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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Wie ich zu dem Roman "Zwei Seelen" kam

worin sie sich alle ähnlich sind, und was bei allen wiederkehrt. Bis zu diesem
Punkte zu führen, wo alles Fremde schwindet, und wo man das eigne Auge
im Auge eines andern schimmern sieht, das war die Aufgabe des Buches.
Wer seinen Beruf unter Menschen auszuüben hat, die ihn durch die Ver-
irrungen ihres Seelenlebens und ihrer Lebensführung abstoßen, muß danach
trachten, aus den krausen Linien des fremden Lebens das darunter verborgne,
uns allen verwandte Menschenantlitz herauszufinden. Nur so kann er dem
andern etwas sein, und nur so darf er hoffen, daß sich ihm die fremde Seele
erschließen werde. In dem Roman tut sie dies aus eignem Entschluß, sie öffnet
sich mit allem Licht und allem Dunkel, wodurch sie ihren Weg genommen hat,
und sie läßt uns in ihre verborgensten Tiefen schauen. Da sollte dann, das
war mein Wunsch, der Leser schließlich nicht mehr die fremde Stimme hören,
sondern er sollte sich selber lauschen und die Sprache der eignen Seele in sich
vernehmen. rss gAiwi-, hat jemand gesagt, der über die "Zwei Seelen"
geschrieben hat.

Der Weg, den ich beim Schreiben des Buches zurücklegen mußte, war
nicht immer erquicklich, er führte in Finsternisse, die mich selbst beklommen
machten. Dennoch hoffte ich, daß niemand das Buch bedrückt aus der Hand
legen sollte, sondern womöglich bereichert und erhoben. Es ist ja nicht auf
den Ton der Resignation gestimmt, sondern auf den Ton des Sieges, der
endlichen Erhebung über alle äußern Hemmungen, ihrer innern Überwindung.
Fällt es manchem schwer, von diesen Dingen zu lesen, so war es noch schwerer,
davon zu schreiben. Gleichwohl hatte ich, als ich die Feder niederlegte, das
Herz voll Wehmut, daß ich nun von dem allem, was meine Gedanken erfüllt
und bewegt hatte, scheiden sollte. Mir war am Ende weihnachtlich zumute
gewesen, und als wäre ich lange durch eine Winternacht gegangen und sahe
zuletzt das goldne Weihnachtslicht aus dunkeln Zweigen leuchten. Ich mußte
an ein Wort denken, das mir Wilhelm Raabe einmal geschrieben hatte: "Möchte
das Licht allen scheinen, die in dem großen Zuchthaus "Erde" sitzen und
Weihnachten feiern wollen."

Wie ich dann das ganze Buch vor mir hatte, ging es mir freudig durchs
Herz, denn nun leuchtete mir mein blasses Erinnerungsbild in neuen Farben
und in frischem Leben, aber doch so, wie es in mir geruht hatte, auch aus
den Blättern des Buches entgegen.




Wie ich zu dem Roman „Zwei Seelen" kam

worin sie sich alle ähnlich sind, und was bei allen wiederkehrt. Bis zu diesem
Punkte zu führen, wo alles Fremde schwindet, und wo man das eigne Auge
im Auge eines andern schimmern sieht, das war die Aufgabe des Buches.
Wer seinen Beruf unter Menschen auszuüben hat, die ihn durch die Ver-
irrungen ihres Seelenlebens und ihrer Lebensführung abstoßen, muß danach
trachten, aus den krausen Linien des fremden Lebens das darunter verborgne,
uns allen verwandte Menschenantlitz herauszufinden. Nur so kann er dem
andern etwas sein, und nur so darf er hoffen, daß sich ihm die fremde Seele
erschließen werde. In dem Roman tut sie dies aus eignem Entschluß, sie öffnet
sich mit allem Licht und allem Dunkel, wodurch sie ihren Weg genommen hat,
und sie läßt uns in ihre verborgensten Tiefen schauen. Da sollte dann, das
war mein Wunsch, der Leser schließlich nicht mehr die fremde Stimme hören,
sondern er sollte sich selber lauschen und die Sprache der eignen Seele in sich
vernehmen. rss gAiwi-, hat jemand gesagt, der über die „Zwei Seelen"
geschrieben hat.

Der Weg, den ich beim Schreiben des Buches zurücklegen mußte, war
nicht immer erquicklich, er führte in Finsternisse, die mich selbst beklommen
machten. Dennoch hoffte ich, daß niemand das Buch bedrückt aus der Hand
legen sollte, sondern womöglich bereichert und erhoben. Es ist ja nicht auf
den Ton der Resignation gestimmt, sondern auf den Ton des Sieges, der
endlichen Erhebung über alle äußern Hemmungen, ihrer innern Überwindung.
Fällt es manchem schwer, von diesen Dingen zu lesen, so war es noch schwerer,
davon zu schreiben. Gleichwohl hatte ich, als ich die Feder niederlegte, das
Herz voll Wehmut, daß ich nun von dem allem, was meine Gedanken erfüllt
und bewegt hatte, scheiden sollte. Mir war am Ende weihnachtlich zumute
gewesen, und als wäre ich lange durch eine Winternacht gegangen und sahe
zuletzt das goldne Weihnachtslicht aus dunkeln Zweigen leuchten. Ich mußte
an ein Wort denken, das mir Wilhelm Raabe einmal geschrieben hatte: „Möchte
das Licht allen scheinen, die in dem großen Zuchthaus »Erde« sitzen und
Weihnachten feiern wollen."

Wie ich dann das ganze Buch vor mir hatte, ging es mir freudig durchs
Herz, denn nun leuchtete mir mein blasses Erinnerungsbild in neuen Farben
und in frischem Leben, aber doch so, wie es in mir geruht hatte, auch aus
den Blättern des Buches entgegen.




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[0320] Wie ich zu dem Roman „Zwei Seelen" kam worin sie sich alle ähnlich sind, und was bei allen wiederkehrt. Bis zu diesem Punkte zu führen, wo alles Fremde schwindet, und wo man das eigne Auge im Auge eines andern schimmern sieht, das war die Aufgabe des Buches. Wer seinen Beruf unter Menschen auszuüben hat, die ihn durch die Ver- irrungen ihres Seelenlebens und ihrer Lebensführung abstoßen, muß danach trachten, aus den krausen Linien des fremden Lebens das darunter verborgne, uns allen verwandte Menschenantlitz herauszufinden. Nur so kann er dem andern etwas sein, und nur so darf er hoffen, daß sich ihm die fremde Seele erschließen werde. In dem Roman tut sie dies aus eignem Entschluß, sie öffnet sich mit allem Licht und allem Dunkel, wodurch sie ihren Weg genommen hat, und sie läßt uns in ihre verborgensten Tiefen schauen. Da sollte dann, das war mein Wunsch, der Leser schließlich nicht mehr die fremde Stimme hören, sondern er sollte sich selber lauschen und die Sprache der eignen Seele in sich vernehmen. rss gAiwi-, hat jemand gesagt, der über die „Zwei Seelen" geschrieben hat. Der Weg, den ich beim Schreiben des Buches zurücklegen mußte, war nicht immer erquicklich, er führte in Finsternisse, die mich selbst beklommen machten. Dennoch hoffte ich, daß niemand das Buch bedrückt aus der Hand legen sollte, sondern womöglich bereichert und erhoben. Es ist ja nicht auf den Ton der Resignation gestimmt, sondern auf den Ton des Sieges, der endlichen Erhebung über alle äußern Hemmungen, ihrer innern Überwindung. Fällt es manchem schwer, von diesen Dingen zu lesen, so war es noch schwerer, davon zu schreiben. Gleichwohl hatte ich, als ich die Feder niederlegte, das Herz voll Wehmut, daß ich nun von dem allem, was meine Gedanken erfüllt und bewegt hatte, scheiden sollte. Mir war am Ende weihnachtlich zumute gewesen, und als wäre ich lange durch eine Winternacht gegangen und sahe zuletzt das goldne Weihnachtslicht aus dunkeln Zweigen leuchten. Ich mußte an ein Wort denken, das mir Wilhelm Raabe einmal geschrieben hatte: „Möchte das Licht allen scheinen, die in dem großen Zuchthaus »Erde« sitzen und Weihnachten feiern wollen." Wie ich dann das ganze Buch vor mir hatte, ging es mir freudig durchs Herz, denn nun leuchtete mir mein blasses Erinnerungsbild in neuen Farben und in frischem Leben, aber doch so, wie es in mir geruht hatte, auch aus den Blättern des Buches entgegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/320>, abgerufen am 04.07.2024.