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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Luftreisen

Luftschifferverband und zum erstenmale die vor einem Jahre gegründete Peclvration
^örormrckiauö IlltsrliMong,1k, zu der Frankreich, Belgien, die Schweiz, Italien,
Spanien, England und Amerika Vertreter geschickt hatten. Ihren glänzenden
Abschluß sollten die Festlichkeiten durch eine große Ballonwettfahrt, die erste in
Deutschland, Sonntag den 14. Oktober erhalten, nur die Beratungen der
PsclerMon standen für den nächsten Tag noch bevor. Eine größere Völker¬
wanderung hat selbst Berlin wohl selten erlebt als an diesem sonnenhellen,
sommerwarmen Herbsttage. Wie in Paris, wenige Wochen vorher bei der Wett¬
fahrt um den Gordon-Bennet-Preis der Lüfte, wurden Hunderttausende von
der Schaulust herausgelockt und fluteten schon seit den Vormittagsstunden nach
der Gasanstalt Tegel und ihrer Umgebung. Die Elektrische allein beförderte
über achtzigtausend Menschen dorthin, viel mehr aber noch strömten zu Fuß,
zu Rade, mit der Eisenbahn sowie auf Tausenden von Wagen und Automobilen
hinaus, andre suchten näherliegende Aussichtspunkte auf.

Die Vorbereitungen für den Aufstieg der Ballons waren von dem Vor¬
stande des Berliner Vereins mit viel Umsicht und Geschick ohne Rücksicht auf
die Kosten getroffen worden, sodaß alles tadellos klappte. Ein regelmäßig an¬
gelegtes Gasleitungsnetz, das in zwölf Füllrohre endete, bedeckte den großen
Wiesenplan vor der Tegeler Gasanstalt. Hier lagen in gleich weiten Abständen
die Hüllen von siebzehn Ballons ausgebreitet. Denn vier von den ursprünglich
angemeldeten einundzwanzig Ballons, darunter die beiden französischen und der
spanische, waren nicht erschienen. So war das Ausland nur durch zwei bel¬
gische, einen österreichischen und einen Schweizer Ballon vertreten, die übrigen
stellten die Vereine des Deutschen Luftschifferverbandes, einen die Luftwarte in
Lindenberg. Ihr Umfang war sehr verschieden, vom kleinen "Ernst" des Ber¬
liner Vereins, der nur 680 Kubikmeter faßt, bis zum Ballon "Düsseldorf" des
niederrheinischen Vereins mit einem Fassungsvermögen von 2400 Kubikmetern.
Um jede Hülle waren gefüllte Sandsäcke im Kreise aufgestellt, nahe dabei jedes¬
mal der Korb, einige nagelneu, mit Plüsch aufgeschlagen und mit allerlei Be¬
quemlichkeiten versehen, wie zum Beispiel der des Freiherrn von Hewald; andern
sah mans an ihrem wettergebräunten Weidengeflccht und ihrer eingedrückten
Schleifseite an, daß sie schon manchen Sturm erlebt hatten, bei der Landung
an manchen Baum schon angeflogen waren; ihre Ausrüstung beschränkte sich
auf das allernötigste. Zur Bedienung standen je zwanzig bis dreißig Mann
Gardeinfanterie unter Anleitung von Unteroffizieren und Mannschaften des
Luftschifferbataillous zur Verfügung.

Und halb ein Uhr wurde der Hcmpthahu der Leitung geöffnet, und rauschend
strömte das Gas zugleich in zwölf Ballons ein. Nach wenigen Minuten schon
erhoben sich die Hüllen über die Erde, blähten sich immer voller, und mehr als
einmal hörte man den treffenden Vergleich äußern, daß sie wie Niesencham-
pignons aus der Erde wüchsen. Einer von ihnen erregte ganz besonders die
Aufmerksamkeit der Zuschauer, nicht durch seine Schönheit, sondern durch mehrere


Luftreisen

Luftschifferverband und zum erstenmale die vor einem Jahre gegründete Peclvration
^örormrckiauö IlltsrliMong,1k, zu der Frankreich, Belgien, die Schweiz, Italien,
Spanien, England und Amerika Vertreter geschickt hatten. Ihren glänzenden
Abschluß sollten die Festlichkeiten durch eine große Ballonwettfahrt, die erste in
Deutschland, Sonntag den 14. Oktober erhalten, nur die Beratungen der
PsclerMon standen für den nächsten Tag noch bevor. Eine größere Völker¬
wanderung hat selbst Berlin wohl selten erlebt als an diesem sonnenhellen,
sommerwarmen Herbsttage. Wie in Paris, wenige Wochen vorher bei der Wett¬
fahrt um den Gordon-Bennet-Preis der Lüfte, wurden Hunderttausende von
der Schaulust herausgelockt und fluteten schon seit den Vormittagsstunden nach
der Gasanstalt Tegel und ihrer Umgebung. Die Elektrische allein beförderte
über achtzigtausend Menschen dorthin, viel mehr aber noch strömten zu Fuß,
zu Rade, mit der Eisenbahn sowie auf Tausenden von Wagen und Automobilen
hinaus, andre suchten näherliegende Aussichtspunkte auf.

Die Vorbereitungen für den Aufstieg der Ballons waren von dem Vor¬
stande des Berliner Vereins mit viel Umsicht und Geschick ohne Rücksicht auf
die Kosten getroffen worden, sodaß alles tadellos klappte. Ein regelmäßig an¬
gelegtes Gasleitungsnetz, das in zwölf Füllrohre endete, bedeckte den großen
Wiesenplan vor der Tegeler Gasanstalt. Hier lagen in gleich weiten Abständen
die Hüllen von siebzehn Ballons ausgebreitet. Denn vier von den ursprünglich
angemeldeten einundzwanzig Ballons, darunter die beiden französischen und der
spanische, waren nicht erschienen. So war das Ausland nur durch zwei bel¬
gische, einen österreichischen und einen Schweizer Ballon vertreten, die übrigen
stellten die Vereine des Deutschen Luftschifferverbandes, einen die Luftwarte in
Lindenberg. Ihr Umfang war sehr verschieden, vom kleinen „Ernst" des Ber¬
liner Vereins, der nur 680 Kubikmeter faßt, bis zum Ballon „Düsseldorf" des
niederrheinischen Vereins mit einem Fassungsvermögen von 2400 Kubikmetern.
Um jede Hülle waren gefüllte Sandsäcke im Kreise aufgestellt, nahe dabei jedes¬
mal der Korb, einige nagelneu, mit Plüsch aufgeschlagen und mit allerlei Be¬
quemlichkeiten versehen, wie zum Beispiel der des Freiherrn von Hewald; andern
sah mans an ihrem wettergebräunten Weidengeflccht und ihrer eingedrückten
Schleifseite an, daß sie schon manchen Sturm erlebt hatten, bei der Landung
an manchen Baum schon angeflogen waren; ihre Ausrüstung beschränkte sich
auf das allernötigste. Zur Bedienung standen je zwanzig bis dreißig Mann
Gardeinfanterie unter Anleitung von Unteroffizieren und Mannschaften des
Luftschifferbataillous zur Verfügung.

Und halb ein Uhr wurde der Hcmpthahu der Leitung geöffnet, und rauschend
strömte das Gas zugleich in zwölf Ballons ein. Nach wenigen Minuten schon
erhoben sich die Hüllen über die Erde, blähten sich immer voller, und mehr als
einmal hörte man den treffenden Vergleich äußern, daß sie wie Niesencham-
pignons aus der Erde wüchsen. Einer von ihnen erregte ganz besonders die
Aufmerksamkeit der Zuschauer, nicht durch seine Schönheit, sondern durch mehrere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/37>, abgerufen am 30.06.2024.