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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben

das ist für den gesunden Geschäftsgang anch das einzig Richtige und Normale.
Wenn es aber mit unsern Farben besser werden soll, dann muß die Echtheits¬
frage mehr in den Vordergrund gebracht werden.


3

Wenn wir nun rufen wollten: Echt, echt! statt wie bisher Billig, billig!
so würde uns das gar nichts helfen. Wir können nur dann etwas erreichen,
wenn wir erstens wissen, was für Echtheitseigenschaften wir in jedem einzelnen
Fall brauchen, zweitens, wie weit wir billigerweise mit unsern Ansprüchen
gehen dürfen, und drittens, wie wir uns von der voraussichtlichen Echtheit
einer Färbung überzeugen können.

Also: Wissen, wissen! Daran fehlt es. Wie viele Menschen können
wohl zwischen Wolle und Baumwolle unterscheiden, zwischen mercerisierter
Baumwolle und Seide oder zwischen Kette und Schuß in einem gewebten
Stück? Ich will mich auf keine Schätzung einlassen, bin aber überzeugt, daß
es nur wenige vom Tausend sind. Und doch ist das Erkennen dieser Unter¬
schiede nicht nur nützlich und interessant, sondern auch mit etwas Übung leicht
zu erlernen.

Die Echtheitseigenschaften, die man am häufigsten beansprucht, sind Licht¬
echtheit, Waschechtheit und Vngelechtheit. Dazu kommen dann noch für
besondre Fälle die Reibechtheit, Schweißechtheit, Wasserechtheit (auch gegen
Seewasser) und Echtheit gegen den Einfluß des Straßenschmntzes. Wenn sich
eine Dame die Stoffe für ein neues Kleid auswählt, etwa einen feinen
wollnen Stoff und dazu als Besatz ein Seidenzeug, beides von derselben Farbe,
sagen wir perlgrau--was wünscht die Dame nun, daß nicht geschehen soll?
Erstens, daß Seide und Wolle in verschiedner Weise verschießen, zum Beispiel
die Wolle nach Rot, die Seide nach Blau hin, zweitens, daß die Wolle bei
künstlichem Licht anders gefärbt erscheint als die Seide, während beide bei
Tageslicht gleich sind, drittens, daß sich die Seide viel schneller abnützt als die
Wolle, viertens, daß der untre Saum des Rockes durch Staub und Schmutz
dauernd eine andre Farbe annimmt als die ursprüngliche, fünftens, daß sich
an bestimmten Stellen mißfarbige Änderungen des Tons bilden, Sechstens, daß
beim Glattbügeln der Stoff seine Farbe verändert oder seinen Glanz verliert
oder einen Glanz bekommt, den er vorher nicht gehabt hat, und Siebentens, daß
der Stoff oder das Futter des Kleides abreibt und dadurch weiße Kragen, die
Leibwäsche oder die Unterkleider beschmutzt.

Da haben wir gleich sieben böse Fehler, die der Dame die Freude an
dem Kleide gründlich verderben, auch wenn sie nicht alle zugleich auftreten,
zwei bis drei genügen schon vollkommen. Und alle können vermieden werden,
wenn die Dame mit Sorgfalt und etwas Sachkenntnis ihre Wahl trifft. Denn
man soll nicht etwa glauben, es gäbe nicht echte Stoffe genug, besonders in
Wolle und Seide -- man muß sie nur zu finden und zu erkennen wissen. Wenn


Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben

das ist für den gesunden Geschäftsgang anch das einzig Richtige und Normale.
Wenn es aber mit unsern Farben besser werden soll, dann muß die Echtheits¬
frage mehr in den Vordergrund gebracht werden.


3

Wenn wir nun rufen wollten: Echt, echt! statt wie bisher Billig, billig!
so würde uns das gar nichts helfen. Wir können nur dann etwas erreichen,
wenn wir erstens wissen, was für Echtheitseigenschaften wir in jedem einzelnen
Fall brauchen, zweitens, wie weit wir billigerweise mit unsern Ansprüchen
gehen dürfen, und drittens, wie wir uns von der voraussichtlichen Echtheit
einer Färbung überzeugen können.

Also: Wissen, wissen! Daran fehlt es. Wie viele Menschen können
wohl zwischen Wolle und Baumwolle unterscheiden, zwischen mercerisierter
Baumwolle und Seide oder zwischen Kette und Schuß in einem gewebten
Stück? Ich will mich auf keine Schätzung einlassen, bin aber überzeugt, daß
es nur wenige vom Tausend sind. Und doch ist das Erkennen dieser Unter¬
schiede nicht nur nützlich und interessant, sondern auch mit etwas Übung leicht
zu erlernen.

Die Echtheitseigenschaften, die man am häufigsten beansprucht, sind Licht¬
echtheit, Waschechtheit und Vngelechtheit. Dazu kommen dann noch für
besondre Fälle die Reibechtheit, Schweißechtheit, Wasserechtheit (auch gegen
Seewasser) und Echtheit gegen den Einfluß des Straßenschmntzes. Wenn sich
eine Dame die Stoffe für ein neues Kleid auswählt, etwa einen feinen
wollnen Stoff und dazu als Besatz ein Seidenzeug, beides von derselben Farbe,
sagen wir perlgrau—was wünscht die Dame nun, daß nicht geschehen soll?
Erstens, daß Seide und Wolle in verschiedner Weise verschießen, zum Beispiel
die Wolle nach Rot, die Seide nach Blau hin, zweitens, daß die Wolle bei
künstlichem Licht anders gefärbt erscheint als die Seide, während beide bei
Tageslicht gleich sind, drittens, daß sich die Seide viel schneller abnützt als die
Wolle, viertens, daß der untre Saum des Rockes durch Staub und Schmutz
dauernd eine andre Farbe annimmt als die ursprüngliche, fünftens, daß sich
an bestimmten Stellen mißfarbige Änderungen des Tons bilden, Sechstens, daß
beim Glattbügeln der Stoff seine Farbe verändert oder seinen Glanz verliert
oder einen Glanz bekommt, den er vorher nicht gehabt hat, und Siebentens, daß
der Stoff oder das Futter des Kleides abreibt und dadurch weiße Kragen, die
Leibwäsche oder die Unterkleider beschmutzt.

Da haben wir gleich sieben böse Fehler, die der Dame die Freude an
dem Kleide gründlich verderben, auch wenn sie nicht alle zugleich auftreten,
zwei bis drei genügen schon vollkommen. Und alle können vermieden werden,
wenn die Dame mit Sorgfalt und etwas Sachkenntnis ihre Wahl trifft. Denn
man soll nicht etwa glauben, es gäbe nicht echte Stoffe genug, besonders in
Wolle und Seide — man muß sie nur zu finden und zu erkennen wissen. Wenn


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[0540] Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben das ist für den gesunden Geschäftsgang anch das einzig Richtige und Normale. Wenn es aber mit unsern Farben besser werden soll, dann muß die Echtheits¬ frage mehr in den Vordergrund gebracht werden. 3 Wenn wir nun rufen wollten: Echt, echt! statt wie bisher Billig, billig! so würde uns das gar nichts helfen. Wir können nur dann etwas erreichen, wenn wir erstens wissen, was für Echtheitseigenschaften wir in jedem einzelnen Fall brauchen, zweitens, wie weit wir billigerweise mit unsern Ansprüchen gehen dürfen, und drittens, wie wir uns von der voraussichtlichen Echtheit einer Färbung überzeugen können. Also: Wissen, wissen! Daran fehlt es. Wie viele Menschen können wohl zwischen Wolle und Baumwolle unterscheiden, zwischen mercerisierter Baumwolle und Seide oder zwischen Kette und Schuß in einem gewebten Stück? Ich will mich auf keine Schätzung einlassen, bin aber überzeugt, daß es nur wenige vom Tausend sind. Und doch ist das Erkennen dieser Unter¬ schiede nicht nur nützlich und interessant, sondern auch mit etwas Übung leicht zu erlernen. Die Echtheitseigenschaften, die man am häufigsten beansprucht, sind Licht¬ echtheit, Waschechtheit und Vngelechtheit. Dazu kommen dann noch für besondre Fälle die Reibechtheit, Schweißechtheit, Wasserechtheit (auch gegen Seewasser) und Echtheit gegen den Einfluß des Straßenschmntzes. Wenn sich eine Dame die Stoffe für ein neues Kleid auswählt, etwa einen feinen wollnen Stoff und dazu als Besatz ein Seidenzeug, beides von derselben Farbe, sagen wir perlgrau—was wünscht die Dame nun, daß nicht geschehen soll? Erstens, daß Seide und Wolle in verschiedner Weise verschießen, zum Beispiel die Wolle nach Rot, die Seide nach Blau hin, zweitens, daß die Wolle bei künstlichem Licht anders gefärbt erscheint als die Seide, während beide bei Tageslicht gleich sind, drittens, daß sich die Seide viel schneller abnützt als die Wolle, viertens, daß der untre Saum des Rockes durch Staub und Schmutz dauernd eine andre Farbe annimmt als die ursprüngliche, fünftens, daß sich an bestimmten Stellen mißfarbige Änderungen des Tons bilden, Sechstens, daß beim Glattbügeln der Stoff seine Farbe verändert oder seinen Glanz verliert oder einen Glanz bekommt, den er vorher nicht gehabt hat, und Siebentens, daß der Stoff oder das Futter des Kleides abreibt und dadurch weiße Kragen, die Leibwäsche oder die Unterkleider beschmutzt. Da haben wir gleich sieben böse Fehler, die der Dame die Freude an dem Kleide gründlich verderben, auch wenn sie nicht alle zugleich auftreten, zwei bis drei genügen schon vollkommen. Und alle können vermieden werden, wenn die Dame mit Sorgfalt und etwas Sachkenntnis ihre Wahl trifft. Denn man soll nicht etwa glauben, es gäbe nicht echte Stoffe genug, besonders in Wolle und Seide — man muß sie nur zu finden und zu erkennen wissen. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/540>, abgerufen am 23.06.2024.