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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Luftreisen

mal, daß Wir mit dem "Helmholtz" von Berlin aus die Richtung nach Süd¬
osten einschlagen. Die eine Fahrt fand allerdings in dieser Gegend schon ihr
Ende, zwischen Erkner und Rüdersdorf. Ein Platzregen war gleich beim Füllen
auf den Ballon niedergegangen und hatte ihm Wasser statt Sand als Ballast
aufgebürdet; in schweren Wetterwolken, deren obere Schicht wir nicht zu durch¬
stoßen vermochten, fuhren wir von Anfang bis zu Ende, sodaß wir schließlich
wie aus einem Wasserfasse gezogen landeten.

Von Rahnsdorf ab, am Dümeritzsee vorüber, halten wir uns über der viel-
gewundnen Spree bis zum Oder-Spreekanal. Die zunehmende Abkühlung der
Luft und damit auch des Ballvngases nähert uns wiederholt der Erde. Leider
haben wir das Schlepptau zu früh abgerollt. Solange wir über die Wiesen
der Spreeau hingleiten, ists eine angenehme Spazierfahrt. Beim Schleppen
über den Wald aber zu beiden Seiten der An bleibt das Tauende in den
Wipfeln der hohen Fichten und Kiefern oft Hunger. Zwar reißt sichs mit
heftigem Ruck immer wieder los; da ihm aber der eigentlich unentbehrliche
Lederschuh fehlt, frisselt es aus, und die Gefahr, uns dauernd an einem Baume
zu verankern, wächst. Diese Befürchtung und die Rücksicht auf kleine Ansied-
lungen, die wir passieren, zwingt uns, immer mehr von unserm kostbaren Sande
zu opfern. Unsre Fahrtkurve sieht infolgedessen aus wie das Profil eines
Berglandes mit einer Reihe basaltischer Erhebungen.

Recht gute Dienste leistete uns ein mitgenommnes Vertikalanemometer, ein
etwas abseits vom Korbe aufgehängter schwacher Holzrahmen mit einer senk¬
rechten Metallachse in der Mitte, an der zwei leichte, schrüggestellte Kartonslügel
befestigt sind. Stehn diese Flügel still, so ist das ein Zeichen, daß der Ballon
eine Gleichgewichtslage erlangt hat und sich wagerecht vorwärts bewegt. Drehen
sich die Flügel nach links, so steigt er; nach rechts, so fällt er. Durch Be¬
obachten dieses Anemometers kann man sich das oft recht lustige Ablesen des
Barometers, das nur durch fortwährendes Klopfen zu pünktlicher Arbeit zu be¬
wegen ist, wenigstens zeitweise ersparen. Leider war unser Apparat zu zart
gebaut, sodaß schon nach den ersten Stunden die Metallachse mit ihren Flügeln
aus dem Rahmen herausfiel.

Bis jetzt konnten wir trotz des zarten Duftes, der die Ferne verschleierte,
noch immer einige Ballons vor uns und hinter uns erkennen, zuletzt noch ein
wenig östlich von uns den im Glänze seiner Neuheit leuchtend gelben Ballon
"söhnte". Nun aber, bald nach sechs Uhr ist es so dunkel, daß wir nur noch
die nähere Umgebung unterscheiden können. Werden wir wohl am nächsten
Morgen mit dem einen oder andern Ballon ein Wiedersehen in den Lüsten
feiern dürfen? Nach drei Stunden haben wir Storkow und den Dolgensee er¬
reicht, den ein Kanal mit dem sich in leichter Krümmung nach Nordosten er¬
streckenden großen Scharmützelsee verbindet, das ergibt bei Abmessung auf der
Karte eine mittlere Geschwindigkeit von 20 Kilometern in der Stunde. Für eine
Wcitfcihrt herzlich wenig, gut nur, daß auch unsre Mitbewerber mit denselben
Schwierigkeiten zu kämpfen haben!


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mal, daß Wir mit dem „Helmholtz" von Berlin aus die Richtung nach Süd¬
osten einschlagen. Die eine Fahrt fand allerdings in dieser Gegend schon ihr
Ende, zwischen Erkner und Rüdersdorf. Ein Platzregen war gleich beim Füllen
auf den Ballon niedergegangen und hatte ihm Wasser statt Sand als Ballast
aufgebürdet; in schweren Wetterwolken, deren obere Schicht wir nicht zu durch¬
stoßen vermochten, fuhren wir von Anfang bis zu Ende, sodaß wir schließlich
wie aus einem Wasserfasse gezogen landeten.

Von Rahnsdorf ab, am Dümeritzsee vorüber, halten wir uns über der viel-
gewundnen Spree bis zum Oder-Spreekanal. Die zunehmende Abkühlung der
Luft und damit auch des Ballvngases nähert uns wiederholt der Erde. Leider
haben wir das Schlepptau zu früh abgerollt. Solange wir über die Wiesen
der Spreeau hingleiten, ists eine angenehme Spazierfahrt. Beim Schleppen
über den Wald aber zu beiden Seiten der An bleibt das Tauende in den
Wipfeln der hohen Fichten und Kiefern oft Hunger. Zwar reißt sichs mit
heftigem Ruck immer wieder los; da ihm aber der eigentlich unentbehrliche
Lederschuh fehlt, frisselt es aus, und die Gefahr, uns dauernd an einem Baume
zu verankern, wächst. Diese Befürchtung und die Rücksicht auf kleine Ansied-
lungen, die wir passieren, zwingt uns, immer mehr von unserm kostbaren Sande
zu opfern. Unsre Fahrtkurve sieht infolgedessen aus wie das Profil eines
Berglandes mit einer Reihe basaltischer Erhebungen.

Recht gute Dienste leistete uns ein mitgenommnes Vertikalanemometer, ein
etwas abseits vom Korbe aufgehängter schwacher Holzrahmen mit einer senk¬
rechten Metallachse in der Mitte, an der zwei leichte, schrüggestellte Kartonslügel
befestigt sind. Stehn diese Flügel still, so ist das ein Zeichen, daß der Ballon
eine Gleichgewichtslage erlangt hat und sich wagerecht vorwärts bewegt. Drehen
sich die Flügel nach links, so steigt er; nach rechts, so fällt er. Durch Be¬
obachten dieses Anemometers kann man sich das oft recht lustige Ablesen des
Barometers, das nur durch fortwährendes Klopfen zu pünktlicher Arbeit zu be¬
wegen ist, wenigstens zeitweise ersparen. Leider war unser Apparat zu zart
gebaut, sodaß schon nach den ersten Stunden die Metallachse mit ihren Flügeln
aus dem Rahmen herausfiel.

Bis jetzt konnten wir trotz des zarten Duftes, der die Ferne verschleierte,
noch immer einige Ballons vor uns und hinter uns erkennen, zuletzt noch ein
wenig östlich von uns den im Glänze seiner Neuheit leuchtend gelben Ballon
„söhnte". Nun aber, bald nach sechs Uhr ist es so dunkel, daß wir nur noch
die nähere Umgebung unterscheiden können. Werden wir wohl am nächsten
Morgen mit dem einen oder andern Ballon ein Wiedersehen in den Lüsten
feiern dürfen? Nach drei Stunden haben wir Storkow und den Dolgensee er¬
reicht, den ein Kanal mit dem sich in leichter Krümmung nach Nordosten er¬
streckenden großen Scharmützelsee verbindet, das ergibt bei Abmessung auf der
Karte eine mittlere Geschwindigkeit von 20 Kilometern in der Stunde. Für eine
Wcitfcihrt herzlich wenig, gut nur, daß auch unsre Mitbewerber mit denselben
Schwierigkeiten zu kämpfen haben!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/42>, abgerufen am 24.07.2024.