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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Diese und zahlreiche andre Entscheidungen des Reichsgerichts und der
Oberlandesgerichte zeigen, wie schwierig die Unterscheidung ist zwischen dem
Staat als reinem Vermögenssubjekt, der für privatrechtliche Verrichtungen seiner
Vertreter und Angestellten gemäß Reichsrecht haftet, und zwischen dem Staat
als Inhaber der öffentlichen Gewalt, die er seinen Beamten anvertraut, und
für die er nur nach Maßgabe der Landesgesetze haftet. Alle diese unerquick¬
lichen Streitfragen würden begraben werden, wenn man den Anforderungen
der Rechtseinheit und der Gerechtigkeit entsprechend durch Neichsgesetz allgemein
den in Süddeutschland und in der Rheinprovinz sowie in den andern oben er¬
wähnten Bundesstaaten geltenden Rechtsgrundsatz einführen wollte, wonach der
Staat für Verschulden seiner Beamten auch dann haftet, wenn diese in Aus¬
übung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben.

In dieser Richtung ist die Haftung des Staats reichsgesetzlich geregelt
einmal in Paragraph 22 der Telegraphenordnung vom 9. Juli 1897, wonach
das Reich für Versehen der Telegraphenbeamten nicht haftet (eine Bestimmung,
die, soweit bekannt, zu Erörterungen bisher nicht Anlaß gegeben hat), und ferner
in Paragraph 12 der Grundbuchordnung, der lautet: "Verletzt ein Grundbuch¬
beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegende Amtspflicht, so trifft den
Beteiligten gegenüber die im ß 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte
Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat oder die Körperschaft, in
deren Dienst der Beamte steht. Das Recht des Staats oder der Körperschaft,
von dem Beamten Ersatz zu verlangen, bleibt unberührt."

Zur Begründung dieser Vorschrift bemerkt die Denkschrift zur Grundbuch¬
ordnung: Bei der Regelung des Liegenschaftsrechts, wie sie im Bürgerlichen
Gesetzbuch erfolgt ist, namentlich gegenüber dem öffentlichen Glauben des
Grundbuchs, seien die Beteiligten der Gefahr, durch pflichtwidriges Verhalten
der Gruudbuchbeamten geschädigt zu werden, in besonderm Maße ausgesetzt.
Wenn die Grundbucheinrichtung ungeachtet dieser mit ihr untrennbar verbundnen
Gefahr aus Gründen der Verkehrssicherheit durchgeführt werde, so verlange die
Billigkeit, daß der Staat den Beteiligten für die ihnen daraus erwachsnen
Nachteile aufkomme.

Diese für den Rechtsverkehr so überaus wichtige Bestimmung des Para¬
graphen 12 der Grundbuchordnung hat sich nun aber als völlig unzureichend,
den Ansprüchen der Billigkeit, auf die die Denkschrift verweist, in keiner Weise
genügend erwiesen, wie sich aus folgendem ergibt.

Voraussetzung der Haftung des Staats ist danach, daß der Grundbuchrichter
eine Amtspflicht "vorsätzlich oder fahrlässig" verletzt hat. Nun kommt eine vorsätz¬
liche Verletzung der Amtspflicht wohl überhaupt nicht vor; in Betracht kommt also
nur die fahrlässige Verletzung, die sich in doppelter Richtung äußern kann:

Erstens nämlich in tatsächlicher Beziehung: zum Beispiel der Grundbuch¬
richter unterläßt eine ihm obliegende Eintragung; er verwechselt die Grund¬
stücke oder Grundstückspcirzcllen oder mehrere auf dem Grundstück haftende


Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Diese und zahlreiche andre Entscheidungen des Reichsgerichts und der
Oberlandesgerichte zeigen, wie schwierig die Unterscheidung ist zwischen dem
Staat als reinem Vermögenssubjekt, der für privatrechtliche Verrichtungen seiner
Vertreter und Angestellten gemäß Reichsrecht haftet, und zwischen dem Staat
als Inhaber der öffentlichen Gewalt, die er seinen Beamten anvertraut, und
für die er nur nach Maßgabe der Landesgesetze haftet. Alle diese unerquick¬
lichen Streitfragen würden begraben werden, wenn man den Anforderungen
der Rechtseinheit und der Gerechtigkeit entsprechend durch Neichsgesetz allgemein
den in Süddeutschland und in der Rheinprovinz sowie in den andern oben er¬
wähnten Bundesstaaten geltenden Rechtsgrundsatz einführen wollte, wonach der
Staat für Verschulden seiner Beamten auch dann haftet, wenn diese in Aus¬
übung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben.

In dieser Richtung ist die Haftung des Staats reichsgesetzlich geregelt
einmal in Paragraph 22 der Telegraphenordnung vom 9. Juli 1897, wonach
das Reich für Versehen der Telegraphenbeamten nicht haftet (eine Bestimmung,
die, soweit bekannt, zu Erörterungen bisher nicht Anlaß gegeben hat), und ferner
in Paragraph 12 der Grundbuchordnung, der lautet: „Verletzt ein Grundbuch¬
beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegende Amtspflicht, so trifft den
Beteiligten gegenüber die im ß 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte
Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat oder die Körperschaft, in
deren Dienst der Beamte steht. Das Recht des Staats oder der Körperschaft,
von dem Beamten Ersatz zu verlangen, bleibt unberührt."

Zur Begründung dieser Vorschrift bemerkt die Denkschrift zur Grundbuch¬
ordnung: Bei der Regelung des Liegenschaftsrechts, wie sie im Bürgerlichen
Gesetzbuch erfolgt ist, namentlich gegenüber dem öffentlichen Glauben des
Grundbuchs, seien die Beteiligten der Gefahr, durch pflichtwidriges Verhalten
der Gruudbuchbeamten geschädigt zu werden, in besonderm Maße ausgesetzt.
Wenn die Grundbucheinrichtung ungeachtet dieser mit ihr untrennbar verbundnen
Gefahr aus Gründen der Verkehrssicherheit durchgeführt werde, so verlange die
Billigkeit, daß der Staat den Beteiligten für die ihnen daraus erwachsnen
Nachteile aufkomme.

Diese für den Rechtsverkehr so überaus wichtige Bestimmung des Para¬
graphen 12 der Grundbuchordnung hat sich nun aber als völlig unzureichend,
den Ansprüchen der Billigkeit, auf die die Denkschrift verweist, in keiner Weise
genügend erwiesen, wie sich aus folgendem ergibt.

Voraussetzung der Haftung des Staats ist danach, daß der Grundbuchrichter
eine Amtspflicht „vorsätzlich oder fahrlässig" verletzt hat. Nun kommt eine vorsätz¬
liche Verletzung der Amtspflicht wohl überhaupt nicht vor; in Betracht kommt also
nur die fahrlässige Verletzung, die sich in doppelter Richtung äußern kann:

Erstens nämlich in tatsächlicher Beziehung: zum Beispiel der Grundbuch¬
richter unterläßt eine ihm obliegende Eintragung; er verwechselt die Grund¬
stücke oder Grundstückspcirzcllen oder mehrere auf dem Grundstück haftende


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[0687] Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten Diese und zahlreiche andre Entscheidungen des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte zeigen, wie schwierig die Unterscheidung ist zwischen dem Staat als reinem Vermögenssubjekt, der für privatrechtliche Verrichtungen seiner Vertreter und Angestellten gemäß Reichsrecht haftet, und zwischen dem Staat als Inhaber der öffentlichen Gewalt, die er seinen Beamten anvertraut, und für die er nur nach Maßgabe der Landesgesetze haftet. Alle diese unerquick¬ lichen Streitfragen würden begraben werden, wenn man den Anforderungen der Rechtseinheit und der Gerechtigkeit entsprechend durch Neichsgesetz allgemein den in Süddeutschland und in der Rheinprovinz sowie in den andern oben er¬ wähnten Bundesstaaten geltenden Rechtsgrundsatz einführen wollte, wonach der Staat für Verschulden seiner Beamten auch dann haftet, wenn diese in Aus¬ übung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben. In dieser Richtung ist die Haftung des Staats reichsgesetzlich geregelt einmal in Paragraph 22 der Telegraphenordnung vom 9. Juli 1897, wonach das Reich für Versehen der Telegraphenbeamten nicht haftet (eine Bestimmung, die, soweit bekannt, zu Erörterungen bisher nicht Anlaß gegeben hat), und ferner in Paragraph 12 der Grundbuchordnung, der lautet: „Verletzt ein Grundbuch¬ beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegende Amtspflicht, so trifft den Beteiligten gegenüber die im ß 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Das Recht des Staats oder der Körperschaft, von dem Beamten Ersatz zu verlangen, bleibt unberührt." Zur Begründung dieser Vorschrift bemerkt die Denkschrift zur Grundbuch¬ ordnung: Bei der Regelung des Liegenschaftsrechts, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch erfolgt ist, namentlich gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs, seien die Beteiligten der Gefahr, durch pflichtwidriges Verhalten der Gruudbuchbeamten geschädigt zu werden, in besonderm Maße ausgesetzt. Wenn die Grundbucheinrichtung ungeachtet dieser mit ihr untrennbar verbundnen Gefahr aus Gründen der Verkehrssicherheit durchgeführt werde, so verlange die Billigkeit, daß der Staat den Beteiligten für die ihnen daraus erwachsnen Nachteile aufkomme. Diese für den Rechtsverkehr so überaus wichtige Bestimmung des Para¬ graphen 12 der Grundbuchordnung hat sich nun aber als völlig unzureichend, den Ansprüchen der Billigkeit, auf die die Denkschrift verweist, in keiner Weise genügend erwiesen, wie sich aus folgendem ergibt. Voraussetzung der Haftung des Staats ist danach, daß der Grundbuchrichter eine Amtspflicht „vorsätzlich oder fahrlässig" verletzt hat. Nun kommt eine vorsätz¬ liche Verletzung der Amtspflicht wohl überhaupt nicht vor; in Betracht kommt also nur die fahrlässige Verletzung, die sich in doppelter Richtung äußern kann: Erstens nämlich in tatsächlicher Beziehung: zum Beispiel der Grundbuch¬ richter unterläßt eine ihm obliegende Eintragung; er verwechselt die Grund¬ stücke oder Grundstückspcirzcllen oder mehrere auf dem Grundstück haftende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/687>, abgerufen am 02.07.2024.