemeindeverwaltung zu kurz gekommen ist, würde durch darauf gerichtetes mütterliches Interesse seinen rechten Platz, seine nötige Beachtung erhalten. Die Gemeindeverwaltung würde also durch den Eintritt der Frauen eine größere Summe von Erfahrung, von Kenntnis der Zustände und von praktischer Einsicht erhalten. Ich denke an das große und wichtige Gebiet der Armen- und der Waisenpflege. In vielen Städten haben sich Frauen schon als praktische Arbeiterinnen auf diesem Gebiete bewährt. Die Zahl der Städte, die Waisen- und Armenpflegerinnen als städtische Beamtinnen anstellen, wächst zusehends. Es handelt sich nun aber auch darum, Sitz und Stimme bei der Gestaltung des Pflegewesens zu erhalten. Nicht nur treue Handlangerinnen sollen die Frauen bleiben, sondern sie müssen auch das Recht erhalten, selbständig ihre Urteile, ihre Erfahrungen verwerten zu können. Es würde wohl oft das fühlende Mutterherz der Frau den rechnenden Verstand des Mannes auf diesem Gebiete, das so wichtig für die Wohlfahrt der Gemeinde ist, ergänzen. Nach dem weiten Gebiete der Armen- und Waisenpflege kommt dann das ebenso große und wichtige Gebiet der Schulverwaltung in Frage. Die letzte Zeit hat einerseits durch die Verhandlungen im Reichstag, andrerseits durch die Erörterungen auf dem Münchner Lehrertage die Augen weiterer Kreise auf die Lehrerinnen und auf die Schule mit ihren Forderungen gerichtet. Die Frauen, die als Mitarbeiterinnen im Mädchenschulwesen einen anerkannten Platz in der Schulverwaltung haben sollten, haben es sich sauer genug werden lassen müssen, ehe sie durch die Hinterpförtchen in die Verwaltung hineinschlüpfen konnten. Aber die preußischen Volksschullehrerinnen sind seit dem 23. Juli 1906 nnn doch hineingekommen! Paragraph 44 des Schulunterhaltungsgesetzes sagt, daß sie zwar nicht zu den Personen, aus denen die Schuldeputation nach der Vorschrift des Gesetzes bestehn muß, gehört, aber zu denen, aus denen sie bestehn kann. Nach den Bestimmungen können der Mitgliederzahl der Schuldeputativn nach nur große Städte in Betracht kommen, die sich den Frauen eröffnen. Paragraph 45, der von der Zusammensetzung der Schulkommissionen redet, enthält auch neben dem Lehrer das in einer Klammer stehende Wort „Lehrerin". Es wird die Aufgabe der Lehrerin sein, das Gesetz mit seinen Möglichkeiten auszunützen. Die Lehrerinnen allein tun es aber in der Schulverwaltung auch nicht. Genau so wertvoll wie der Rat und das Urteil des männlichen Laien muß auch Rat und Urteil des weiblichen Laien eingeschätzt werden. Gerade die Hausfrau und Grenzboten I 1907 90

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/705>, abgerufen am 30.06.2024.