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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Sinne entschieden, weil jene Handhabungen nicht unmittelbar eine Ausübung
des eigentlich militärischen Dienstes darstellen, den Fiskus vielmehr eine privat¬
rechtliche Haftung treffe, wofern er bei der Verwahrung, Untersuchung oder
Wegschaffung der zu fiskalischen Beständen gehörenden Materialien die nötige
Vorsicht außer acht lasse; die Vorsicht bei gefährlichen Sachen sei ein Er¬
fordernis des bürgerlichen Verkehrs, darum sei der Offizier bei der geschilderten
Tätigkeit nicht in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt be¬
schäftigt, sondern privatrechtlicher Vertreter oder Angestellter des Fiskus als des
Eigentümers der Bestünde.

Oder: Für militärische Übungszwecke wird eine Telegraphenleitung er¬
richtet; ihre Überwachung erfolgt mangelhaft, und durch eine umfallende Tele¬
graphenstange wird jemand körperlich verletzt. Haben die Soldaten hier in
Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt, sodaß sich die
Haftung des Fiskus nach Artikel 77 regelt? oder ist die Unterhaltung und
Beaufsichtigung der Leitung als eines dem Militärfiskus gehörenden Ver¬
mögensgegenstandes eine privatrechtliche Angelegenheit, sodaß die Soldaten nur
als Vertreter oder als Angestellte des Fiskus in Betracht kommen, und sich
seine Haftung nach den Paragraphen 31, 89, 831 regelt? Das Oberlandes-
gcricht Kolmar (Rechtsprechung Band 5, Seite 248) hat in dem letzten Sinne
entschieden. Hier kommt der überaus schwierige Unterschied zur Geltung
zwischen einem Schaden, der in Ausübung der öffentlichen Gewalt zugefügt
wird, und einem solchen, der nnr im Zusammenhang mit der Ausübung des
Hoheitsrechts, bei Gelegenheit und aus Anlaß der Tätigkeit der öffentlichen
Gewalt des Staates zugefügt wird.

Ein andrer vom Reichsgericht (Entscheidungen Band 56, Seite 215) ent-
schiedner Fall, in dem wieder die Schwierigkeit der in Frage stehenden Unter¬
scheidung hervortritt, ist folgender: Eine Strafanstalt hatte die Sträflinge einem
Bauschreiner zur Beschäftigung überlassen, wofür dieser an die Strafanstalt eine
Vergütung zahlte. Bei diesen Arbeiten verunglückte ein Sträfling, der den
Fiskus auf Schadenersatz verklagte, weil der Strafanstaltsbeamte, also ein ver¬
fassungsmäßig berufner Vertreter des Fiskus, es schuldhaft unterlassen habe,
die nötigen Schutzvorrichtungen an den Maschinen anzubringen und die Sträf¬
linge auf die Gefährlichkeit der Arbeit hinzuweisen, sodaß Verletzung einer
privatrechtlichen Verpflichtung des Staates und hiermit der Tatbestand der
Paragraphen 31 und 89 gegeben sei. Im Gegensatz zu den Jnstcmzgerichten
nahm das Reichsgericht an, daß hier die Beamten nur in Ausübung der ihnen
anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben: bei dem Abschluß mit dem
Schreiner komme der Staat als Privatrechtssubjekt in Betracht, dem Straf¬
gefangnen gegenüber trete er nur als öffentliche Gewalt auf; folglich bestimme
sich die Haftung des Staates für die bei derartiger (für den Staat mit Gewinn
verbundner) Beschäftigung von Sträflingen eintretenden Unglücksfälle nur gemäß
Artikel 77 nach den Landesgesetzen.


Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Sinne entschieden, weil jene Handhabungen nicht unmittelbar eine Ausübung
des eigentlich militärischen Dienstes darstellen, den Fiskus vielmehr eine privat¬
rechtliche Haftung treffe, wofern er bei der Verwahrung, Untersuchung oder
Wegschaffung der zu fiskalischen Beständen gehörenden Materialien die nötige
Vorsicht außer acht lasse; die Vorsicht bei gefährlichen Sachen sei ein Er¬
fordernis des bürgerlichen Verkehrs, darum sei der Offizier bei der geschilderten
Tätigkeit nicht in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt be¬
schäftigt, sondern privatrechtlicher Vertreter oder Angestellter des Fiskus als des
Eigentümers der Bestünde.

Oder: Für militärische Übungszwecke wird eine Telegraphenleitung er¬
richtet; ihre Überwachung erfolgt mangelhaft, und durch eine umfallende Tele¬
graphenstange wird jemand körperlich verletzt. Haben die Soldaten hier in
Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt, sodaß sich die
Haftung des Fiskus nach Artikel 77 regelt? oder ist die Unterhaltung und
Beaufsichtigung der Leitung als eines dem Militärfiskus gehörenden Ver¬
mögensgegenstandes eine privatrechtliche Angelegenheit, sodaß die Soldaten nur
als Vertreter oder als Angestellte des Fiskus in Betracht kommen, und sich
seine Haftung nach den Paragraphen 31, 89, 831 regelt? Das Oberlandes-
gcricht Kolmar (Rechtsprechung Band 5, Seite 248) hat in dem letzten Sinne
entschieden. Hier kommt der überaus schwierige Unterschied zur Geltung
zwischen einem Schaden, der in Ausübung der öffentlichen Gewalt zugefügt
wird, und einem solchen, der nnr im Zusammenhang mit der Ausübung des
Hoheitsrechts, bei Gelegenheit und aus Anlaß der Tätigkeit der öffentlichen
Gewalt des Staates zugefügt wird.

Ein andrer vom Reichsgericht (Entscheidungen Band 56, Seite 215) ent-
schiedner Fall, in dem wieder die Schwierigkeit der in Frage stehenden Unter¬
scheidung hervortritt, ist folgender: Eine Strafanstalt hatte die Sträflinge einem
Bauschreiner zur Beschäftigung überlassen, wofür dieser an die Strafanstalt eine
Vergütung zahlte. Bei diesen Arbeiten verunglückte ein Sträfling, der den
Fiskus auf Schadenersatz verklagte, weil der Strafanstaltsbeamte, also ein ver¬
fassungsmäßig berufner Vertreter des Fiskus, es schuldhaft unterlassen habe,
die nötigen Schutzvorrichtungen an den Maschinen anzubringen und die Sträf¬
linge auf die Gefährlichkeit der Arbeit hinzuweisen, sodaß Verletzung einer
privatrechtlichen Verpflichtung des Staates und hiermit der Tatbestand der
Paragraphen 31 und 89 gegeben sei. Im Gegensatz zu den Jnstcmzgerichten
nahm das Reichsgericht an, daß hier die Beamten nur in Ausübung der ihnen
anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben: bei dem Abschluß mit dem
Schreiner komme der Staat als Privatrechtssubjekt in Betracht, dem Straf¬
gefangnen gegenüber trete er nur als öffentliche Gewalt auf; folglich bestimme
sich die Haftung des Staates für die bei derartiger (für den Staat mit Gewinn
verbundner) Beschäftigung von Sträflingen eintretenden Unglücksfälle nur gemäß
Artikel 77 nach den Landesgesetzen.


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[0686] Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten Sinne entschieden, weil jene Handhabungen nicht unmittelbar eine Ausübung des eigentlich militärischen Dienstes darstellen, den Fiskus vielmehr eine privat¬ rechtliche Haftung treffe, wofern er bei der Verwahrung, Untersuchung oder Wegschaffung der zu fiskalischen Beständen gehörenden Materialien die nötige Vorsicht außer acht lasse; die Vorsicht bei gefährlichen Sachen sei ein Er¬ fordernis des bürgerlichen Verkehrs, darum sei der Offizier bei der geschilderten Tätigkeit nicht in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt be¬ schäftigt, sondern privatrechtlicher Vertreter oder Angestellter des Fiskus als des Eigentümers der Bestünde. Oder: Für militärische Übungszwecke wird eine Telegraphenleitung er¬ richtet; ihre Überwachung erfolgt mangelhaft, und durch eine umfallende Tele¬ graphenstange wird jemand körperlich verletzt. Haben die Soldaten hier in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt, sodaß sich die Haftung des Fiskus nach Artikel 77 regelt? oder ist die Unterhaltung und Beaufsichtigung der Leitung als eines dem Militärfiskus gehörenden Ver¬ mögensgegenstandes eine privatrechtliche Angelegenheit, sodaß die Soldaten nur als Vertreter oder als Angestellte des Fiskus in Betracht kommen, und sich seine Haftung nach den Paragraphen 31, 89, 831 regelt? Das Oberlandes- gcricht Kolmar (Rechtsprechung Band 5, Seite 248) hat in dem letzten Sinne entschieden. Hier kommt der überaus schwierige Unterschied zur Geltung zwischen einem Schaden, der in Ausübung der öffentlichen Gewalt zugefügt wird, und einem solchen, der nnr im Zusammenhang mit der Ausübung des Hoheitsrechts, bei Gelegenheit und aus Anlaß der Tätigkeit der öffentlichen Gewalt des Staates zugefügt wird. Ein andrer vom Reichsgericht (Entscheidungen Band 56, Seite 215) ent- schiedner Fall, in dem wieder die Schwierigkeit der in Frage stehenden Unter¬ scheidung hervortritt, ist folgender: Eine Strafanstalt hatte die Sträflinge einem Bauschreiner zur Beschäftigung überlassen, wofür dieser an die Strafanstalt eine Vergütung zahlte. Bei diesen Arbeiten verunglückte ein Sträfling, der den Fiskus auf Schadenersatz verklagte, weil der Strafanstaltsbeamte, also ein ver¬ fassungsmäßig berufner Vertreter des Fiskus, es schuldhaft unterlassen habe, die nötigen Schutzvorrichtungen an den Maschinen anzubringen und die Sträf¬ linge auf die Gefährlichkeit der Arbeit hinzuweisen, sodaß Verletzung einer privatrechtlichen Verpflichtung des Staates und hiermit der Tatbestand der Paragraphen 31 und 89 gegeben sei. Im Gegensatz zu den Jnstcmzgerichten nahm das Reichsgericht an, daß hier die Beamten nur in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt haben: bei dem Abschluß mit dem Schreiner komme der Staat als Privatrechtssubjekt in Betracht, dem Straf¬ gefangnen gegenüber trete er nur als öffentliche Gewalt auf; folglich bestimme sich die Haftung des Staates für die bei derartiger (für den Staat mit Gewinn verbundner) Beschäftigung von Sträflingen eintretenden Unglücksfälle nur gemäß Artikel 77 nach den Landesgesetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/686>, abgerufen am 30.06.2024.