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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Turkmenen in Transkaspien. Die Lisenbahn

erklären: "Wartet damit, bis wir weg sind." Denn sich ins Gesicht anpöbeln
zu lassen, das ist natürlich unter ihrer Würde, und wir verstehen nicht, warum
Lehrer, denen dergleichen widerfährt, sich nicht auf der Stelle entfernen und
die jungen Leute ihren eignen Witzen überlassen. Im schlimmsten Falle bliebe
* ihnen der Weg der gerichtlichen Klage.




Die Turkmenen in Transkasxien. Die Eisenbahn
L?. Toepfer Reiseerimierungen von

le Bevölkerung von Transkaspien*) ist eine Mischbevölkerung, zu
der alle Nachbarn Bestandteile geliefert haben. Den Hauptteil der
Einheimischen bilden die in verschiedne Stämme gespaltnen Turk¬
menen und Kirgisen. Die Kirgisen mögen von der alten lieben Ge¬
wohnheit des Nomadenlebens noch nicht lassen und nehmen alle
die von den Turkmenen frei gelassenen endlosen Steppenstreifen in
Anspruch, wo die Wasserarmut jegliche Bodenbebauung ausschließt. Da man ihre
Vertreter uur vereinzelt in dein Kulturstreifen Transkaspiens antrifft, wollen wir
sie jetzt sich selbst überlassen. Die Turkmenen können dafür um so mehr Interesse
beanspruchen, als sie mehrere nach dem Gewohnheitsrecht zu staatlichen Organi¬
sationen zusammengefaßte Volksgruppen gebildet haben, die sich zwischen stärkern
Nachbarn ihre Existenz zu wahren wußten und noch eine Zukunft haben.

Die stärkste ihrer Volksgruppen, die sich die besten Landstriche genommen
und erhalten hat, sind die Teke (zu deutsch "Bock")-Turkmenen. Mit ihnen
haben wir in der Achat-Teke- und Merw-Oase zu tun gehabt, an ihnen mit
Neugier herumstudiert. Alle andern Turkmenen, Jomuden am Atrek und in
Chiwa, Ssaryks in der Perte-Oase am Murgab, Ssaloren in der Sserachs-
Oase am Tedshen, vielleicht der älteste Stamm, die Goklanen am Atrek,
Ogurdshalen am Kaspischen Meer und noch einige andre, haben sich den
Bedrückungen des herrschenden Stammes der Teke nicht entziehen können und
waren teilweise gern bereit, unter russischer Herrschaft gegen die Stammver¬
wandten zu dienen. Alle, die Teke eingeschlossen, sind sie türkischen Stammes,
dessen Typus sie zur Erscheinung bringen. Aber ein gut Teil kaukasischer
Rasseeigentümlichkeiten hat ihre Art veredelt. Hoher Wuchs, sehnige schlanke
Gestalt^ Langschädelform des Kopfes und gerade Nase zeichnet die Männer aus,
während die Weiber die unschöne türkische Form viel mehr zeigen. Kleine
und kränkliche Leute sind äußerst selten, Wohl weil bei dem beständigen
Mangel an den einfachsten Bequemlichkeiten alle schwächlichen Leute frühzeitig
wegsterben. Die Gesichter sind nicht unbedingt bezaubernd. Braune sonnver¬
brannte Färbung, etwas vorstehende Backenknochen, dünner Vollbart, dunkles
Haar gibt ihnen unter der hohen Lammfellmützc ein etwas unheimliches
Aussehen. Die Kleidung besteht aus einem weißen Baumwollenhemd, eben¬
solchen oder auch dunkeln Hosen und meist zwei übereinander gezognen Chalatcn,
von denen der unterste durch eine wollne Schärpe zusammengehalten wird. Die



*) Nach Khaschko, Gebiet Transkaspien.
Die Turkmenen in Transkaspien. Die Lisenbahn

erklären: „Wartet damit, bis wir weg sind." Denn sich ins Gesicht anpöbeln
zu lassen, das ist natürlich unter ihrer Würde, und wir verstehen nicht, warum
Lehrer, denen dergleichen widerfährt, sich nicht auf der Stelle entfernen und
die jungen Leute ihren eignen Witzen überlassen. Im schlimmsten Falle bliebe
* ihnen der Weg der gerichtlichen Klage.




Die Turkmenen in Transkasxien. Die Eisenbahn
L?. Toepfer Reiseerimierungen von

le Bevölkerung von Transkaspien*) ist eine Mischbevölkerung, zu
der alle Nachbarn Bestandteile geliefert haben. Den Hauptteil der
Einheimischen bilden die in verschiedne Stämme gespaltnen Turk¬
menen und Kirgisen. Die Kirgisen mögen von der alten lieben Ge¬
wohnheit des Nomadenlebens noch nicht lassen und nehmen alle
die von den Turkmenen frei gelassenen endlosen Steppenstreifen in
Anspruch, wo die Wasserarmut jegliche Bodenbebauung ausschließt. Da man ihre
Vertreter uur vereinzelt in dein Kulturstreifen Transkaspiens antrifft, wollen wir
sie jetzt sich selbst überlassen. Die Turkmenen können dafür um so mehr Interesse
beanspruchen, als sie mehrere nach dem Gewohnheitsrecht zu staatlichen Organi¬
sationen zusammengefaßte Volksgruppen gebildet haben, die sich zwischen stärkern
Nachbarn ihre Existenz zu wahren wußten und noch eine Zukunft haben.

Die stärkste ihrer Volksgruppen, die sich die besten Landstriche genommen
und erhalten hat, sind die Teke (zu deutsch „Bock")-Turkmenen. Mit ihnen
haben wir in der Achat-Teke- und Merw-Oase zu tun gehabt, an ihnen mit
Neugier herumstudiert. Alle andern Turkmenen, Jomuden am Atrek und in
Chiwa, Ssaryks in der Perte-Oase am Murgab, Ssaloren in der Sserachs-
Oase am Tedshen, vielleicht der älteste Stamm, die Goklanen am Atrek,
Ogurdshalen am Kaspischen Meer und noch einige andre, haben sich den
Bedrückungen des herrschenden Stammes der Teke nicht entziehen können und
waren teilweise gern bereit, unter russischer Herrschaft gegen die Stammver¬
wandten zu dienen. Alle, die Teke eingeschlossen, sind sie türkischen Stammes,
dessen Typus sie zur Erscheinung bringen. Aber ein gut Teil kaukasischer
Rasseeigentümlichkeiten hat ihre Art veredelt. Hoher Wuchs, sehnige schlanke
Gestalt^ Langschädelform des Kopfes und gerade Nase zeichnet die Männer aus,
während die Weiber die unschöne türkische Form viel mehr zeigen. Kleine
und kränkliche Leute sind äußerst selten, Wohl weil bei dem beständigen
Mangel an den einfachsten Bequemlichkeiten alle schwächlichen Leute frühzeitig
wegsterben. Die Gesichter sind nicht unbedingt bezaubernd. Braune sonnver¬
brannte Färbung, etwas vorstehende Backenknochen, dünner Vollbart, dunkles
Haar gibt ihnen unter der hohen Lammfellmützc ein etwas unheimliches
Aussehen. Die Kleidung besteht aus einem weißen Baumwollenhemd, eben¬
solchen oder auch dunkeln Hosen und meist zwei übereinander gezognen Chalatcn,
von denen der unterste durch eine wollne Schärpe zusammengehalten wird. Die



*) Nach Khaschko, Gebiet Transkaspien.
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[0586] Die Turkmenen in Transkaspien. Die Lisenbahn erklären: „Wartet damit, bis wir weg sind." Denn sich ins Gesicht anpöbeln zu lassen, das ist natürlich unter ihrer Würde, und wir verstehen nicht, warum Lehrer, denen dergleichen widerfährt, sich nicht auf der Stelle entfernen und die jungen Leute ihren eignen Witzen überlassen. Im schlimmsten Falle bliebe * ihnen der Weg der gerichtlichen Klage. Die Turkmenen in Transkasxien. Die Eisenbahn L?. Toepfer Reiseerimierungen von le Bevölkerung von Transkaspien*) ist eine Mischbevölkerung, zu der alle Nachbarn Bestandteile geliefert haben. Den Hauptteil der Einheimischen bilden die in verschiedne Stämme gespaltnen Turk¬ menen und Kirgisen. Die Kirgisen mögen von der alten lieben Ge¬ wohnheit des Nomadenlebens noch nicht lassen und nehmen alle die von den Turkmenen frei gelassenen endlosen Steppenstreifen in Anspruch, wo die Wasserarmut jegliche Bodenbebauung ausschließt. Da man ihre Vertreter uur vereinzelt in dein Kulturstreifen Transkaspiens antrifft, wollen wir sie jetzt sich selbst überlassen. Die Turkmenen können dafür um so mehr Interesse beanspruchen, als sie mehrere nach dem Gewohnheitsrecht zu staatlichen Organi¬ sationen zusammengefaßte Volksgruppen gebildet haben, die sich zwischen stärkern Nachbarn ihre Existenz zu wahren wußten und noch eine Zukunft haben. Die stärkste ihrer Volksgruppen, die sich die besten Landstriche genommen und erhalten hat, sind die Teke (zu deutsch „Bock")-Turkmenen. Mit ihnen haben wir in der Achat-Teke- und Merw-Oase zu tun gehabt, an ihnen mit Neugier herumstudiert. Alle andern Turkmenen, Jomuden am Atrek und in Chiwa, Ssaryks in der Perte-Oase am Murgab, Ssaloren in der Sserachs- Oase am Tedshen, vielleicht der älteste Stamm, die Goklanen am Atrek, Ogurdshalen am Kaspischen Meer und noch einige andre, haben sich den Bedrückungen des herrschenden Stammes der Teke nicht entziehen können und waren teilweise gern bereit, unter russischer Herrschaft gegen die Stammver¬ wandten zu dienen. Alle, die Teke eingeschlossen, sind sie türkischen Stammes, dessen Typus sie zur Erscheinung bringen. Aber ein gut Teil kaukasischer Rasseeigentümlichkeiten hat ihre Art veredelt. Hoher Wuchs, sehnige schlanke Gestalt^ Langschädelform des Kopfes und gerade Nase zeichnet die Männer aus, während die Weiber die unschöne türkische Form viel mehr zeigen. Kleine und kränkliche Leute sind äußerst selten, Wohl weil bei dem beständigen Mangel an den einfachsten Bequemlichkeiten alle schwächlichen Leute frühzeitig wegsterben. Die Gesichter sind nicht unbedingt bezaubernd. Braune sonnver¬ brannte Färbung, etwas vorstehende Backenknochen, dünner Vollbart, dunkles Haar gibt ihnen unter der hohen Lammfellmützc ein etwas unheimliches Aussehen. Die Kleidung besteht aus einem weißen Baumwollenhemd, eben¬ solchen oder auch dunkeln Hosen und meist zwei übereinander gezognen Chalatcn, von denen der unterste durch eine wollne Schärpe zusammengehalten wird. Die *) Nach Khaschko, Gebiet Transkaspien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/586>, abgerufen am 30.06.2024.