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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Um Algeciras

traulichem Gespräch -- aus Achtung vor der öffentlichen Meinung. So dreht
sich das Ding in einem fehlerhaften Kreise.

Die französische Presse hat Deutschland gegenüber einen Korpsgeist, wie
er ähnlich kaum irgendwo zu beobachten ist. Zum Beispiel veröffentlicht Herr
von Nousanne im Lello as ?aris eine haarsträubende Schilderung von einem armen
polnischen Jungen, der, weil er im Posener Schulstreik nicht deutsch antworten
wollte, vom Lehrer zu Tode gemartert wurde. Durch genauste Untersuchungen
der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden mit eidlichen Zeugenaussagen wird
festgestellt, daß der Junge vor dem Schulstreik gestorben, und der Lehrer ganz
unschuldig ist. Kein großes Pariser Blatt, am wenigsten das Loire, ac ?aris,
bringt eine Berichtigung. So ist uns auch kaum eine französische Zeitung
bekannt, die gegen die vergiftende Tendenz des Tardieuscheu Artikels in der
Rsvus des clsux incmäöL Verwahrung eingelegt hätte, während umgekehrt in
Deutschland, wo man an den Mißbrauch und an die Entstellung amtlichen
Materials trotz Pöplau und Genossen noch nicht so gewöhnt ist, demselben
Artikel vereinzelt sogar eine gläubige Beachtung geschenkt wurde. Nur ein
französisches Blatt scheint den Versuch, dem Deutschen Kaiser unlautere Manöver
gegen Frankreich nachzusagen, scharf getadelt zu habe", die in Rom erscheinende,
mit dem klugen Botschafter Barrere in Beziehung stehende Wochenschrift Növull
et'Itiiliö et Courier ä'lüuropö. In ihr schrieb ein alter Diplomat, daß mau
solche leichtfertigen Anklagen allenfalls erhebt, wenn man sicher ist, sie anders
als nur mit der Feder vertreten zu köunen.

Der Deutsche, der Engländer ist im allgemeinen bereit, im Interesse der
Wahrheit auch dem Gegner Gehör zu geben und selbst unbequeme Nachrichten
aufzunehmen, in denen ein Wahrheitskern steckt. Anders der französische
Zeitungsmann. Er geht nach den großen Sentiments. Ist das herrschende
Gefühl nur Mißtrauen gegen ein andres Land, so scheut er sich, selbst eine
geringfügige objektive Wahrheit zu verbreiten, die mit jenem allgemeinen
Gefühle nicht übereinstimmt. Daraus erklärt es sich, daß die Regierenden
lieber ihre Ohnmacht gegenüber der Presse bekennen, statt deutlich den Scharf¬
machern gegen Deutschland entgegenzutreten, besonders wenn sie mit Säuren
und Giften arbeiten.

Wir können uns darum nicht der Hoffnung hingeben, daß eine unbefangne,
auch dem Widerpart in der Marokkofrage gerecht werdende Würdigung der
Ereignisse in und um Algeciras, wie wir sie hier für die wichtigern Abschnitte
der Konferenzarbeiten versucht haben, Eingang in die französische Presse finde.
Man darf schon zufrieden sein, wenn dieser Rückblick unsre eignen kritischen
Landsleute davon abhält, einem mit dem Schein zuverlässiger Aktenkenntnis
auftretenden französischen Beurteiler mehr Glauben zu schenken, als er nach
dem Maße seines Übelwollens und seiner Wichtigtuerei verdient.




Um Algeciras

traulichem Gespräch — aus Achtung vor der öffentlichen Meinung. So dreht
sich das Ding in einem fehlerhaften Kreise.

Die französische Presse hat Deutschland gegenüber einen Korpsgeist, wie
er ähnlich kaum irgendwo zu beobachten ist. Zum Beispiel veröffentlicht Herr
von Nousanne im Lello as ?aris eine haarsträubende Schilderung von einem armen
polnischen Jungen, der, weil er im Posener Schulstreik nicht deutsch antworten
wollte, vom Lehrer zu Tode gemartert wurde. Durch genauste Untersuchungen
der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden mit eidlichen Zeugenaussagen wird
festgestellt, daß der Junge vor dem Schulstreik gestorben, und der Lehrer ganz
unschuldig ist. Kein großes Pariser Blatt, am wenigsten das Loire, ac ?aris,
bringt eine Berichtigung. So ist uns auch kaum eine französische Zeitung
bekannt, die gegen die vergiftende Tendenz des Tardieuscheu Artikels in der
Rsvus des clsux incmäöL Verwahrung eingelegt hätte, während umgekehrt in
Deutschland, wo man an den Mißbrauch und an die Entstellung amtlichen
Materials trotz Pöplau und Genossen noch nicht so gewöhnt ist, demselben
Artikel vereinzelt sogar eine gläubige Beachtung geschenkt wurde. Nur ein
französisches Blatt scheint den Versuch, dem Deutschen Kaiser unlautere Manöver
gegen Frankreich nachzusagen, scharf getadelt zu habe», die in Rom erscheinende,
mit dem klugen Botschafter Barrere in Beziehung stehende Wochenschrift Növull
et'Itiiliö et Courier ä'lüuropö. In ihr schrieb ein alter Diplomat, daß mau
solche leichtfertigen Anklagen allenfalls erhebt, wenn man sicher ist, sie anders
als nur mit der Feder vertreten zu köunen.

Der Deutsche, der Engländer ist im allgemeinen bereit, im Interesse der
Wahrheit auch dem Gegner Gehör zu geben und selbst unbequeme Nachrichten
aufzunehmen, in denen ein Wahrheitskern steckt. Anders der französische
Zeitungsmann. Er geht nach den großen Sentiments. Ist das herrschende
Gefühl nur Mißtrauen gegen ein andres Land, so scheut er sich, selbst eine
geringfügige objektive Wahrheit zu verbreiten, die mit jenem allgemeinen
Gefühle nicht übereinstimmt. Daraus erklärt es sich, daß die Regierenden
lieber ihre Ohnmacht gegenüber der Presse bekennen, statt deutlich den Scharf¬
machern gegen Deutschland entgegenzutreten, besonders wenn sie mit Säuren
und Giften arbeiten.

Wir können uns darum nicht der Hoffnung hingeben, daß eine unbefangne,
auch dem Widerpart in der Marokkofrage gerecht werdende Würdigung der
Ereignisse in und um Algeciras, wie wir sie hier für die wichtigern Abschnitte
der Konferenzarbeiten versucht haben, Eingang in die französische Presse finde.
Man darf schon zufrieden sein, wenn dieser Rückblick unsre eignen kritischen
Landsleute davon abhält, einem mit dem Schein zuverlässiger Aktenkenntnis
auftretenden französischen Beurteiler mehr Glauben zu schenken, als er nach
dem Maße seines Übelwollens und seiner Wichtigtuerei verdient.




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[0661] Um Algeciras traulichem Gespräch — aus Achtung vor der öffentlichen Meinung. So dreht sich das Ding in einem fehlerhaften Kreise. Die französische Presse hat Deutschland gegenüber einen Korpsgeist, wie er ähnlich kaum irgendwo zu beobachten ist. Zum Beispiel veröffentlicht Herr von Nousanne im Lello as ?aris eine haarsträubende Schilderung von einem armen polnischen Jungen, der, weil er im Posener Schulstreik nicht deutsch antworten wollte, vom Lehrer zu Tode gemartert wurde. Durch genauste Untersuchungen der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden mit eidlichen Zeugenaussagen wird festgestellt, daß der Junge vor dem Schulstreik gestorben, und der Lehrer ganz unschuldig ist. Kein großes Pariser Blatt, am wenigsten das Loire, ac ?aris, bringt eine Berichtigung. So ist uns auch kaum eine französische Zeitung bekannt, die gegen die vergiftende Tendenz des Tardieuscheu Artikels in der Rsvus des clsux incmäöL Verwahrung eingelegt hätte, während umgekehrt in Deutschland, wo man an den Mißbrauch und an die Entstellung amtlichen Materials trotz Pöplau und Genossen noch nicht so gewöhnt ist, demselben Artikel vereinzelt sogar eine gläubige Beachtung geschenkt wurde. Nur ein französisches Blatt scheint den Versuch, dem Deutschen Kaiser unlautere Manöver gegen Frankreich nachzusagen, scharf getadelt zu habe», die in Rom erscheinende, mit dem klugen Botschafter Barrere in Beziehung stehende Wochenschrift Növull et'Itiiliö et Courier ä'lüuropö. In ihr schrieb ein alter Diplomat, daß mau solche leichtfertigen Anklagen allenfalls erhebt, wenn man sicher ist, sie anders als nur mit der Feder vertreten zu köunen. Der Deutsche, der Engländer ist im allgemeinen bereit, im Interesse der Wahrheit auch dem Gegner Gehör zu geben und selbst unbequeme Nachrichten aufzunehmen, in denen ein Wahrheitskern steckt. Anders der französische Zeitungsmann. Er geht nach den großen Sentiments. Ist das herrschende Gefühl nur Mißtrauen gegen ein andres Land, so scheut er sich, selbst eine geringfügige objektive Wahrheit zu verbreiten, die mit jenem allgemeinen Gefühle nicht übereinstimmt. Daraus erklärt es sich, daß die Regierenden lieber ihre Ohnmacht gegenüber der Presse bekennen, statt deutlich den Scharf¬ machern gegen Deutschland entgegenzutreten, besonders wenn sie mit Säuren und Giften arbeiten. Wir können uns darum nicht der Hoffnung hingeben, daß eine unbefangne, auch dem Widerpart in der Marokkofrage gerecht werdende Würdigung der Ereignisse in und um Algeciras, wie wir sie hier für die wichtigern Abschnitte der Konferenzarbeiten versucht haben, Eingang in die französische Presse finde. Man darf schon zufrieden sein, wenn dieser Rückblick unsre eignen kritischen Landsleute davon abhält, einem mit dem Schein zuverlässiger Aktenkenntnis auftretenden französischen Beurteiler mehr Glauben zu schenken, als er nach dem Maße seines Übelwollens und seiner Wichtigtuerei verdient.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/661>, abgerufen am 30.06.2024.