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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Luftreisen

haushälterisch umzugehn. Dagegen rief das kerzengerade Emporschießen eines
Ballons, von dem seine Korbinsassen selber wenig erbaut waren, jedesmal all¬
gemeines Entzücken hervor. Der österreichische Ballon "Helios" war der erste,
der unter lautem Beifallsjubel abgelassen wurde, ihm folgten der Schweizer
"Cognak", der kleine Belgier "Radium", an vierter Stelle -- norasu et
omsn! -- drei Uhr zwölf Minuten unser "Helmholtz". Sein scheckiges Aussehen,
nun auch von unten wahrnehmbar, das zum Vergleich mit einer langgedienten,
viel verpflasterten Jnfanterieschcibe herausforderte, machte offenbar besondres
Vergnügen, und aus demi vielstimmigen, wohlwollenden "Glück ab!", das uns
geleitete, glaubten wir so etwas herauszuhören wie: "Na, weit werdet ihr zwei
wohl nicht kommen!" In Wirklichkeit war die Menge der mit Klebestreifen ver¬
sehenen Stellen -- eine nachträgliche genaue Zählung ergab 379! -- ein Be¬
weis für die große Sorgfalt, die der Führer schon vorher seinem Ballon durch
Prüfung seiner Zuverlässigkeit hatte zuteil werden lassen.

Jenseits des eingefriedigten Platzes, auf dem die Füllung erfolgte, war
eine große Tribüne errichtet worden, dort saßen sie Kopf an Kopf, den Blick nach
oben gerichtet. Wir nähern uns ihr bedenklich. Rasch ein wenig Ballast aus¬
geworfen, damit wir kein Unheil anrichten. Ein lustiges Hallo dankt uns dafür,
sie nehmens freundlich auf, die guten Berliner, daß auch ihnen einmal buch¬
stäblich Sand in die Augen gestreut wird. Da schweben wir also wieder ein¬
mal über einem Vororte der Reichshauptstadt, nachdem wir die letzten Fahrten
alle von Bitterfeld aus unternommen haben, und zahlreiche Erinnerungen werden
wach, jedoch ein Anblick wie heute hat sich uns noch nie geboten. Wohl sinds
die alten lieben Forste und Havelseen wieder, die wir schauen, aber überall, wo
Natur und Menschenhand ein freies Fleckchen gelassen haben, da ist es übersät
von Menschen. Auf Mauern und Dächern stehn sie dicht beisammen, die Schiffe
auf dem Tegeler See tragen eine Menge Schaulustiger, auch die unglücklichen
Bewohner von Dalldorf winken und rufen uns zu, und die Rehberge bei Rei-
nickendorf, die ihren alten Dünencharakter noch immer unverkennbar bewahrt
haben, grüßen uns in den Landesfarben: weiß der Sand, schwarz die Menschen¬
massen, die sich auf den Höhen drängen, während sie doch das Ereignis in den
höhern Regionen von jeder tiefern Stelle aus ebensogut sehen könnten.

Noch köstlicher aber ist das Bild, das sich in den Lüften selber uns bietet.
Der kleine Belgier, der sich in der von einem flotten Winde bewegten untersten
Luftschicht hält, hat einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, ihm folgt in größerm
oder geringerm Abstände, nach rechts oder links abweichend, ein Ballon nach
dem andern, bis sie alle siebzehn unterwegs sind, ein Zukunftsbild, wie es die
Witzblätter so gern bringen: voran der eben entsprungne Flüchtling, ihm nach
die ganze Schar der Verfolger, Schutzleute, Straßenjugend, alles im Ballon!
Der kleine "Ernst" hat sich sofort hoch über die andern erhoben und schlägt
eine mehr südöstliche Richtung ein. Hinter uns stehn zwei Ballons senkrecht
übereinander, nach unsrer Schätzung ist der eine der große Belgier "Ville de


Luftreisen

haushälterisch umzugehn. Dagegen rief das kerzengerade Emporschießen eines
Ballons, von dem seine Korbinsassen selber wenig erbaut waren, jedesmal all¬
gemeines Entzücken hervor. Der österreichische Ballon „Helios" war der erste,
der unter lautem Beifallsjubel abgelassen wurde, ihm folgten der Schweizer
„Cognak", der kleine Belgier „Radium", an vierter Stelle — norasu et
omsn! — drei Uhr zwölf Minuten unser „Helmholtz". Sein scheckiges Aussehen,
nun auch von unten wahrnehmbar, das zum Vergleich mit einer langgedienten,
viel verpflasterten Jnfanterieschcibe herausforderte, machte offenbar besondres
Vergnügen, und aus demi vielstimmigen, wohlwollenden „Glück ab!", das uns
geleitete, glaubten wir so etwas herauszuhören wie: „Na, weit werdet ihr zwei
wohl nicht kommen!" In Wirklichkeit war die Menge der mit Klebestreifen ver¬
sehenen Stellen — eine nachträgliche genaue Zählung ergab 379! — ein Be¬
weis für die große Sorgfalt, die der Führer schon vorher seinem Ballon durch
Prüfung seiner Zuverlässigkeit hatte zuteil werden lassen.

Jenseits des eingefriedigten Platzes, auf dem die Füllung erfolgte, war
eine große Tribüne errichtet worden, dort saßen sie Kopf an Kopf, den Blick nach
oben gerichtet. Wir nähern uns ihr bedenklich. Rasch ein wenig Ballast aus¬
geworfen, damit wir kein Unheil anrichten. Ein lustiges Hallo dankt uns dafür,
sie nehmens freundlich auf, die guten Berliner, daß auch ihnen einmal buch¬
stäblich Sand in die Augen gestreut wird. Da schweben wir also wieder ein¬
mal über einem Vororte der Reichshauptstadt, nachdem wir die letzten Fahrten
alle von Bitterfeld aus unternommen haben, und zahlreiche Erinnerungen werden
wach, jedoch ein Anblick wie heute hat sich uns noch nie geboten. Wohl sinds
die alten lieben Forste und Havelseen wieder, die wir schauen, aber überall, wo
Natur und Menschenhand ein freies Fleckchen gelassen haben, da ist es übersät
von Menschen. Auf Mauern und Dächern stehn sie dicht beisammen, die Schiffe
auf dem Tegeler See tragen eine Menge Schaulustiger, auch die unglücklichen
Bewohner von Dalldorf winken und rufen uns zu, und die Rehberge bei Rei-
nickendorf, die ihren alten Dünencharakter noch immer unverkennbar bewahrt
haben, grüßen uns in den Landesfarben: weiß der Sand, schwarz die Menschen¬
massen, die sich auf den Höhen drängen, während sie doch das Ereignis in den
höhern Regionen von jeder tiefern Stelle aus ebensogut sehen könnten.

Noch köstlicher aber ist das Bild, das sich in den Lüften selber uns bietet.
Der kleine Belgier, der sich in der von einem flotten Winde bewegten untersten
Luftschicht hält, hat einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, ihm folgt in größerm
oder geringerm Abstände, nach rechts oder links abweichend, ein Ballon nach
dem andern, bis sie alle siebzehn unterwegs sind, ein Zukunftsbild, wie es die
Witzblätter so gern bringen: voran der eben entsprungne Flüchtling, ihm nach
die ganze Schar der Verfolger, Schutzleute, Straßenjugend, alles im Ballon!
Der kleine „Ernst" hat sich sofort hoch über die andern erhoben und schlägt
eine mehr südöstliche Richtung ein. Hinter uns stehn zwei Ballons senkrecht
übereinander, nach unsrer Schätzung ist der eine der große Belgier „Ville de


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/40>, abgerufen am 24.07.2024.