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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

einen sehr kleinen Teil von dem, was er liest, aneignen, gerade so wie der Leib nur
die feinere Essenz der Nahrung, die er aufnimmt, sich einverleibt.

Nach diesen Grundsätzen werden nun die einzelnen Schrift- und Kunst¬
werke beurteilt. So wird an Monna Vanua die historische Unmöglichkeit des
Vorgangs und die "pikant-unreinliche Raffiniertheit des Problems" hervor¬
gehoben. Man könnte solche Erzeugnisse pathologisch behandeln, aber die
Literatnrpathographie, die Möbius in die Mode gebracht hat, wird als eine
Verirrung verworfen. Nicht bloß werde dadurch das wahre Verständnis nicht
gefördert, sondern ernstlich gefährdet. "Die Methode, mit der heute schon
mancher Banause Erscheinungen, die seinen Horizont überragen, bewältigt, das
"Ach was, verrücktes Zeug!", bekäme so eine Art von wissenschaftlicher Be¬
rechtigung, und diese "Wissenschaft" würde nicht mehr der Erkenntnis, sondern
der Verkennung dienen. In diesem Endeffekt würden schließlich die patho-
graphischen Klatschgeschichten nicht viel anders wirken wie die pornographischen.
Und darum dürfen sie hier zusammengerannt werden, so wenig wir ihre
Autoren im übrigen auf eine Stufe stellen wollen. Eines aber gilt für beide
auch von unsrer Seite: Hand weg!" Ein Wiener Priesterdrama (Liebes¬
sünden von Joseph Werkmann, wie sich der Verfasser, ein Tischlermeister
Medelsky, nennt) wird als ästhetisch ziemlich wertlos bezeichnet. Doch, heißt
es in der Rezension unter anderm, mache sich die Tendenz, den Priester dem
Gekicher der Zuschauer preiszugeben, nicht so fühlbar wie in Anzengrubers
Pfarrer von Kirchfeld. Der geistliche Gegenspieler des Sünders erwecke
Sympathie. Solchen Stücken gegenüber sei die Aufgabe der katholischen Presse
nicht eben leicht. Man habe dem nicht bedeutenden, wenn auch talentvollen
Stücke Werkmanns eine ausführliche Betrachtung gewidmet, um zum Schluß
daran zu erinnern, daß die lobenden Kritiker für sich allein kaum imstande
gewesen sein würden, dem Stücke die Aufmerksamkeit des Publikums zuzu¬
wenden, wenn nicht der entrüstete Tadel katholischer Blätter dafür Reklame
gemacht hätte. Totschweigen sei freilich bei so lauten Erscheinungen, wie das
Theater eine ist, auch nicht das richtige Mittel. "Da heißt es, mit feinern
Waffen kämpfen. Man bespreche das Stück ruhig und kühl und suche es da
zu treffen, wo es tödlich ist. Diese Stelle in unserm Drama glaube ich ge¬
zeigt zu haben. Wem es nun trotzdem Vergnügen macht, sich das Stück an¬
zusehen, nun, dem kaun mans nicht wehren. Aber ich glaube, ihrer viele
dürftenö kaum sein. Denn im selben Maße, wie heftiger Lärm gegen eine
Sache als ungewollte Reklame dafür wirkt, ebenso wirkt eine ruhige, aber ihre
Streiche sicher und geräuschlos führende Kritik erkältend." Eine sehr schöne
Studie von Englert stellt "Goethes Faust im Lichte des Christentums" dar.
Parzival würde eine vollkommnere Verkörperung der dem Drama zugrunde
liegenden Idee gewesen sein, aber für Goethe wäre diese Gestalt "zu wunder¬
gläubig-mystisch, zu mittelalterlich-katholisch" gewesen. "Anders Stands um
ihn und um die Faustgestalt, besonders in deren nachmittelalterlicher E"t-


Katholische Belletristik und Publizistik

einen sehr kleinen Teil von dem, was er liest, aneignen, gerade so wie der Leib nur
die feinere Essenz der Nahrung, die er aufnimmt, sich einverleibt.

Nach diesen Grundsätzen werden nun die einzelnen Schrift- und Kunst¬
werke beurteilt. So wird an Monna Vanua die historische Unmöglichkeit des
Vorgangs und die „pikant-unreinliche Raffiniertheit des Problems" hervor¬
gehoben. Man könnte solche Erzeugnisse pathologisch behandeln, aber die
Literatnrpathographie, die Möbius in die Mode gebracht hat, wird als eine
Verirrung verworfen. Nicht bloß werde dadurch das wahre Verständnis nicht
gefördert, sondern ernstlich gefährdet. „Die Methode, mit der heute schon
mancher Banause Erscheinungen, die seinen Horizont überragen, bewältigt, das
»Ach was, verrücktes Zeug!«, bekäme so eine Art von wissenschaftlicher Be¬
rechtigung, und diese »Wissenschaft« würde nicht mehr der Erkenntnis, sondern
der Verkennung dienen. In diesem Endeffekt würden schließlich die patho-
graphischen Klatschgeschichten nicht viel anders wirken wie die pornographischen.
Und darum dürfen sie hier zusammengerannt werden, so wenig wir ihre
Autoren im übrigen auf eine Stufe stellen wollen. Eines aber gilt für beide
auch von unsrer Seite: Hand weg!" Ein Wiener Priesterdrama (Liebes¬
sünden von Joseph Werkmann, wie sich der Verfasser, ein Tischlermeister
Medelsky, nennt) wird als ästhetisch ziemlich wertlos bezeichnet. Doch, heißt
es in der Rezension unter anderm, mache sich die Tendenz, den Priester dem
Gekicher der Zuschauer preiszugeben, nicht so fühlbar wie in Anzengrubers
Pfarrer von Kirchfeld. Der geistliche Gegenspieler des Sünders erwecke
Sympathie. Solchen Stücken gegenüber sei die Aufgabe der katholischen Presse
nicht eben leicht. Man habe dem nicht bedeutenden, wenn auch talentvollen
Stücke Werkmanns eine ausführliche Betrachtung gewidmet, um zum Schluß
daran zu erinnern, daß die lobenden Kritiker für sich allein kaum imstande
gewesen sein würden, dem Stücke die Aufmerksamkeit des Publikums zuzu¬
wenden, wenn nicht der entrüstete Tadel katholischer Blätter dafür Reklame
gemacht hätte. Totschweigen sei freilich bei so lauten Erscheinungen, wie das
Theater eine ist, auch nicht das richtige Mittel. „Da heißt es, mit feinern
Waffen kämpfen. Man bespreche das Stück ruhig und kühl und suche es da
zu treffen, wo es tödlich ist. Diese Stelle in unserm Drama glaube ich ge¬
zeigt zu haben. Wem es nun trotzdem Vergnügen macht, sich das Stück an¬
zusehen, nun, dem kaun mans nicht wehren. Aber ich glaube, ihrer viele
dürftenö kaum sein. Denn im selben Maße, wie heftiger Lärm gegen eine
Sache als ungewollte Reklame dafür wirkt, ebenso wirkt eine ruhige, aber ihre
Streiche sicher und geräuschlos führende Kritik erkältend." Eine sehr schöne
Studie von Englert stellt „Goethes Faust im Lichte des Christentums" dar.
Parzival würde eine vollkommnere Verkörperung der dem Drama zugrunde
liegenden Idee gewesen sein, aber für Goethe wäre diese Gestalt „zu wunder¬
gläubig-mystisch, zu mittelalterlich-katholisch" gewesen. „Anders Stands um
ihn und um die Faustgestalt, besonders in deren nachmittelalterlicher E»t-


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[0525] Katholische Belletristik und Publizistik einen sehr kleinen Teil von dem, was er liest, aneignen, gerade so wie der Leib nur die feinere Essenz der Nahrung, die er aufnimmt, sich einverleibt. Nach diesen Grundsätzen werden nun die einzelnen Schrift- und Kunst¬ werke beurteilt. So wird an Monna Vanua die historische Unmöglichkeit des Vorgangs und die „pikant-unreinliche Raffiniertheit des Problems" hervor¬ gehoben. Man könnte solche Erzeugnisse pathologisch behandeln, aber die Literatnrpathographie, die Möbius in die Mode gebracht hat, wird als eine Verirrung verworfen. Nicht bloß werde dadurch das wahre Verständnis nicht gefördert, sondern ernstlich gefährdet. „Die Methode, mit der heute schon mancher Banause Erscheinungen, die seinen Horizont überragen, bewältigt, das »Ach was, verrücktes Zeug!«, bekäme so eine Art von wissenschaftlicher Be¬ rechtigung, und diese »Wissenschaft« würde nicht mehr der Erkenntnis, sondern der Verkennung dienen. In diesem Endeffekt würden schließlich die patho- graphischen Klatschgeschichten nicht viel anders wirken wie die pornographischen. Und darum dürfen sie hier zusammengerannt werden, so wenig wir ihre Autoren im übrigen auf eine Stufe stellen wollen. Eines aber gilt für beide auch von unsrer Seite: Hand weg!" Ein Wiener Priesterdrama (Liebes¬ sünden von Joseph Werkmann, wie sich der Verfasser, ein Tischlermeister Medelsky, nennt) wird als ästhetisch ziemlich wertlos bezeichnet. Doch, heißt es in der Rezension unter anderm, mache sich die Tendenz, den Priester dem Gekicher der Zuschauer preiszugeben, nicht so fühlbar wie in Anzengrubers Pfarrer von Kirchfeld. Der geistliche Gegenspieler des Sünders erwecke Sympathie. Solchen Stücken gegenüber sei die Aufgabe der katholischen Presse nicht eben leicht. Man habe dem nicht bedeutenden, wenn auch talentvollen Stücke Werkmanns eine ausführliche Betrachtung gewidmet, um zum Schluß daran zu erinnern, daß die lobenden Kritiker für sich allein kaum imstande gewesen sein würden, dem Stücke die Aufmerksamkeit des Publikums zuzu¬ wenden, wenn nicht der entrüstete Tadel katholischer Blätter dafür Reklame gemacht hätte. Totschweigen sei freilich bei so lauten Erscheinungen, wie das Theater eine ist, auch nicht das richtige Mittel. „Da heißt es, mit feinern Waffen kämpfen. Man bespreche das Stück ruhig und kühl und suche es da zu treffen, wo es tödlich ist. Diese Stelle in unserm Drama glaube ich ge¬ zeigt zu haben. Wem es nun trotzdem Vergnügen macht, sich das Stück an¬ zusehen, nun, dem kaun mans nicht wehren. Aber ich glaube, ihrer viele dürftenö kaum sein. Denn im selben Maße, wie heftiger Lärm gegen eine Sache als ungewollte Reklame dafür wirkt, ebenso wirkt eine ruhige, aber ihre Streiche sicher und geräuschlos führende Kritik erkältend." Eine sehr schöne Studie von Englert stellt „Goethes Faust im Lichte des Christentums" dar. Parzival würde eine vollkommnere Verkörperung der dem Drama zugrunde liegenden Idee gewesen sein, aber für Goethe wäre diese Gestalt „zu wunder¬ gläubig-mystisch, zu mittelalterlich-katholisch" gewesen. „Anders Stands um ihn und um die Faustgestalt, besonders in deren nachmittelalterlicher E»t-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/525>, abgerufen am 24.07.2024.