Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Unser Bismarck Denn Bismarck wollte ja das Deutsche Reich nicht schlechthin durch Aufhebung Mit Recht betont Delbrück, daß wir hier ein Stück Tragik der historischen Noch verhängnisvoller wird die Sache, wenn die Erfahrungen des Lebens Unser Bismarck Denn Bismarck wollte ja das Deutsche Reich nicht schlechthin durch Aufhebung Mit Recht betont Delbrück, daß wir hier ein Stück Tragik der historischen Noch verhängnisvoller wird die Sache, wenn die Erfahrungen des Lebens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301706"/> <fw type="header" place="top"> Unser Bismarck</fw><lb/> <p xml:id="ID_1712" prev="#ID_1711"> Denn Bismarck wollte ja das Deutsche Reich nicht schlechthin durch Aufhebung<lb/> des Fürsteiwertrags auseinanderfalten lassen, sondern nur den Fürstenvertrag<lb/> in andrer Art gestalten, also das gelöste Band unmittelbar wieder in einen<lb/> andern Knoten knüpfen; der Knoten an sich sollte bleiben. Aber das ist doch<lb/> nur eine scheinbare Antwort. Der Schwerpunkt liegt einzig und allein in der<lb/> Aufstellung jenes Grundsatzes an sich. Mit der Durchführung der Anschauung,<lb/> daß die nationale und die politische Einrichtung des Deutschen Reiches lediglich<lb/> von dem Übereinkommen seiner Fürsten, vollends einem veränderlichen Überein¬<lb/> kommen dieser Fürsten abhänge, Hütte die deutsche Nation allen innern Wert<lb/> und nach außen allen moralischen Kredit verloren. Wie konnte ein Bismarck<lb/> auf solchen Gedanken verfallen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1713"> Mit Recht betont Delbrück, daß wir hier ein Stück Tragik der historischen<lb/> Größe vor uns haben. Wenn regelmäßig diese Tragik in dem Verhängnis<lb/> des eignen Handelns gefunden wird, so ist diese Erklärung noch nicht er¬<lb/> schöpfend, weil der konkludente Zwang der eignen Handlungen immerhin den<lb/> Vorwurf des vorherigen Mangels an Voraussicht gegenüber dem Helden offen<lb/> läßt. Solcher Mangel ist an und für sich nicht tragisch. Er wird es aber,<lb/> wenn wir erkennen, daß bei der geschichtlichen Größe der Mangel naturgemäß<lb/> hervorgerufen wird durch die in der Größe selbst liegende Absonderung und<lb/> das durch sie begründete Verlieren des Augenmaßes. Jedermann erlebt es an<lb/> sich, daß in dem Verhältnis, in dem er geistig wächst, groß wird, die ihn um¬<lb/> gebenden Menschen und Dinge verächtlich erscheinen. Freilich warnt uns die<lb/> Philosophie: si spörni« uommöirr, sxsrne- ixsuin. Aber zu solcher Lehre<lb/> kann sich das Genie, wenn anders es sein will, nur stellen wie Goethes<lb/> Adlerjüngling: Weisheit, du redest wie eine Taube. Je größer der Mann<lb/> wird, um so mehr sinken gegenüber seiner Vorstellung — er mag sonst der<lb/> liebenswürdigste Mensch, der artigste Gesellschafter sein — die andern in die<lb/> Tiefe. Er entwächst seiner Umgebung, er verlernt es, sich an ihr zu messen,<lb/> er verliert Vergleich und Zusammenhang. Deshalb die historisch so häufige<lb/> Beobachtung, daß gerade große Männer ihr Vertrauen an Unwürdige oder<lb/> gar Verräter verschenken. Nicht daß sie diese weniger verachteten — aber sie<lb/> sind schließlich als Menschen, vielleicht ohne es noch recht zu fühlen, auch<lb/> Gemeinschaftswesen, und sie brauchen Werkzeuge. In der Wahl greifen sie<lb/> dann leicht fehl, weil sie nicht mehr verstehn, die Menschen zu bewerten, außer<lb/> sich selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1714" next="#ID_1715"> Noch verhängnisvoller wird die Sache, wenn die Erfahrungen des Lebens<lb/> diese Vorstellung des Alleinwertes tatsächlich begünstigen. Dann wird auch<lb/> das Urteil über die sachlichen Verhältnisse beeinflußt. Der Mathematiker<lb/> freilich berechnet in seiner Wissenschaft alle Verhältnisse, auch die äußersten bis<lb/> zur Unendlichkeit, nicht aber der natürliche Mensch in seinem Empfinden. Von<lb/> der einsamen Höhe seiner Anschauung sieht die Welt anders aus als vom<lb/> Standpunkte des einfachen Menschen. So töricht, verbrecherisch, abenteuerlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Unser Bismarck
Denn Bismarck wollte ja das Deutsche Reich nicht schlechthin durch Aufhebung
des Fürsteiwertrags auseinanderfalten lassen, sondern nur den Fürstenvertrag
in andrer Art gestalten, also das gelöste Band unmittelbar wieder in einen
andern Knoten knüpfen; der Knoten an sich sollte bleiben. Aber das ist doch
nur eine scheinbare Antwort. Der Schwerpunkt liegt einzig und allein in der
Aufstellung jenes Grundsatzes an sich. Mit der Durchführung der Anschauung,
daß die nationale und die politische Einrichtung des Deutschen Reiches lediglich
von dem Übereinkommen seiner Fürsten, vollends einem veränderlichen Überein¬
kommen dieser Fürsten abhänge, Hütte die deutsche Nation allen innern Wert
und nach außen allen moralischen Kredit verloren. Wie konnte ein Bismarck
auf solchen Gedanken verfallen?
Mit Recht betont Delbrück, daß wir hier ein Stück Tragik der historischen
Größe vor uns haben. Wenn regelmäßig diese Tragik in dem Verhängnis
des eignen Handelns gefunden wird, so ist diese Erklärung noch nicht er¬
schöpfend, weil der konkludente Zwang der eignen Handlungen immerhin den
Vorwurf des vorherigen Mangels an Voraussicht gegenüber dem Helden offen
läßt. Solcher Mangel ist an und für sich nicht tragisch. Er wird es aber,
wenn wir erkennen, daß bei der geschichtlichen Größe der Mangel naturgemäß
hervorgerufen wird durch die in der Größe selbst liegende Absonderung und
das durch sie begründete Verlieren des Augenmaßes. Jedermann erlebt es an
sich, daß in dem Verhältnis, in dem er geistig wächst, groß wird, die ihn um¬
gebenden Menschen und Dinge verächtlich erscheinen. Freilich warnt uns die
Philosophie: si spörni« uommöirr, sxsrne- ixsuin. Aber zu solcher Lehre
kann sich das Genie, wenn anders es sein will, nur stellen wie Goethes
Adlerjüngling: Weisheit, du redest wie eine Taube. Je größer der Mann
wird, um so mehr sinken gegenüber seiner Vorstellung — er mag sonst der
liebenswürdigste Mensch, der artigste Gesellschafter sein — die andern in die
Tiefe. Er entwächst seiner Umgebung, er verlernt es, sich an ihr zu messen,
er verliert Vergleich und Zusammenhang. Deshalb die historisch so häufige
Beobachtung, daß gerade große Männer ihr Vertrauen an Unwürdige oder
gar Verräter verschenken. Nicht daß sie diese weniger verachteten — aber sie
sind schließlich als Menschen, vielleicht ohne es noch recht zu fühlen, auch
Gemeinschaftswesen, und sie brauchen Werkzeuge. In der Wahl greifen sie
dann leicht fehl, weil sie nicht mehr verstehn, die Menschen zu bewerten, außer
sich selbst.
Noch verhängnisvoller wird die Sache, wenn die Erfahrungen des Lebens
diese Vorstellung des Alleinwertes tatsächlich begünstigen. Dann wird auch
das Urteil über die sachlichen Verhältnisse beeinflußt. Der Mathematiker
freilich berechnet in seiner Wissenschaft alle Verhältnisse, auch die äußersten bis
zur Unendlichkeit, nicht aber der natürliche Mensch in seinem Empfinden. Von
der einsamen Höhe seiner Anschauung sieht die Welt anders aus als vom
Standpunkte des einfachen Menschen. So töricht, verbrecherisch, abenteuerlich
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