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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die militärpolitische Lage in den vereinigten Staaten von Nordamerika

Wir haben in diesen Ausführungen durchaus kein Phantasiebild entworfen
oder ungünstige Berechnungen zum Nachteil eiuer Partei aufgestellt; es handelt
sich vielmehr nur um tatsächliche Verhältnisse, die an leitender Stelle im Bundes¬
staat durchaus richtig erkannt worden sind und auch gegenwärtig noch fortgesetzt
in der amerikanischen Presse besprochen werden. In Laienkreisen meint man
allerdings, daß, wenn erst im Jahre 1910 (?) der Panamakaual vollendet sein
werde, die großen Gefahren, die in der weiten Trennung der verschiednen Ge¬
schwader für einen Kriegsfall heute liegen, so gut wie aus der Welt geschafft
würden. Diese optimistische Auffassung ist jedoch uur bis zu einem gewissen
Grade berechtigt, weil einige der vierundzwanzig Schleusen, die in dem Kanal
angebracht werden sollen, doch möglicherweise in der Hand des Gegners sein
können, und ganz abgesehen von noch andern Hinderungsmöglichkeiten, dadurch
allein eine ungestörte Verbindung zwischen den beiden Ozeanen in Frage gestellt
werden würde. Für alle Fälle zuverlässiger ist deshalb der Entschluß der Re¬
gierung, zunächst schon jetzt das asiatische und das pazifische Geschwader zu einem
großen Verbände, der Flotte des Stillen Ozeans, unter einem besondern Flotten¬
chef zu vereinigen. Dadurch würden sechs Divisionen mit zwei Torpedoflottillen
zusammenkommen, denen allerdings noch eine sehr wesentliche Kampfkraft in den
Linienschiffen fehlt, da die sechs Divisionen als stärkste und größte Einheit heute
insgesamt nur sechs Panzerkreuzer zählen. Dieser Mangel wird aber nur noch
kurze Zeit bestehn, da die Zuweisung in den neuen Verband der modernen erst
jüngst fertiggestellten Linienschiffe "Nebraska", "Vermont", "Kansas" und
"Minnesota" schon beschlossene Sache ist, und ein weiterer Zuwachs durch die
Schlachtschiffe "Mississippi" und "Idaho" nach ihrer Indienststellung auch schon
in Erwägung steht. Gelingt es dazu dem Kriegssekretär Mr. Taft, die von ihm
für die Befestigung der Hawcmnseln, die in ihrem gegenwärtigen Zustande für
eine Verteidigung völlig wertlos sind, dagegen für die Japaner auf ihrer Fahrt
nach der kalifornischen Küste eine ausgezeichnete Operationsbasis bilden würden,
beim Kongreß beantragten Mittel durchzusetzen, dann werden in verhältnismäßig
kurzer Zeit maritime Vorteile für die Vereinigten Staaten erreicht sein, die im
Vergleich zur heutigen Lage ein gewaltiges Gewicht in die Wagschale bringen
und vor allen Dingen von bleibendem Wert sein dürften.

Es bleibt nun noch zu erwägen, wie es mit dem dritten Faktor der ameri¬
kanischen Landesverteidigung, der Armee nämlich, steht, ob sie den an sie zu
stellenden Aufgaben gewachsen und in ihrer gegenwärtigen Organisation als
ausreichend anzusehen ist, mit einiger Aussicht auf Erfolg den Kampf mit einem
modern geschulten und ebenso ausgerüsteten Gegner aufnehmen zu können. Ani
auch hier gleich den Kern des Urteils vorweg zu nehmen, kann es nur wie bei
der Flotte und dem Küstenschutz dahin lauten, daß die Armee in ihrer heutigen
Verfassung nicht als kriegsbereit gelten kann, wenn auch anerkannt werden muß,
daß, wie wir später noch näher sehen werden, namentlich Präsident Roosevelt
und die unter ihm arbeitenden militärischen Behörden mit Ernst und Nachdruck


Die militärpolitische Lage in den vereinigten Staaten von Nordamerika

Wir haben in diesen Ausführungen durchaus kein Phantasiebild entworfen
oder ungünstige Berechnungen zum Nachteil eiuer Partei aufgestellt; es handelt
sich vielmehr nur um tatsächliche Verhältnisse, die an leitender Stelle im Bundes¬
staat durchaus richtig erkannt worden sind und auch gegenwärtig noch fortgesetzt
in der amerikanischen Presse besprochen werden. In Laienkreisen meint man
allerdings, daß, wenn erst im Jahre 1910 (?) der Panamakaual vollendet sein
werde, die großen Gefahren, die in der weiten Trennung der verschiednen Ge¬
schwader für einen Kriegsfall heute liegen, so gut wie aus der Welt geschafft
würden. Diese optimistische Auffassung ist jedoch uur bis zu einem gewissen
Grade berechtigt, weil einige der vierundzwanzig Schleusen, die in dem Kanal
angebracht werden sollen, doch möglicherweise in der Hand des Gegners sein
können, und ganz abgesehen von noch andern Hinderungsmöglichkeiten, dadurch
allein eine ungestörte Verbindung zwischen den beiden Ozeanen in Frage gestellt
werden würde. Für alle Fälle zuverlässiger ist deshalb der Entschluß der Re¬
gierung, zunächst schon jetzt das asiatische und das pazifische Geschwader zu einem
großen Verbände, der Flotte des Stillen Ozeans, unter einem besondern Flotten¬
chef zu vereinigen. Dadurch würden sechs Divisionen mit zwei Torpedoflottillen
zusammenkommen, denen allerdings noch eine sehr wesentliche Kampfkraft in den
Linienschiffen fehlt, da die sechs Divisionen als stärkste und größte Einheit heute
insgesamt nur sechs Panzerkreuzer zählen. Dieser Mangel wird aber nur noch
kurze Zeit bestehn, da die Zuweisung in den neuen Verband der modernen erst
jüngst fertiggestellten Linienschiffe „Nebraska", „Vermont", „Kansas" und
„Minnesota" schon beschlossene Sache ist, und ein weiterer Zuwachs durch die
Schlachtschiffe „Mississippi" und „Idaho" nach ihrer Indienststellung auch schon
in Erwägung steht. Gelingt es dazu dem Kriegssekretär Mr. Taft, die von ihm
für die Befestigung der Hawcmnseln, die in ihrem gegenwärtigen Zustande für
eine Verteidigung völlig wertlos sind, dagegen für die Japaner auf ihrer Fahrt
nach der kalifornischen Küste eine ausgezeichnete Operationsbasis bilden würden,
beim Kongreß beantragten Mittel durchzusetzen, dann werden in verhältnismäßig
kurzer Zeit maritime Vorteile für die Vereinigten Staaten erreicht sein, die im
Vergleich zur heutigen Lage ein gewaltiges Gewicht in die Wagschale bringen
und vor allen Dingen von bleibendem Wert sein dürften.

Es bleibt nun noch zu erwägen, wie es mit dem dritten Faktor der ameri¬
kanischen Landesverteidigung, der Armee nämlich, steht, ob sie den an sie zu
stellenden Aufgaben gewachsen und in ihrer gegenwärtigen Organisation als
ausreichend anzusehen ist, mit einiger Aussicht auf Erfolg den Kampf mit einem
modern geschulten und ebenso ausgerüsteten Gegner aufnehmen zu können. Ani
auch hier gleich den Kern des Urteils vorweg zu nehmen, kann es nur wie bei
der Flotte und dem Küstenschutz dahin lauten, daß die Armee in ihrer heutigen
Verfassung nicht als kriegsbereit gelten kann, wenn auch anerkannt werden muß,
daß, wie wir später noch näher sehen werden, namentlich Präsident Roosevelt
und die unter ihm arbeitenden militärischen Behörden mit Ernst und Nachdruck


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[0618] Die militärpolitische Lage in den vereinigten Staaten von Nordamerika Wir haben in diesen Ausführungen durchaus kein Phantasiebild entworfen oder ungünstige Berechnungen zum Nachteil eiuer Partei aufgestellt; es handelt sich vielmehr nur um tatsächliche Verhältnisse, die an leitender Stelle im Bundes¬ staat durchaus richtig erkannt worden sind und auch gegenwärtig noch fortgesetzt in der amerikanischen Presse besprochen werden. In Laienkreisen meint man allerdings, daß, wenn erst im Jahre 1910 (?) der Panamakaual vollendet sein werde, die großen Gefahren, die in der weiten Trennung der verschiednen Ge¬ schwader für einen Kriegsfall heute liegen, so gut wie aus der Welt geschafft würden. Diese optimistische Auffassung ist jedoch uur bis zu einem gewissen Grade berechtigt, weil einige der vierundzwanzig Schleusen, die in dem Kanal angebracht werden sollen, doch möglicherweise in der Hand des Gegners sein können, und ganz abgesehen von noch andern Hinderungsmöglichkeiten, dadurch allein eine ungestörte Verbindung zwischen den beiden Ozeanen in Frage gestellt werden würde. Für alle Fälle zuverlässiger ist deshalb der Entschluß der Re¬ gierung, zunächst schon jetzt das asiatische und das pazifische Geschwader zu einem großen Verbände, der Flotte des Stillen Ozeans, unter einem besondern Flotten¬ chef zu vereinigen. Dadurch würden sechs Divisionen mit zwei Torpedoflottillen zusammenkommen, denen allerdings noch eine sehr wesentliche Kampfkraft in den Linienschiffen fehlt, da die sechs Divisionen als stärkste und größte Einheit heute insgesamt nur sechs Panzerkreuzer zählen. Dieser Mangel wird aber nur noch kurze Zeit bestehn, da die Zuweisung in den neuen Verband der modernen erst jüngst fertiggestellten Linienschiffe „Nebraska", „Vermont", „Kansas" und „Minnesota" schon beschlossene Sache ist, und ein weiterer Zuwachs durch die Schlachtschiffe „Mississippi" und „Idaho" nach ihrer Indienststellung auch schon in Erwägung steht. Gelingt es dazu dem Kriegssekretär Mr. Taft, die von ihm für die Befestigung der Hawcmnseln, die in ihrem gegenwärtigen Zustande für eine Verteidigung völlig wertlos sind, dagegen für die Japaner auf ihrer Fahrt nach der kalifornischen Küste eine ausgezeichnete Operationsbasis bilden würden, beim Kongreß beantragten Mittel durchzusetzen, dann werden in verhältnismäßig kurzer Zeit maritime Vorteile für die Vereinigten Staaten erreicht sein, die im Vergleich zur heutigen Lage ein gewaltiges Gewicht in die Wagschale bringen und vor allen Dingen von bleibendem Wert sein dürften. Es bleibt nun noch zu erwägen, wie es mit dem dritten Faktor der ameri¬ kanischen Landesverteidigung, der Armee nämlich, steht, ob sie den an sie zu stellenden Aufgaben gewachsen und in ihrer gegenwärtigen Organisation als ausreichend anzusehen ist, mit einiger Aussicht auf Erfolg den Kampf mit einem modern geschulten und ebenso ausgerüsteten Gegner aufnehmen zu können. Ani auch hier gleich den Kern des Urteils vorweg zu nehmen, kann es nur wie bei der Flotte und dem Küstenschutz dahin lauten, daß die Armee in ihrer heutigen Verfassung nicht als kriegsbereit gelten kann, wenn auch anerkannt werden muß, daß, wie wir später noch näher sehen werden, namentlich Präsident Roosevelt und die unter ihm arbeitenden militärischen Behörden mit Ernst und Nachdruck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/618>, abgerufen am 05.07.2024.