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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Veteranen

Wenn wir den Verlauf des Prozesses riickgewcmdt überblicken, finden wir, daß
weder Naturalismus noch Symbolismus oder Neuromantik als Bezeichnungen
für den Kern und Inhalt der Entwicklung ausreichen, sondern daß wir zu¬
sammenfassend nur das, freilich auch fremdländische, aber unübersetzbare Wort
"Impressionismus" brauchen können. Dann ordnet sich die wirre Fülle der
Gestalter und Gestalten sofort ein. Die Vorzüge der schlagkräftigen, bildhaften
Lyrik Detlevs von Liliencron sind genau so impressionistisch wie die Mängel
von Gerhart Hauptmanns "Florian Geyer"; an dem Riesenstoff, den der Dichter
zwingen wollte, rang er sich, bei allem Gelingen in prachtvollen Einzelheiten,
wund, weil er sich eben in diese Einzelheiten immer wieder verlor und eine
beherrschende Gestalt nicht in die bewegten, mosaikartig anmutenden Bilder
hineinstellte. Und wenn man an der Verwandtschaft Wilhelm Specks oder
Gustav Frensfens in seinen schönen, ältern Sachen mit der Zeit zweifelt, so sei
daran erinnert, wie viel der "Jörn Abt" Hermann Sudermann zu danken hat,
und wie doch bei Speck Dostojewski hier und da durch das deutsche Gewand
leise mahnend greift. Freilich wollen wir ja nicht vergessen, daß gerade die
tiefsten und reifsten Werke der Gegenwart nicht nur ihrer Zeit verpflichtet sind
-- wann wäre das auch bei den Besten je der Fall gewesen? --, sondern daß
ihre Wurzeln sehr viel weiter zurückreichen, zum mindesten in die große Zeit
der poetischen Realisten in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangnen
Säkulums.

Die äußere Bewegung mit ihrer Streitsucht und ihren Menschlichkeiten ist,
wie ich das erst in meinem letzten Grenzbotenaufsatz ausgeführt habe, vorüber.
Die Generation, mit der sie begann, hat schon mehr als einen Toten begraben
müssen und steht heute im allgemeinen auf der Mittagshöhe des Lebens, in
den vierziger. Man kann Anfang und Ende der "Moderne" ohne Zwang auf
zwei äußere Ereignisse legen, zwei Feiern, in denen sich aussprach, was damals
weithin empfunden wurde. Ich meine Theodor Fontanes siebzigsten Geburtstag
um die Wende von 1889 und 1890 und Wilhelm Naabes im September 1901.
Das Fontanefest brachte das seltene Schauspiel, daß ein greiser Poet, der trotz
hinreißenden und volkstümlich gewordnen Schöpfungen lange wenig beachtet
in der Ecke stand, nach seinem eignen Wort von der Jugend auf den Schild
erhoben wurde. Der preußische Balladendichter des Tunnels über der Spree,
der Nachfahr Strachwitzens, der Wanderer durch die Mark wurde als der Er¬
zähler Berliner Lebens anerkannt, in dem die Jungen Blut vou ihrem Blut
spürten. Der Ruhm, den Adolf Stern und andre vergeblich für Theodor Fon¬
tane zu erkämpfen gestrebt hatten, fiel ihm als Kranz auf das greise Haupt,
aus dem so jugendliche Augen blickten. Und kam er von andrer Seite, als
von wo der Dichter ihn sich erwartet und auch wohl erhofft hatte -- er war
doch da; und es war hübsch, wie inmitten des allgemeinen Sturms gegen über-
kommne Scheingröße "ut leider auch gegen echtes Verdienst hier einem der
Alten Blumen und Ehren gestreut wurden. Auch Wilhelm Rande nahte am


Zwei Veteranen

Wenn wir den Verlauf des Prozesses riickgewcmdt überblicken, finden wir, daß
weder Naturalismus noch Symbolismus oder Neuromantik als Bezeichnungen
für den Kern und Inhalt der Entwicklung ausreichen, sondern daß wir zu¬
sammenfassend nur das, freilich auch fremdländische, aber unübersetzbare Wort
„Impressionismus" brauchen können. Dann ordnet sich die wirre Fülle der
Gestalter und Gestalten sofort ein. Die Vorzüge der schlagkräftigen, bildhaften
Lyrik Detlevs von Liliencron sind genau so impressionistisch wie die Mängel
von Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer"; an dem Riesenstoff, den der Dichter
zwingen wollte, rang er sich, bei allem Gelingen in prachtvollen Einzelheiten,
wund, weil er sich eben in diese Einzelheiten immer wieder verlor und eine
beherrschende Gestalt nicht in die bewegten, mosaikartig anmutenden Bilder
hineinstellte. Und wenn man an der Verwandtschaft Wilhelm Specks oder
Gustav Frensfens in seinen schönen, ältern Sachen mit der Zeit zweifelt, so sei
daran erinnert, wie viel der „Jörn Abt" Hermann Sudermann zu danken hat,
und wie doch bei Speck Dostojewski hier und da durch das deutsche Gewand
leise mahnend greift. Freilich wollen wir ja nicht vergessen, daß gerade die
tiefsten und reifsten Werke der Gegenwart nicht nur ihrer Zeit verpflichtet sind
— wann wäre das auch bei den Besten je der Fall gewesen? —, sondern daß
ihre Wurzeln sehr viel weiter zurückreichen, zum mindesten in die große Zeit
der poetischen Realisten in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangnen
Säkulums.

Die äußere Bewegung mit ihrer Streitsucht und ihren Menschlichkeiten ist,
wie ich das erst in meinem letzten Grenzbotenaufsatz ausgeführt habe, vorüber.
Die Generation, mit der sie begann, hat schon mehr als einen Toten begraben
müssen und steht heute im allgemeinen auf der Mittagshöhe des Lebens, in
den vierziger. Man kann Anfang und Ende der „Moderne" ohne Zwang auf
zwei äußere Ereignisse legen, zwei Feiern, in denen sich aussprach, was damals
weithin empfunden wurde. Ich meine Theodor Fontanes siebzigsten Geburtstag
um die Wende von 1889 und 1890 und Wilhelm Naabes im September 1901.
Das Fontanefest brachte das seltene Schauspiel, daß ein greiser Poet, der trotz
hinreißenden und volkstümlich gewordnen Schöpfungen lange wenig beachtet
in der Ecke stand, nach seinem eignen Wort von der Jugend auf den Schild
erhoben wurde. Der preußische Balladendichter des Tunnels über der Spree,
der Nachfahr Strachwitzens, der Wanderer durch die Mark wurde als der Er¬
zähler Berliner Lebens anerkannt, in dem die Jungen Blut vou ihrem Blut
spürten. Der Ruhm, den Adolf Stern und andre vergeblich für Theodor Fon¬
tane zu erkämpfen gestrebt hatten, fiel ihm als Kranz auf das greise Haupt,
aus dem so jugendliche Augen blickten. Und kam er von andrer Seite, als
von wo der Dichter ihn sich erwartet und auch wohl erhofft hatte — er war
doch da; und es war hübsch, wie inmitten des allgemeinen Sturms gegen über-
kommne Scheingröße »ut leider auch gegen echtes Verdienst hier einem der
Alten Blumen und Ehren gestreut wurden. Auch Wilhelm Rande nahte am


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[0477] Zwei Veteranen Wenn wir den Verlauf des Prozesses riickgewcmdt überblicken, finden wir, daß weder Naturalismus noch Symbolismus oder Neuromantik als Bezeichnungen für den Kern und Inhalt der Entwicklung ausreichen, sondern daß wir zu¬ sammenfassend nur das, freilich auch fremdländische, aber unübersetzbare Wort „Impressionismus" brauchen können. Dann ordnet sich die wirre Fülle der Gestalter und Gestalten sofort ein. Die Vorzüge der schlagkräftigen, bildhaften Lyrik Detlevs von Liliencron sind genau so impressionistisch wie die Mängel von Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer"; an dem Riesenstoff, den der Dichter zwingen wollte, rang er sich, bei allem Gelingen in prachtvollen Einzelheiten, wund, weil er sich eben in diese Einzelheiten immer wieder verlor und eine beherrschende Gestalt nicht in die bewegten, mosaikartig anmutenden Bilder hineinstellte. Und wenn man an der Verwandtschaft Wilhelm Specks oder Gustav Frensfens in seinen schönen, ältern Sachen mit der Zeit zweifelt, so sei daran erinnert, wie viel der „Jörn Abt" Hermann Sudermann zu danken hat, und wie doch bei Speck Dostojewski hier und da durch das deutsche Gewand leise mahnend greift. Freilich wollen wir ja nicht vergessen, daß gerade die tiefsten und reifsten Werke der Gegenwart nicht nur ihrer Zeit verpflichtet sind — wann wäre das auch bei den Besten je der Fall gewesen? —, sondern daß ihre Wurzeln sehr viel weiter zurückreichen, zum mindesten in die große Zeit der poetischen Realisten in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangnen Säkulums. Die äußere Bewegung mit ihrer Streitsucht und ihren Menschlichkeiten ist, wie ich das erst in meinem letzten Grenzbotenaufsatz ausgeführt habe, vorüber. Die Generation, mit der sie begann, hat schon mehr als einen Toten begraben müssen und steht heute im allgemeinen auf der Mittagshöhe des Lebens, in den vierziger. Man kann Anfang und Ende der „Moderne" ohne Zwang auf zwei äußere Ereignisse legen, zwei Feiern, in denen sich aussprach, was damals weithin empfunden wurde. Ich meine Theodor Fontanes siebzigsten Geburtstag um die Wende von 1889 und 1890 und Wilhelm Naabes im September 1901. Das Fontanefest brachte das seltene Schauspiel, daß ein greiser Poet, der trotz hinreißenden und volkstümlich gewordnen Schöpfungen lange wenig beachtet in der Ecke stand, nach seinem eignen Wort von der Jugend auf den Schild erhoben wurde. Der preußische Balladendichter des Tunnels über der Spree, der Nachfahr Strachwitzens, der Wanderer durch die Mark wurde als der Er¬ zähler Berliner Lebens anerkannt, in dem die Jungen Blut vou ihrem Blut spürten. Der Ruhm, den Adolf Stern und andre vergeblich für Theodor Fon¬ tane zu erkämpfen gestrebt hatten, fiel ihm als Kranz auf das greise Haupt, aus dem so jugendliche Augen blickten. Und kam er von andrer Seite, als von wo der Dichter ihn sich erwartet und auch wohl erhofft hatte — er war doch da; und es war hübsch, wie inmitten des allgemeinen Sturms gegen über- kommne Scheingröße »ut leider auch gegen echtes Verdienst hier einem der Alten Blumen und Ehren gestreut wurden. Auch Wilhelm Rande nahte am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/477>, abgerufen am 30.06.2024.