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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Nettelbeck und Lucadou

Gneisenaus (I, 69), dieser verächtlichen Auffassung an. Vor allem aber ist
diese Beurteilung durch die Schilderung, die Paul Heyse mit dem Rechte des
Dichters in Anlehnung an Nettelbecks Lebensbeschreibung in seinem herrlichen
Schauspiel "Kolberg 1807" gibt, in die weitesten Kreise gedrungen. Und
doch verdient Lucadou diese Verurteilung eigentlich nicht, keineswegs aber in
dem Maße.

Lucadou war ein braver, ehrenwerter Offizier aus der Schule Friedrichs
des Großen. Im Bayrischen Erbfolgekriege hatte er sich hervorgetan, indem er
mit Erfolg ein Blockhaus verteidigte. In der langen Friedenszeit war er im
Dienste geblieben und 1803 vom Vizekommandanten zum Kommandanten der
Festung Kolberg aufgerückt. Daß die Festung, die im siebenjährigen Kriege
drei Belagerungen der Russen ruhmvoll ausgehalten hatte, zur Zeit der Schlacht
bei Jena in einem schwachen Zustande war, lag sicher nicht an dem Koniman¬
danten, sondern an dem Sparsamkeitssystem unter Friedrich Wilhelm dem
Dritten und an den: ganzen Geist der Zeit, nach dem an dem Alten nicht
gerüttelt werden durfte. Dazu hatte Kolberg für die weltbewegenden Ereignisse
der französischen Revolution, für die Koalitionskriege, für die ersten Taten
des neuen Kaisertums, ja sogar für die Dreikaiserschlacht von Austerlitz fern
vom Schuß gelegen. Hatte ein General von Romberg das Kommando in
Stettin, wie er selbst dem Könige bei Ausbruch des Krieges schrieb, als Ver-
svrgungsposten angesehen, so konnte sich der fünfundsechzigjährige Kommandant
des kleinen, entlegnen Postens an der hinterpommerschen Küste zu solcher
Anschauung noch viel mehr berechtigt glauben.

Da folgte auf das Ausruhen auf dem Ruhme des großen Friedrich nach
Jena das furchtbare Erwachen, und nach der Übergabe Stettins wurde nächst
Danzig Kolbergs Haltung seit Anfang November 1806 von der größten Be¬
deutung. Und da steht der alte Lucadou in Kolberg einem Massenbach und
Hohenlohe (Prenzlau), Oranien (Erfurt), Kleist und Schüler (Magdeburg),
Lecoq (Hameln), Romberg (Stettin) gegenüber turmhoch da in altpreußischer
Pflichttreue und Energie. Allerdings wohnte in ihm weder die zähe Kraft
seines Vorgängers, des alten Rusfenbezwingers von Heyde, noch das bahn¬
brechende Genie seines Nachfolgers Gneisenau, aber doch zeigten seine Ma߬
nahmen von Anfang an den ehrenwerten, wohlgeschulten Offizier, der langsam,
aber mit Bedacht Schritte tat, die der Sachlage entsprachen. Ein Parlamentär,
der französische Colonel Mestram, der bald nach dem Falle von Stettin am
8. November 1806 in Kolberg erschien und, ohne Truppe" hinter sich zu haben,
die Übergabe verlangte, wurde abgewiesen, und als trotzdem bald darauf von
Stettin aus im Namen des französischen Kaisers eine Aufforderung von einem
Mitgliede der pommerschen Kriegs- und Domänenkammer, dem Kriegskommissarius
Nöldechen an den Kolberger Magistrat kam, in der eine Anzahl Mäntel,
Betten u. a. wie von einer schon eroberten Stadt für ein französisches Lazarett
verlangt wurden, da erließ der Kommandant eine gute, deutsche Antwort, in


Nettelbeck und Lucadou

Gneisenaus (I, 69), dieser verächtlichen Auffassung an. Vor allem aber ist
diese Beurteilung durch die Schilderung, die Paul Heyse mit dem Rechte des
Dichters in Anlehnung an Nettelbecks Lebensbeschreibung in seinem herrlichen
Schauspiel „Kolberg 1807" gibt, in die weitesten Kreise gedrungen. Und
doch verdient Lucadou diese Verurteilung eigentlich nicht, keineswegs aber in
dem Maße.

Lucadou war ein braver, ehrenwerter Offizier aus der Schule Friedrichs
des Großen. Im Bayrischen Erbfolgekriege hatte er sich hervorgetan, indem er
mit Erfolg ein Blockhaus verteidigte. In der langen Friedenszeit war er im
Dienste geblieben und 1803 vom Vizekommandanten zum Kommandanten der
Festung Kolberg aufgerückt. Daß die Festung, die im siebenjährigen Kriege
drei Belagerungen der Russen ruhmvoll ausgehalten hatte, zur Zeit der Schlacht
bei Jena in einem schwachen Zustande war, lag sicher nicht an dem Koniman¬
danten, sondern an dem Sparsamkeitssystem unter Friedrich Wilhelm dem
Dritten und an den: ganzen Geist der Zeit, nach dem an dem Alten nicht
gerüttelt werden durfte. Dazu hatte Kolberg für die weltbewegenden Ereignisse
der französischen Revolution, für die Koalitionskriege, für die ersten Taten
des neuen Kaisertums, ja sogar für die Dreikaiserschlacht von Austerlitz fern
vom Schuß gelegen. Hatte ein General von Romberg das Kommando in
Stettin, wie er selbst dem Könige bei Ausbruch des Krieges schrieb, als Ver-
svrgungsposten angesehen, so konnte sich der fünfundsechzigjährige Kommandant
des kleinen, entlegnen Postens an der hinterpommerschen Küste zu solcher
Anschauung noch viel mehr berechtigt glauben.

Da folgte auf das Ausruhen auf dem Ruhme des großen Friedrich nach
Jena das furchtbare Erwachen, und nach der Übergabe Stettins wurde nächst
Danzig Kolbergs Haltung seit Anfang November 1806 von der größten Be¬
deutung. Und da steht der alte Lucadou in Kolberg einem Massenbach und
Hohenlohe (Prenzlau), Oranien (Erfurt), Kleist und Schüler (Magdeburg),
Lecoq (Hameln), Romberg (Stettin) gegenüber turmhoch da in altpreußischer
Pflichttreue und Energie. Allerdings wohnte in ihm weder die zähe Kraft
seines Vorgängers, des alten Rusfenbezwingers von Heyde, noch das bahn¬
brechende Genie seines Nachfolgers Gneisenau, aber doch zeigten seine Ma߬
nahmen von Anfang an den ehrenwerten, wohlgeschulten Offizier, der langsam,
aber mit Bedacht Schritte tat, die der Sachlage entsprachen. Ein Parlamentär,
der französische Colonel Mestram, der bald nach dem Falle von Stettin am
8. November 1806 in Kolberg erschien und, ohne Truppe« hinter sich zu haben,
die Übergabe verlangte, wurde abgewiesen, und als trotzdem bald darauf von
Stettin aus im Namen des französischen Kaisers eine Aufforderung von einem
Mitgliede der pommerschen Kriegs- und Domänenkammer, dem Kriegskommissarius
Nöldechen an den Kolberger Magistrat kam, in der eine Anzahl Mäntel,
Betten u. a. wie von einer schon eroberten Stadt für ein französisches Lazarett
verlangt wurden, da erließ der Kommandant eine gute, deutsche Antwort, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/461>, abgerufen am 02.07.2024.