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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser 23i5marck

Verkommenheit Roms, zugrunde ging, sah die Welt an dem Uticensischen Cato.
Die Dolche seiner Mörder versagten dem Cäsar nachher die Gründung einer
neuen, verständigen Oligarchie; und daß ohne solche der Staat auf die Dauer
uicht bestehen konnte, bewies dann die bald folgende gräßliche Periode Roms,
in der die Cäsaren und ihre Prätorianer den Staat allein auszumachen ver¬
suchten. Aber unbeschadet dieser Notwendigkeit der Oligarchen gibt gerade Cäsars
Person hier wiederum eine geschichtliche Lehre, daß nämlich der neue Staat
doch zunächst ohne Oligarchen geschaffen wurde, und daß demgemäß das ur¬
sprünglichste gegenseitige Verständnis im Staate das zwischen dem Cäsar und
seiner Masse ist. Die Meuterei seines Heeres hatte er einst durch das eine
Wort erledigt: Quiriten! Das war für die Leute zu arg. Sie, die eben noch
Kommilitonen des großen Cäsar gewesen waren, sollten nun einfach bürgerliche
Quiriten sein? Sie baten schleunigst um Verzeihung. In der letzten großen
Aktion seines Lebens aber, in der Schlacht gegen die Söhne des Pompeius,
hat dieser Mann, der sich als Soldat wortlos in manches Schlachtgetümmel
gestürzt hatte, der sogar im Tode noch die römische AMvilAs so bewahrte, daß
er im Fallen das Gesicht verhüllte, aus daß die andern nicht das verzerrte
Antlitz des Sterbenden an ihm sähen -- hat sich dieser Mann in der äußersten
Not dem Instinkte des Imperators laut hingegeben: Wollt ihr mich diesen
Knaben ausliefern? Knaben waren es nicht, sonst wäre die Schlacht nicht so
schwer gewesen. Zu langen staatsrechtlichen Erörterungen fehlte die Zeit. Aber
die Masse verstand ihn, verstand, daß hier ein Prinzip zur Entscheidung stand,
und vernichtete den letzten Rest der Oligarchen für ihren Cäsar. Das Gegenstück
ist jener thüringische Waldschmied, der bei jedem Schlage auf das Eisen dem in
die Oligarchie versinkendem Fürsten zurief: Landgraf, werde hart!

Es ist ein bekannter Fehler der kleinen Herrscher, daß sie glauben, Geld
bei sich sammeln zu müssen, um mächtig zu sein. Ein Cäsar braucht kein Geld,
er braucht nur das Einverständnis mit seinen Massen, daß sie beide, was sie
brauchen, schließlich den Oligarchen abnehmen. Die mittelalterliche deutsche Kaiser¬
gewalt ging unter, weil ein Kaiser, der zwar einen schönen roten Bart trug, aber
kein Herrscher war, auf den Gedanken kam, sich und sein Haus mit normannischen
Gelde stärker machen zu wollen. Alle Römerzuge waren nichts gegenüber diesem
Fehler. So schwand der deutsche Cäsar. Die Anhänglichkeit der Masse hat
ihn zunächst noch überlebt. Sie hat noch seinen Enkel in den Kyffhäuser ver¬
setzt, obgleich dieser Friedrich der Zweite dem deutschen Volke wenig bekannt
geworden war; er war freilich ein Großer. Schließlich aber wurden die, die
früher Oligarchen gewesen waren, selbst Cüsaren. Die Territorialgewalt wurde
eine Notwendigkeit. Wenn die sogenannten Kaiser jene der Masse fremde Lehre
der Hausmacht annahmen -- wo sollten Cäsar und Masse bleiben? Diese Ver¬
ständigung mußte sich nun im kleinen vollziehen.

Sie hat sich am sichersten vollzogen bei den Hohenzollern. Mögen diese
an sich, bis auf die überragenden Gestalten des Großen Kurfürsten und des


Grenzboten I 1907 Sy
Unser 23i5marck

Verkommenheit Roms, zugrunde ging, sah die Welt an dem Uticensischen Cato.
Die Dolche seiner Mörder versagten dem Cäsar nachher die Gründung einer
neuen, verständigen Oligarchie; und daß ohne solche der Staat auf die Dauer
uicht bestehen konnte, bewies dann die bald folgende gräßliche Periode Roms,
in der die Cäsaren und ihre Prätorianer den Staat allein auszumachen ver¬
suchten. Aber unbeschadet dieser Notwendigkeit der Oligarchen gibt gerade Cäsars
Person hier wiederum eine geschichtliche Lehre, daß nämlich der neue Staat
doch zunächst ohne Oligarchen geschaffen wurde, und daß demgemäß das ur¬
sprünglichste gegenseitige Verständnis im Staate das zwischen dem Cäsar und
seiner Masse ist. Die Meuterei seines Heeres hatte er einst durch das eine
Wort erledigt: Quiriten! Das war für die Leute zu arg. Sie, die eben noch
Kommilitonen des großen Cäsar gewesen waren, sollten nun einfach bürgerliche
Quiriten sein? Sie baten schleunigst um Verzeihung. In der letzten großen
Aktion seines Lebens aber, in der Schlacht gegen die Söhne des Pompeius,
hat dieser Mann, der sich als Soldat wortlos in manches Schlachtgetümmel
gestürzt hatte, der sogar im Tode noch die römische AMvilAs so bewahrte, daß
er im Fallen das Gesicht verhüllte, aus daß die andern nicht das verzerrte
Antlitz des Sterbenden an ihm sähen — hat sich dieser Mann in der äußersten
Not dem Instinkte des Imperators laut hingegeben: Wollt ihr mich diesen
Knaben ausliefern? Knaben waren es nicht, sonst wäre die Schlacht nicht so
schwer gewesen. Zu langen staatsrechtlichen Erörterungen fehlte die Zeit. Aber
die Masse verstand ihn, verstand, daß hier ein Prinzip zur Entscheidung stand,
und vernichtete den letzten Rest der Oligarchen für ihren Cäsar. Das Gegenstück
ist jener thüringische Waldschmied, der bei jedem Schlage auf das Eisen dem in
die Oligarchie versinkendem Fürsten zurief: Landgraf, werde hart!

Es ist ein bekannter Fehler der kleinen Herrscher, daß sie glauben, Geld
bei sich sammeln zu müssen, um mächtig zu sein. Ein Cäsar braucht kein Geld,
er braucht nur das Einverständnis mit seinen Massen, daß sie beide, was sie
brauchen, schließlich den Oligarchen abnehmen. Die mittelalterliche deutsche Kaiser¬
gewalt ging unter, weil ein Kaiser, der zwar einen schönen roten Bart trug, aber
kein Herrscher war, auf den Gedanken kam, sich und sein Haus mit normannischen
Gelde stärker machen zu wollen. Alle Römerzuge waren nichts gegenüber diesem
Fehler. So schwand der deutsche Cäsar. Die Anhänglichkeit der Masse hat
ihn zunächst noch überlebt. Sie hat noch seinen Enkel in den Kyffhäuser ver¬
setzt, obgleich dieser Friedrich der Zweite dem deutschen Volke wenig bekannt
geworden war; er war freilich ein Großer. Schließlich aber wurden die, die
früher Oligarchen gewesen waren, selbst Cüsaren. Die Territorialgewalt wurde
eine Notwendigkeit. Wenn die sogenannten Kaiser jene der Masse fremde Lehre
der Hausmacht annahmen — wo sollten Cäsar und Masse bleiben? Diese Ver¬
ständigung mußte sich nun im kleinen vollziehen.

Sie hat sich am sichersten vollzogen bei den Hohenzollern. Mögen diese
an sich, bis auf die überragenden Gestalten des Großen Kurfürsten und des


Grenzboten I 1907 Sy
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/457>, abgerufen am 02.07.2024.