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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aufforderung zum Aampf gegen die unechten Farben

Wieder mnündern lassen müssen! , Wir wollen überall das kaufen können,
was uns gefällt, und es kaufen, weil es uns gefällt, und weil es eine Ab-
wechslung bietet, nicht weil es echt ist!

Nun, auch wenn ich das zugebe, hätten die Frauen das Echte obendrein
nicht doch noch lieber? Und die Teppiche, Vorhänge und Möbelstoffe sollen
doch gewiß nicht alle Jahre erneuert werden. Und wenn mau ein getragnes
Stück für ein Kinderkleid verarbeiten lassen oder verschenken will, eben weil
es langweilig geworden oder weil es aus der Mode gekommen ist -- ist es
nicht auch für die liebe" "Nächsten", die es tragen, besser, wenn es echt als
wenn es verschossen ist? Und die Buntwebereien und sonstige!, gefärbten
Stoffe, die einen Teil der Aussteuer junger Frauen bilden mögen, sollen doch
gewiß so lange wie möglich frisch und schön erhalten bleiben.

Oder sollte gar der Sinn für die Farben bei uns im Verfall begriffen
sein? Mit andern Worten: nimmt bei uns das feine Gefühl für die Farbe",
ihre Abstufungen und Zusammenstellungen ab? Haben wir nicht mehr die
feine Wahrnehmung für überraschende oder wohltuende Farbenwirkungen wie
unsre Eltern und Großeltern? Ich glaube nicht, daß darin eine ernstliche
Verschlimmerung eingetreten ist, jedenfalls sollte es noch nicht zu spät sein, sie
einzuhalten. Die Freude an den Schönheiten der Natur ist doch wohl so
rege wie je; es ist jedoch nicht unmöglich, daß durch das viele Photographiereu
in deu letzten Jahrzehnten der Sinn für die Formen, für die Licht- und
Schattenwirkungen auf Kosten des Feingefühls für die eigentlichen Farben¬
wirkungen bei vielen mehr ausgebildet worden ist.

Die Farben in unserm Haus, die Farben, die wir da täglich vor Augen
haben, wie steht es damit? Sehen wir sie gar nicht mehr, sobald wir an
unsre Umgebung gewöhnt sind, oder bleiben sie in unsrer Erinnerung "wie
neu"? Oder aber habe" wir uns so daran gewöhnt, daß sie doch verschießen,
und zwar ungleich, daß wir das schon gar nicht mehr beachte", oder gar, daß
es uns wohnlich nud behaglich scheint? Das allerdings wäre ein bedenklicher
Schwüchezustand.

Auch die Ungläubigen und die Zweifler, die doch immer noch denken, es
seien der Verkäufer, der Fabrikant, der Färber und die Farbenfabriken, denen
die Hauptschuld zufalle, weil sie den, Publikum immer wieder mit billigern
Ersatzprodukten kämen, werden mir zugeben, daß Abhilfe, wirkliche, dauernde,
gründliche Abhilfe nur vom Publikum kommen kann. Die Farben wandern
von ihrer Entstehung an bis in den Laden, wo sie auf dem fertigen Stoff
sitzen, gewissermaßen nur von einem Verkäufer zum andern, und erst das
Publikum ist dann der eigentliche endliche Käufer. Und bis die Färbung in
diese letzten Hände kommt, sind für ihre Entstehung ausschließlich Handels¬
und Preisfragen maßgebend. Auch wenn diese Preisfragen mittelbar vom
Publikum herrühren, werden sie, welcher Natur sie auch sein mögen, von den
Geschäftsleuten um in Mark und Pfennigen berechnet und ausgedrückt. Und


Aufforderung zum Aampf gegen die unechten Farben

Wieder mnündern lassen müssen! , Wir wollen überall das kaufen können,
was uns gefällt, und es kaufen, weil es uns gefällt, und weil es eine Ab-
wechslung bietet, nicht weil es echt ist!

Nun, auch wenn ich das zugebe, hätten die Frauen das Echte obendrein
nicht doch noch lieber? Und die Teppiche, Vorhänge und Möbelstoffe sollen
doch gewiß nicht alle Jahre erneuert werden. Und wenn mau ein getragnes
Stück für ein Kinderkleid verarbeiten lassen oder verschenken will, eben weil
es langweilig geworden oder weil es aus der Mode gekommen ist — ist es
nicht auch für die liebe« „Nächsten", die es tragen, besser, wenn es echt als
wenn es verschossen ist? Und die Buntwebereien und sonstige!, gefärbten
Stoffe, die einen Teil der Aussteuer junger Frauen bilden mögen, sollen doch
gewiß so lange wie möglich frisch und schön erhalten bleiben.

Oder sollte gar der Sinn für die Farben bei uns im Verfall begriffen
sein? Mit andern Worten: nimmt bei uns das feine Gefühl für die Farbe»,
ihre Abstufungen und Zusammenstellungen ab? Haben wir nicht mehr die
feine Wahrnehmung für überraschende oder wohltuende Farbenwirkungen wie
unsre Eltern und Großeltern? Ich glaube nicht, daß darin eine ernstliche
Verschlimmerung eingetreten ist, jedenfalls sollte es noch nicht zu spät sein, sie
einzuhalten. Die Freude an den Schönheiten der Natur ist doch wohl so
rege wie je; es ist jedoch nicht unmöglich, daß durch das viele Photographiereu
in deu letzten Jahrzehnten der Sinn für die Formen, für die Licht- und
Schattenwirkungen auf Kosten des Feingefühls für die eigentlichen Farben¬
wirkungen bei vielen mehr ausgebildet worden ist.

Die Farben in unserm Haus, die Farben, die wir da täglich vor Augen
haben, wie steht es damit? Sehen wir sie gar nicht mehr, sobald wir an
unsre Umgebung gewöhnt sind, oder bleiben sie in unsrer Erinnerung „wie
neu"? Oder aber habe» wir uns so daran gewöhnt, daß sie doch verschießen,
und zwar ungleich, daß wir das schon gar nicht mehr beachte«, oder gar, daß
es uns wohnlich nud behaglich scheint? Das allerdings wäre ein bedenklicher
Schwüchezustand.

Auch die Ungläubigen und die Zweifler, die doch immer noch denken, es
seien der Verkäufer, der Fabrikant, der Färber und die Farbenfabriken, denen
die Hauptschuld zufalle, weil sie den, Publikum immer wieder mit billigern
Ersatzprodukten kämen, werden mir zugeben, daß Abhilfe, wirkliche, dauernde,
gründliche Abhilfe nur vom Publikum kommen kann. Die Farben wandern
von ihrer Entstehung an bis in den Laden, wo sie auf dem fertigen Stoff
sitzen, gewissermaßen nur von einem Verkäufer zum andern, und erst das
Publikum ist dann der eigentliche endliche Käufer. Und bis die Färbung in
diese letzten Hände kommt, sind für ihre Entstehung ausschließlich Handels¬
und Preisfragen maßgebend. Auch wenn diese Preisfragen mittelbar vom
Publikum herrühren, werden sie, welcher Natur sie auch sein mögen, von den
Geschäftsleuten um in Mark und Pfennigen berechnet und ausgedrückt. Und


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[0539] Aufforderung zum Aampf gegen die unechten Farben Wieder mnündern lassen müssen! , Wir wollen überall das kaufen können, was uns gefällt, und es kaufen, weil es uns gefällt, und weil es eine Ab- wechslung bietet, nicht weil es echt ist! Nun, auch wenn ich das zugebe, hätten die Frauen das Echte obendrein nicht doch noch lieber? Und die Teppiche, Vorhänge und Möbelstoffe sollen doch gewiß nicht alle Jahre erneuert werden. Und wenn mau ein getragnes Stück für ein Kinderkleid verarbeiten lassen oder verschenken will, eben weil es langweilig geworden oder weil es aus der Mode gekommen ist — ist es nicht auch für die liebe« „Nächsten", die es tragen, besser, wenn es echt als wenn es verschossen ist? Und die Buntwebereien und sonstige!, gefärbten Stoffe, die einen Teil der Aussteuer junger Frauen bilden mögen, sollen doch gewiß so lange wie möglich frisch und schön erhalten bleiben. Oder sollte gar der Sinn für die Farben bei uns im Verfall begriffen sein? Mit andern Worten: nimmt bei uns das feine Gefühl für die Farbe», ihre Abstufungen und Zusammenstellungen ab? Haben wir nicht mehr die feine Wahrnehmung für überraschende oder wohltuende Farbenwirkungen wie unsre Eltern und Großeltern? Ich glaube nicht, daß darin eine ernstliche Verschlimmerung eingetreten ist, jedenfalls sollte es noch nicht zu spät sein, sie einzuhalten. Die Freude an den Schönheiten der Natur ist doch wohl so rege wie je; es ist jedoch nicht unmöglich, daß durch das viele Photographiereu in deu letzten Jahrzehnten der Sinn für die Formen, für die Licht- und Schattenwirkungen auf Kosten des Feingefühls für die eigentlichen Farben¬ wirkungen bei vielen mehr ausgebildet worden ist. Die Farben in unserm Haus, die Farben, die wir da täglich vor Augen haben, wie steht es damit? Sehen wir sie gar nicht mehr, sobald wir an unsre Umgebung gewöhnt sind, oder bleiben sie in unsrer Erinnerung „wie neu"? Oder aber habe» wir uns so daran gewöhnt, daß sie doch verschießen, und zwar ungleich, daß wir das schon gar nicht mehr beachte«, oder gar, daß es uns wohnlich nud behaglich scheint? Das allerdings wäre ein bedenklicher Schwüchezustand. Auch die Ungläubigen und die Zweifler, die doch immer noch denken, es seien der Verkäufer, der Fabrikant, der Färber und die Farbenfabriken, denen die Hauptschuld zufalle, weil sie den, Publikum immer wieder mit billigern Ersatzprodukten kämen, werden mir zugeben, daß Abhilfe, wirkliche, dauernde, gründliche Abhilfe nur vom Publikum kommen kann. Die Farben wandern von ihrer Entstehung an bis in den Laden, wo sie auf dem fertigen Stoff sitzen, gewissermaßen nur von einem Verkäufer zum andern, und erst das Publikum ist dann der eigentliche endliche Käufer. Und bis die Färbung in diese letzten Hände kommt, sind für ihre Entstehung ausschließlich Handels¬ und Preisfragen maßgebend. Auch wenn diese Preisfragen mittelbar vom Publikum herrühren, werden sie, welcher Natur sie auch sein mögen, von den Geschäftsleuten um in Mark und Pfennigen berechnet und ausgedrückt. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/539>, abgerufen am 04.07.2024.