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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Personen- und Gepäcktarifreform

einem längern Aufenthalt nach Berlin, lui ganzen werden 75 Kilo Gepäck mit¬
genommen. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten:

it) Drei Rückfahrkarten Breslau-Berlin kosten 59 Mark 10 Pfennige;
das Gepäck kostet nichts.

I) 1) Drei einfache Karten Vreslau-Berlin und drei Berlin-Breslau
kosten nach dem neuen Tarif im Schnellzuge 65 Mark 10 Pfennige, und für
Gepäck ist für Hin- und Rückreise 10 Mark 50 Pfennige zu zahlen, macht zu¬
sammen 75 Mark 60 Pfennige, also gegen den jetzigen Preis eine Verteuerung
von 16 Mark 50 Pfennigen, das heißt fast um 27 Prozent!

o 2) Wird das natürlich verringerte Gepäck im Abteil untergebracht, so
beträgt der Preis 65 Mark 10 Pfennige.

v) Die Rundreisehefte Breslau-Berlin und zurück würden sich auf 63 Mark
stellen.

Wir erhalten also folgende Preise: 59 Mark 10 Pfennige, 75 Mark
60 Pfennige, 65 und 63 Mark. Das Rundreiseheft würde sich demnach von den
letzten drei Arten am billigsten stellen, aber immerhin noch immer fast 4 Mark
teurer als die bisherige Rückfahrkarte. Die Differenz zwischen a und o 1
würde natürlich im Verhältnis noch größer werden, wenn man bei größern
Strecken und bei Benutzung verschiedner Eisenbahnlinien gezwungen wäre, sich
mehrere einfache Karten zu kaufen und so die Schnellzugszuschläge sowohl ans
der Hin- als auch auf der Rückreise mehrmals zu bezahlen. Das oben durch¬
geführte Beispiel ließe sich natürlich leicht vervielfältigen und nach manchen
Richtungen hin variieren, aber immer wird sich die gewaltige Preisdifferenz
zwischen ^ und o 1 herausstellen.

Und wer wird unter dieser Verteucrnng und Erschwerung des Reisens
am meisten zu leiden haben? Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten:
der Beamtenstand, der schon sowieso an der allgemeinen Teuerung schwer zu
tragen hat. Alle übrigen Stände können mehr oder weniger das, was das
Leben in heutiger Zeit mehr kostet, auf die Schultern andrer abwälzen, der
Beamte dagegen ist allein auf seinen für die heutigen Verhältnisse nur kürglich
bemessenen Gehalt angewiesen und kann nirgends einen Ausgleich suchen. Die
letzten Jahre haben eine ungeahnte Preissteigerung aller Lebensmittel gebracht,
im vorigen Jahre hat der Reichstag allerlei Steuern bewilligen müssen, das
neue Jahr soll nun diese große Verteuerung des Reifens herbeiführen, und
die Gehalte bleiben immer auf derselben niedrigen Stufe? So kauu es
nicht weitergehn. Und noch eine zweite Frage bleibt hier zu beantworten:
welcher Teil des preußischen Staats wird am meisten bluten? Auch die Antwort
hierauf dürfte nicht schwer sein: der Osten der Monarchie. Der Zug der
Reisenden geht nach Westen oder nach Süden, wie es ja ganz natürlich ist,
da hier die Natur alles Schöne, was des Menschen Herz erfreut, die kranke
Seele labt und den siechen Körper wieder verjüngt, in reicher Fülle und großer
Auswahl geschaffen hat und eine viel ältere Kultur Vorzüge und Annehmlich-


Die neue Personen- und Gepäcktarifreform

einem längern Aufenthalt nach Berlin, lui ganzen werden 75 Kilo Gepäck mit¬
genommen. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten:

it) Drei Rückfahrkarten Breslau-Berlin kosten 59 Mark 10 Pfennige;
das Gepäck kostet nichts.

I) 1) Drei einfache Karten Vreslau-Berlin und drei Berlin-Breslau
kosten nach dem neuen Tarif im Schnellzuge 65 Mark 10 Pfennige, und für
Gepäck ist für Hin- und Rückreise 10 Mark 50 Pfennige zu zahlen, macht zu¬
sammen 75 Mark 60 Pfennige, also gegen den jetzigen Preis eine Verteuerung
von 16 Mark 50 Pfennigen, das heißt fast um 27 Prozent!

o 2) Wird das natürlich verringerte Gepäck im Abteil untergebracht, so
beträgt der Preis 65 Mark 10 Pfennige.

v) Die Rundreisehefte Breslau-Berlin und zurück würden sich auf 63 Mark
stellen.

Wir erhalten also folgende Preise: 59 Mark 10 Pfennige, 75 Mark
60 Pfennige, 65 und 63 Mark. Das Rundreiseheft würde sich demnach von den
letzten drei Arten am billigsten stellen, aber immerhin noch immer fast 4 Mark
teurer als die bisherige Rückfahrkarte. Die Differenz zwischen a und o 1
würde natürlich im Verhältnis noch größer werden, wenn man bei größern
Strecken und bei Benutzung verschiedner Eisenbahnlinien gezwungen wäre, sich
mehrere einfache Karten zu kaufen und so die Schnellzugszuschläge sowohl ans
der Hin- als auch auf der Rückreise mehrmals zu bezahlen. Das oben durch¬
geführte Beispiel ließe sich natürlich leicht vervielfältigen und nach manchen
Richtungen hin variieren, aber immer wird sich die gewaltige Preisdifferenz
zwischen ^ und o 1 herausstellen.

Und wer wird unter dieser Verteucrnng und Erschwerung des Reisens
am meisten zu leiden haben? Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten:
der Beamtenstand, der schon sowieso an der allgemeinen Teuerung schwer zu
tragen hat. Alle übrigen Stände können mehr oder weniger das, was das
Leben in heutiger Zeit mehr kostet, auf die Schultern andrer abwälzen, der
Beamte dagegen ist allein auf seinen für die heutigen Verhältnisse nur kürglich
bemessenen Gehalt angewiesen und kann nirgends einen Ausgleich suchen. Die
letzten Jahre haben eine ungeahnte Preissteigerung aller Lebensmittel gebracht,
im vorigen Jahre hat der Reichstag allerlei Steuern bewilligen müssen, das
neue Jahr soll nun diese große Verteuerung des Reifens herbeiführen, und
die Gehalte bleiben immer auf derselben niedrigen Stufe? So kauu es
nicht weitergehn. Und noch eine zweite Frage bleibt hier zu beantworten:
welcher Teil des preußischen Staats wird am meisten bluten? Auch die Antwort
hierauf dürfte nicht schwer sein: der Osten der Monarchie. Der Zug der
Reisenden geht nach Westen oder nach Süden, wie es ja ganz natürlich ist,
da hier die Natur alles Schöne, was des Menschen Herz erfreut, die kranke
Seele labt und den siechen Körper wieder verjüngt, in reicher Fülle und großer
Auswahl geschaffen hat und eine viel ältere Kultur Vorzüge und Annehmlich-


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[0298] Die neue Personen- und Gepäcktarifreform einem längern Aufenthalt nach Berlin, lui ganzen werden 75 Kilo Gepäck mit¬ genommen. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten: it) Drei Rückfahrkarten Breslau-Berlin kosten 59 Mark 10 Pfennige; das Gepäck kostet nichts. I) 1) Drei einfache Karten Vreslau-Berlin und drei Berlin-Breslau kosten nach dem neuen Tarif im Schnellzuge 65 Mark 10 Pfennige, und für Gepäck ist für Hin- und Rückreise 10 Mark 50 Pfennige zu zahlen, macht zu¬ sammen 75 Mark 60 Pfennige, also gegen den jetzigen Preis eine Verteuerung von 16 Mark 50 Pfennigen, das heißt fast um 27 Prozent! o 2) Wird das natürlich verringerte Gepäck im Abteil untergebracht, so beträgt der Preis 65 Mark 10 Pfennige. v) Die Rundreisehefte Breslau-Berlin und zurück würden sich auf 63 Mark stellen. Wir erhalten also folgende Preise: 59 Mark 10 Pfennige, 75 Mark 60 Pfennige, 65 und 63 Mark. Das Rundreiseheft würde sich demnach von den letzten drei Arten am billigsten stellen, aber immerhin noch immer fast 4 Mark teurer als die bisherige Rückfahrkarte. Die Differenz zwischen a und o 1 würde natürlich im Verhältnis noch größer werden, wenn man bei größern Strecken und bei Benutzung verschiedner Eisenbahnlinien gezwungen wäre, sich mehrere einfache Karten zu kaufen und so die Schnellzugszuschläge sowohl ans der Hin- als auch auf der Rückreise mehrmals zu bezahlen. Das oben durch¬ geführte Beispiel ließe sich natürlich leicht vervielfältigen und nach manchen Richtungen hin variieren, aber immer wird sich die gewaltige Preisdifferenz zwischen ^ und o 1 herausstellen. Und wer wird unter dieser Verteucrnng und Erschwerung des Reisens am meisten zu leiden haben? Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten: der Beamtenstand, der schon sowieso an der allgemeinen Teuerung schwer zu tragen hat. Alle übrigen Stände können mehr oder weniger das, was das Leben in heutiger Zeit mehr kostet, auf die Schultern andrer abwälzen, der Beamte dagegen ist allein auf seinen für die heutigen Verhältnisse nur kürglich bemessenen Gehalt angewiesen und kann nirgends einen Ausgleich suchen. Die letzten Jahre haben eine ungeahnte Preissteigerung aller Lebensmittel gebracht, im vorigen Jahre hat der Reichstag allerlei Steuern bewilligen müssen, das neue Jahr soll nun diese große Verteuerung des Reifens herbeiführen, und die Gehalte bleiben immer auf derselben niedrigen Stufe? So kauu es nicht weitergehn. Und noch eine zweite Frage bleibt hier zu beantworten: welcher Teil des preußischen Staats wird am meisten bluten? Auch die Antwort hierauf dürfte nicht schwer sein: der Osten der Monarchie. Der Zug der Reisenden geht nach Westen oder nach Süden, wie es ja ganz natürlich ist, da hier die Natur alles Schöne, was des Menschen Herz erfreut, die kranke Seele labt und den siechen Körper wieder verjüngt, in reicher Fülle und großer Auswahl geschaffen hat und eine viel ältere Kultur Vorzüge und Annehmlich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/298>, abgerufen am 04.07.2024.