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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

Deutschland), und die Farmer sind, ebenso wie die an die Stelle der Handwerker
getretner kleinen Unternehmer, mit kapitalistischen Öl gesalbte smarte Geschäfts¬
leute, Das ganze Wirtschaftsleben, ja das ganze Leben in allen seinen Gebieten
wird ganz "rationalistisch" gestaltet, ausschließlich mit der Absicht auf Geld¬
gewinn und mit Schätzung aller Tätigkeiten und Güter nach Geld, Haben Sie
den 50000 Dollar-Rembrandt des Herrn A schon gesehen? Heute früh ist die
500000 Dollar-Jacht Carnegies eingelaufen, sind oft gehörte Redensarten.
Am Sport interessiert mir die Frage, wer Sieger sein wird, der, auf den man
gewettet hat, oder ein andrer, "Kann man sich denken, daß in einer griechischen
Palästra gewettet wurde? Gewiß nicht, Deal was hier vor allem die Gemüter
beglückte, das war die Freude an unmeßbaren individuellen Leistungen, an der
persönlichen Schönheit und Kraft, die ebenso im Besiegten wie im Sieger
gewertet werden konnte, Oder wäre die Wette auch nur denkbar bei einem
spanischen Stiergefecht? Ganz sicher nicht. Aber die Frauen werfen ihren
Schmuck, die Männer kostbare Kleidungsstücke dein Tvrcro zu, der den tödlichen
Streich mit Eleganz und Grandezza zu führen verstand: künstlerische Wertung!"
In Amerika waltet, wie der von Sombart mehrfach zitierte Bryce schreibt,
" tsnäeno^ to inistAks diZiress lor Arsawsss. (Man darf wohl diese wie die
übrigen bekannten Erscheinungen des amerikanischen Lebens, namentlich auch,
daß der Kapitalismus in seinem fabelhaft raschen Siegeslauf keinen Widerstand
zu überwinden gehabt hat, auf den Umstand zurückführen, daß es größtenteils
Menschen der untern europäischen Schichten, wurzellose Existenzen ohne
Familientradition und ohne höhere Bildung, gewesen sind, die das Land be¬
völkert haben,) Die Rücksichtslosigkeit des "rationalistischen" Geschäftsbetriebs
läßt sich einigermaßen an der Angabe ermessen, daß in den Jahren 1898 bis
1900 die Zahl der auf deu amerikanische" Eisenbahnen Getöteten 21847 be¬
tragen hat, "so viel wie die Zahl der während des gleichen Zeitraumes im
Burenkricge gefallnen Engländer, einschließlich der in Lazaretten an Krankheiten
Gestorbnen. Im Jahre 1903 betrug die Zahl der auf amerikanischen Bahnen
Getöteten 11006, in Österreich in demselben Jahre 172." Es kamen auf
100 Kilometer Eisenbahn in Nordamerika 3,4, in Österreich 0,87, auf eine
Million beförderter Personen dort 19, hier 0,99 Unfälle. Der Gegensatz zwischen
Reichtum und Armut ist in den Vereinigten Staaten noch greller, der Abstand
zwischen den Extremen noch größer als in England. Bei der Schilderung des
amerikanischen Reichtums brauchen wir nicht zu verweilen, die Zeitungen berichten
ja täglich schier unglaubliche Einzelheiten. Sombart meint, bei der Erinnerung
an die Herrlichkeiten der Newyorker Millionärviertel spüre man in denen von
Berlin Armeleutegeruch, und er versichert, daß das Kostbarste, was Europa
hervorbringt, ausschließlich für Amerika bestimmt sei, weil es nur dort bezahlt
werden könne. Dafür soll es in den Sinns Newyorks noch schlimmer aussehen
als in denen von London. In Zeiten des Aufschwungs leben 14 Prozent der
Bewohner dieser Stadt, in schlechten Zeiten 20 Prozent im tiefsten Elend;


Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

Deutschland), und die Farmer sind, ebenso wie die an die Stelle der Handwerker
getretner kleinen Unternehmer, mit kapitalistischen Öl gesalbte smarte Geschäfts¬
leute, Das ganze Wirtschaftsleben, ja das ganze Leben in allen seinen Gebieten
wird ganz „rationalistisch" gestaltet, ausschließlich mit der Absicht auf Geld¬
gewinn und mit Schätzung aller Tätigkeiten und Güter nach Geld, Haben Sie
den 50000 Dollar-Rembrandt des Herrn A schon gesehen? Heute früh ist die
500000 Dollar-Jacht Carnegies eingelaufen, sind oft gehörte Redensarten.
Am Sport interessiert mir die Frage, wer Sieger sein wird, der, auf den man
gewettet hat, oder ein andrer, „Kann man sich denken, daß in einer griechischen
Palästra gewettet wurde? Gewiß nicht, Deal was hier vor allem die Gemüter
beglückte, das war die Freude an unmeßbaren individuellen Leistungen, an der
persönlichen Schönheit und Kraft, die ebenso im Besiegten wie im Sieger
gewertet werden konnte, Oder wäre die Wette auch nur denkbar bei einem
spanischen Stiergefecht? Ganz sicher nicht. Aber die Frauen werfen ihren
Schmuck, die Männer kostbare Kleidungsstücke dein Tvrcro zu, der den tödlichen
Streich mit Eleganz und Grandezza zu führen verstand: künstlerische Wertung!"
In Amerika waltet, wie der von Sombart mehrfach zitierte Bryce schreibt,
» tsnäeno^ to inistAks diZiress lor Arsawsss. (Man darf wohl diese wie die
übrigen bekannten Erscheinungen des amerikanischen Lebens, namentlich auch,
daß der Kapitalismus in seinem fabelhaft raschen Siegeslauf keinen Widerstand
zu überwinden gehabt hat, auf den Umstand zurückführen, daß es größtenteils
Menschen der untern europäischen Schichten, wurzellose Existenzen ohne
Familientradition und ohne höhere Bildung, gewesen sind, die das Land be¬
völkert haben,) Die Rücksichtslosigkeit des „rationalistischen" Geschäftsbetriebs
läßt sich einigermaßen an der Angabe ermessen, daß in den Jahren 1898 bis
1900 die Zahl der auf deu amerikanische» Eisenbahnen Getöteten 21847 be¬
tragen hat, „so viel wie die Zahl der während des gleichen Zeitraumes im
Burenkricge gefallnen Engländer, einschließlich der in Lazaretten an Krankheiten
Gestorbnen. Im Jahre 1903 betrug die Zahl der auf amerikanischen Bahnen
Getöteten 11006, in Österreich in demselben Jahre 172." Es kamen auf
100 Kilometer Eisenbahn in Nordamerika 3,4, in Österreich 0,87, auf eine
Million beförderter Personen dort 19, hier 0,99 Unfälle. Der Gegensatz zwischen
Reichtum und Armut ist in den Vereinigten Staaten noch greller, der Abstand
zwischen den Extremen noch größer als in England. Bei der Schilderung des
amerikanischen Reichtums brauchen wir nicht zu verweilen, die Zeitungen berichten
ja täglich schier unglaubliche Einzelheiten. Sombart meint, bei der Erinnerung
an die Herrlichkeiten der Newyorker Millionärviertel spüre man in denen von
Berlin Armeleutegeruch, und er versichert, daß das Kostbarste, was Europa
hervorbringt, ausschließlich für Amerika bestimmt sei, weil es nur dort bezahlt
werden könne. Dafür soll es in den Sinns Newyorks noch schlimmer aussehen
als in denen von London. In Zeiten des Aufschwungs leben 14 Prozent der
Bewohner dieser Stadt, in schlechten Zeiten 20 Prozent im tiefsten Elend;


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[0467] Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten Deutschland), und die Farmer sind, ebenso wie die an die Stelle der Handwerker getretner kleinen Unternehmer, mit kapitalistischen Öl gesalbte smarte Geschäfts¬ leute, Das ganze Wirtschaftsleben, ja das ganze Leben in allen seinen Gebieten wird ganz „rationalistisch" gestaltet, ausschließlich mit der Absicht auf Geld¬ gewinn und mit Schätzung aller Tätigkeiten und Güter nach Geld, Haben Sie den 50000 Dollar-Rembrandt des Herrn A schon gesehen? Heute früh ist die 500000 Dollar-Jacht Carnegies eingelaufen, sind oft gehörte Redensarten. Am Sport interessiert mir die Frage, wer Sieger sein wird, der, auf den man gewettet hat, oder ein andrer, „Kann man sich denken, daß in einer griechischen Palästra gewettet wurde? Gewiß nicht, Deal was hier vor allem die Gemüter beglückte, das war die Freude an unmeßbaren individuellen Leistungen, an der persönlichen Schönheit und Kraft, die ebenso im Besiegten wie im Sieger gewertet werden konnte, Oder wäre die Wette auch nur denkbar bei einem spanischen Stiergefecht? Ganz sicher nicht. Aber die Frauen werfen ihren Schmuck, die Männer kostbare Kleidungsstücke dein Tvrcro zu, der den tödlichen Streich mit Eleganz und Grandezza zu führen verstand: künstlerische Wertung!" In Amerika waltet, wie der von Sombart mehrfach zitierte Bryce schreibt, » tsnäeno^ to inistAks diZiress lor Arsawsss. (Man darf wohl diese wie die übrigen bekannten Erscheinungen des amerikanischen Lebens, namentlich auch, daß der Kapitalismus in seinem fabelhaft raschen Siegeslauf keinen Widerstand zu überwinden gehabt hat, auf den Umstand zurückführen, daß es größtenteils Menschen der untern europäischen Schichten, wurzellose Existenzen ohne Familientradition und ohne höhere Bildung, gewesen sind, die das Land be¬ völkert haben,) Die Rücksichtslosigkeit des „rationalistischen" Geschäftsbetriebs läßt sich einigermaßen an der Angabe ermessen, daß in den Jahren 1898 bis 1900 die Zahl der auf deu amerikanische» Eisenbahnen Getöteten 21847 be¬ tragen hat, „so viel wie die Zahl der während des gleichen Zeitraumes im Burenkricge gefallnen Engländer, einschließlich der in Lazaretten an Krankheiten Gestorbnen. Im Jahre 1903 betrug die Zahl der auf amerikanischen Bahnen Getöteten 11006, in Österreich in demselben Jahre 172." Es kamen auf 100 Kilometer Eisenbahn in Nordamerika 3,4, in Österreich 0,87, auf eine Million beförderter Personen dort 19, hier 0,99 Unfälle. Der Gegensatz zwischen Reichtum und Armut ist in den Vereinigten Staaten noch greller, der Abstand zwischen den Extremen noch größer als in England. Bei der Schilderung des amerikanischen Reichtums brauchen wir nicht zu verweilen, die Zeitungen berichten ja täglich schier unglaubliche Einzelheiten. Sombart meint, bei der Erinnerung an die Herrlichkeiten der Newyorker Millionärviertel spüre man in denen von Berlin Armeleutegeruch, und er versichert, daß das Kostbarste, was Europa hervorbringt, ausschließlich für Amerika bestimmt sei, weil es nur dort bezahlt werden könne. Dafür soll es in den Sinns Newyorks noch schlimmer aussehen als in denen von London. In Zeiten des Aufschwungs leben 14 Prozent der Bewohner dieser Stadt, in schlechten Zeiten 20 Prozent im tiefsten Elend;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/467>, abgerufen am 30.06.2024.