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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck

neulichen bekannten Untersuchungen des Professors Delbrück") erfahren, daß
der letzte Plan seines politischen Lebens ein fürchterlicher war, schwerlich ge¬
eignet, das Werk seines Lebens zu krönen, wohl aber es zu vernichten. An
Delbrücks Ergebnissen läßt sich kaum °viel deuteln. Ja sie sind vielleicht nicht
einmal so sehr wunderbar, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mochten.
Wenn man sich den Charakter Bismarcks genauer ansieht, so findet man in
seiner Entwicklung wohl Spuren dessen, was jetzt offenbar wird. Er war
herangewachsen, wie jeder begabte Jüngling seiner Zeit, in der heißen Be¬
geisterung für ein großes einiges Deutschland und hatte gemäß den damaligen
Vorstellungen mit diesem Ideal anch eine Portion der damals sogenannte"
liberalen Anschauung in sich aufgenommen, die vernehmlich wirkte, als er das
allgemeine Wahlrecht schuf. Dieses allgemeine Wahlrecht hatte zwei Gründe:
einmal gab es praktisch damals nichts andres, sodann aber sprach der liberale
Instinkt gegen die Fürsten, die gegenüber der allgemeinen nationalen Idee als
die Hemmenden, die Abwehrenden angesehen wurden. In diesem letzten Punkte
nun war Bismarck am Ende seiner Laufbahn ganz andrer Ansicht geworden.
Nach seiner politischen Erfahrung galten ihm nun die Fürsten als die treuen
Hüter der Verfassung, die parlamentarischen Parteien aber als die kurzsichtigen
Widersacher, die an dem Geiste der Verfassung, an den allgemeinen Interessen
des Reichs vorbeigingen und die Verfassung nur nutzen wollten, soweit es
darauf ankam, die eignen Interessen zur Geltung zu bringen. Eine solche
Ansichtsändernng bedeutet bei einem Charakter wie Bismarck eine sehr ernste
innere Umwälzung. Bezeichnend ist das Geständnis des alten Mannes am
Schlüsse seiner "Gedanken und Erinnerungen""^): "Jetzt habe ich den Dynastien
Abbitte zu leisten." Den parlamentarischen Parteien ruft er an derselben Stelle
zu: "List ^on twins, ^on ir^ahnt, sagt Coriolan." Sagt Coriolan! Er
war auf seine alten Tage aus einem Pvplievla ein Mareius geworden. Was
er im Sinne hatte, laßt er gleich danach'^) ziemlich deutlich erkennen: "- - . so
wird jeder, der die damalige Situation und die von Westen und Osten drohenden
Gefahren sachkundig zu beurteilen imstande ist, es natürlich finden, daß ein für
die Schlußergebnisse verantwortlicher Reichskanzler daran dachte, den möglichen
auswärtigen Verwicklungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit
derselben Unabhängigkeit entgegenzutreten, mit der der Böhmische Krieg ohne Ein¬
verständnis, vielfach sogar im Widerspruche mit politischen Stimmungen unter¬
nommen wurde."

Zu aller Erbitterung über die parlamentarische Lage hatte er noch sehen
müssen, wie dem Wachsen der sozialen Demokratie mit dem Gesetze nicht Ein¬
halt zu tun war. Er warf das Gesetz als den Fehdehandschuh hin, der Zeit¬
punkt der Gewalt war wieder da. Diese Gewalt war nnr möglich im Wege





Preussische Jahrbücher, 1906, Novemberheft S, 375 ff. und Dezemberheft S. 501 ff.
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Bd. I I, S. ü09,
-- "") Ebenda, S. 310.
Unser Bismarck

neulichen bekannten Untersuchungen des Professors Delbrück") erfahren, daß
der letzte Plan seines politischen Lebens ein fürchterlicher war, schwerlich ge¬
eignet, das Werk seines Lebens zu krönen, wohl aber es zu vernichten. An
Delbrücks Ergebnissen läßt sich kaum °viel deuteln. Ja sie sind vielleicht nicht
einmal so sehr wunderbar, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mochten.
Wenn man sich den Charakter Bismarcks genauer ansieht, so findet man in
seiner Entwicklung wohl Spuren dessen, was jetzt offenbar wird. Er war
herangewachsen, wie jeder begabte Jüngling seiner Zeit, in der heißen Be¬
geisterung für ein großes einiges Deutschland und hatte gemäß den damaligen
Vorstellungen mit diesem Ideal anch eine Portion der damals sogenannte»
liberalen Anschauung in sich aufgenommen, die vernehmlich wirkte, als er das
allgemeine Wahlrecht schuf. Dieses allgemeine Wahlrecht hatte zwei Gründe:
einmal gab es praktisch damals nichts andres, sodann aber sprach der liberale
Instinkt gegen die Fürsten, die gegenüber der allgemeinen nationalen Idee als
die Hemmenden, die Abwehrenden angesehen wurden. In diesem letzten Punkte
nun war Bismarck am Ende seiner Laufbahn ganz andrer Ansicht geworden.
Nach seiner politischen Erfahrung galten ihm nun die Fürsten als die treuen
Hüter der Verfassung, die parlamentarischen Parteien aber als die kurzsichtigen
Widersacher, die an dem Geiste der Verfassung, an den allgemeinen Interessen
des Reichs vorbeigingen und die Verfassung nur nutzen wollten, soweit es
darauf ankam, die eignen Interessen zur Geltung zu bringen. Eine solche
Ansichtsändernng bedeutet bei einem Charakter wie Bismarck eine sehr ernste
innere Umwälzung. Bezeichnend ist das Geständnis des alten Mannes am
Schlüsse seiner „Gedanken und Erinnerungen""^): „Jetzt habe ich den Dynastien
Abbitte zu leisten." Den parlamentarischen Parteien ruft er an derselben Stelle
zu: „List ^on twins, ^on ir^ahnt, sagt Coriolan." Sagt Coriolan! Er
war auf seine alten Tage aus einem Pvplievla ein Mareius geworden. Was
er im Sinne hatte, laßt er gleich danach'^) ziemlich deutlich erkennen: „- - . so
wird jeder, der die damalige Situation und die von Westen und Osten drohenden
Gefahren sachkundig zu beurteilen imstande ist, es natürlich finden, daß ein für
die Schlußergebnisse verantwortlicher Reichskanzler daran dachte, den möglichen
auswärtigen Verwicklungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit
derselben Unabhängigkeit entgegenzutreten, mit der der Böhmische Krieg ohne Ein¬
verständnis, vielfach sogar im Widerspruche mit politischen Stimmungen unter¬
nommen wurde."

Zu aller Erbitterung über die parlamentarische Lage hatte er noch sehen
müssen, wie dem Wachsen der sozialen Demokratie mit dem Gesetze nicht Ein¬
halt zu tun war. Er warf das Gesetz als den Fehdehandschuh hin, der Zeit¬
punkt der Gewalt war wieder da. Diese Gewalt war nnr möglich im Wege





Preussische Jahrbücher, 1906, Novemberheft S, 375 ff. und Dezemberheft S. 501 ff.
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Bd. I I, S. ü09,
— ««) Ebenda, S. 310.
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[0450] Unser Bismarck neulichen bekannten Untersuchungen des Professors Delbrück") erfahren, daß der letzte Plan seines politischen Lebens ein fürchterlicher war, schwerlich ge¬ eignet, das Werk seines Lebens zu krönen, wohl aber es zu vernichten. An Delbrücks Ergebnissen läßt sich kaum °viel deuteln. Ja sie sind vielleicht nicht einmal so sehr wunderbar, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mochten. Wenn man sich den Charakter Bismarcks genauer ansieht, so findet man in seiner Entwicklung wohl Spuren dessen, was jetzt offenbar wird. Er war herangewachsen, wie jeder begabte Jüngling seiner Zeit, in der heißen Be¬ geisterung für ein großes einiges Deutschland und hatte gemäß den damaligen Vorstellungen mit diesem Ideal anch eine Portion der damals sogenannte» liberalen Anschauung in sich aufgenommen, die vernehmlich wirkte, als er das allgemeine Wahlrecht schuf. Dieses allgemeine Wahlrecht hatte zwei Gründe: einmal gab es praktisch damals nichts andres, sodann aber sprach der liberale Instinkt gegen die Fürsten, die gegenüber der allgemeinen nationalen Idee als die Hemmenden, die Abwehrenden angesehen wurden. In diesem letzten Punkte nun war Bismarck am Ende seiner Laufbahn ganz andrer Ansicht geworden. Nach seiner politischen Erfahrung galten ihm nun die Fürsten als die treuen Hüter der Verfassung, die parlamentarischen Parteien aber als die kurzsichtigen Widersacher, die an dem Geiste der Verfassung, an den allgemeinen Interessen des Reichs vorbeigingen und die Verfassung nur nutzen wollten, soweit es darauf ankam, die eignen Interessen zur Geltung zu bringen. Eine solche Ansichtsändernng bedeutet bei einem Charakter wie Bismarck eine sehr ernste innere Umwälzung. Bezeichnend ist das Geständnis des alten Mannes am Schlüsse seiner „Gedanken und Erinnerungen""^): „Jetzt habe ich den Dynastien Abbitte zu leisten." Den parlamentarischen Parteien ruft er an derselben Stelle zu: „List ^on twins, ^on ir^ahnt, sagt Coriolan." Sagt Coriolan! Er war auf seine alten Tage aus einem Pvplievla ein Mareius geworden. Was er im Sinne hatte, laßt er gleich danach'^) ziemlich deutlich erkennen: „- - . so wird jeder, der die damalige Situation und die von Westen und Osten drohenden Gefahren sachkundig zu beurteilen imstande ist, es natürlich finden, daß ein für die Schlußergebnisse verantwortlicher Reichskanzler daran dachte, den möglichen auswärtigen Verwicklungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit derselben Unabhängigkeit entgegenzutreten, mit der der Böhmische Krieg ohne Ein¬ verständnis, vielfach sogar im Widerspruche mit politischen Stimmungen unter¬ nommen wurde." Zu aller Erbitterung über die parlamentarische Lage hatte er noch sehen müssen, wie dem Wachsen der sozialen Demokratie mit dem Gesetze nicht Ein¬ halt zu tun war. Er warf das Gesetz als den Fehdehandschuh hin, der Zeit¬ punkt der Gewalt war wieder da. Diese Gewalt war nnr möglich im Wege Preussische Jahrbücher, 1906, Novemberheft S, 375 ff. und Dezemberheft S. 501 ff. ' Bd. I I, S. ü09, — ««) Ebenda, S. 310.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/450>, abgerufen am 04.07.2024.