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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Der Ausbau der türkische" Lisenbcchucu

nil Fcuemngsmangel, obwohl Kohlen, und zwar Steinkohlen, in starken Flözen
in der Nähe sind. Auch hier werden Zufahrten geschaffen werden müssen.

Der Ausbau der ottomanischen Eisenbahnen wird zum guten Teile davon
abhängen, daß ihre Finanzverwaltung eine andre wird. Aber es ist eben mit
dem Begriffe "Verwaltung" in der Türkei fast immer die Vorstellung von Mi߬
wirtschaft zu sehr verbunden. Einen Krebsschaden in der Eisenbahnfrage haben
die ausländischen Konzessionäre selbst erzeugt in der Kilometergarantie. Die
türkische Regierung vergibt den Bau und verpflichtet sich, einen Mindestertrag für
den Kilometer zu verbürge". Ist der Ertrag ungenügend -- da liegt der
Schaden --, so muß ihn der Bezirk aufdringe". Die Folge ist, daß anstatt
einer Bereicherung des Bezirks durch seine Ausschließung dessen Verarmung
durch Aussaugung eintritt. Ehe "änlich die Bahnstrecke genügende Erträge
liefert, ist der Kreis verarmt, und der verarmten, durch Auswanderung ver¬
minderten Bevölkerung sollen noch obendrein höhere Lasten aufgelegt werden.
Der Nachteil ist offenbar. Daher ist der Sultan nicht mehr geneigt, für Bahn¬
bauten dem Staate neue Verpflichtungen auflegen zu lassen. Er sträubt sich
mit Recht dagegen, denn bisher hat noch keine der Bahnen mit Kilometerbürg¬
schaft ihre Nettoeinnahme auf eiuen Betrag bringen können, der dem Staate die
Zahlung der Bürgschaft erspart hätte. Andre Strecken, die ohne Kilometerbürgschaft
gebaut worden sind -- zum Beispiel die Aidiubahu, die Strecken Jaffa-Jerusalem,
Mersina-Adana und Mudcmia-Brussa --, zahlen ganz hübsche Dividenden.

Es wird sich also bei der weitern, so wünschenswerten und so aussichts¬
vollen Ausgestaltung des türkischen Eisenbahnnetzes darum handeln, einen Weg zu
finden zum Bau der Bahnen ohne die schädigende Kilometerbürgschaft. Die
türkische Regierung aber sollte endlich mit rücksichtsloser Entschiedenheit die
mittelalterlichen Wirtschaftsverfahren -- vielmehr Mißwirtschaft -- verlassen
und den Bewerbern um Konzessionen nicht durch schier unglaubliche Schikanen
die Wege verlegen zur Hebung der reichen Schätze des Landes. Jeder Aus¬
länder wird gern ein modernes Minengesetz befolgen, wird die von ihm ver¬
langte Steuer richtig zahlen. Er wird sich aber weigern, sich außerdem und
nachträglich vom Wali, Kaimakam usw. bei den geringsten Anlässen und unter
deu unglaublichsten Vorwänden immer neue Trinkgelder auspressen zu lasse",
die jedes ernste Geschäft unmöglich mache". Man muß in Konstantinopel endlich
zu der Einsicht gelangen, daß Dampfmaschinen, Eisenbahnen Dinge der Neu¬
zeit sind, und daß wir heute 1907 schreiben und nicht 1323. Erst wenn diese
mittelalterliche Auffassung, das größte Hindernis jeglichen Fortschritts im ganzen
Orient, beseitigt sein wird, erst dann wird die Türkei von den reichen Schätzen
ersprießlichen Vorteil ziehen können, die im ganzen Lande der Hebung harren.




Der Ausbau der türkische» Lisenbcchucu

nil Fcuemngsmangel, obwohl Kohlen, und zwar Steinkohlen, in starken Flözen
in der Nähe sind. Auch hier werden Zufahrten geschaffen werden müssen.

Der Ausbau der ottomanischen Eisenbahnen wird zum guten Teile davon
abhängen, daß ihre Finanzverwaltung eine andre wird. Aber es ist eben mit
dem Begriffe „Verwaltung" in der Türkei fast immer die Vorstellung von Mi߬
wirtschaft zu sehr verbunden. Einen Krebsschaden in der Eisenbahnfrage haben
die ausländischen Konzessionäre selbst erzeugt in der Kilometergarantie. Die
türkische Regierung vergibt den Bau und verpflichtet sich, einen Mindestertrag für
den Kilometer zu verbürge». Ist der Ertrag ungenügend — da liegt der
Schaden —, so muß ihn der Bezirk aufdringe». Die Folge ist, daß anstatt
einer Bereicherung des Bezirks durch seine Ausschließung dessen Verarmung
durch Aussaugung eintritt. Ehe »änlich die Bahnstrecke genügende Erträge
liefert, ist der Kreis verarmt, und der verarmten, durch Auswanderung ver¬
minderten Bevölkerung sollen noch obendrein höhere Lasten aufgelegt werden.
Der Nachteil ist offenbar. Daher ist der Sultan nicht mehr geneigt, für Bahn¬
bauten dem Staate neue Verpflichtungen auflegen zu lassen. Er sträubt sich
mit Recht dagegen, denn bisher hat noch keine der Bahnen mit Kilometerbürg¬
schaft ihre Nettoeinnahme auf eiuen Betrag bringen können, der dem Staate die
Zahlung der Bürgschaft erspart hätte. Andre Strecken, die ohne Kilometerbürgschaft
gebaut worden sind — zum Beispiel die Aidiubahu, die Strecken Jaffa-Jerusalem,
Mersina-Adana und Mudcmia-Brussa —, zahlen ganz hübsche Dividenden.

Es wird sich also bei der weitern, so wünschenswerten und so aussichts¬
vollen Ausgestaltung des türkischen Eisenbahnnetzes darum handeln, einen Weg zu
finden zum Bau der Bahnen ohne die schädigende Kilometerbürgschaft. Die
türkische Regierung aber sollte endlich mit rücksichtsloser Entschiedenheit die
mittelalterlichen Wirtschaftsverfahren — vielmehr Mißwirtschaft — verlassen
und den Bewerbern um Konzessionen nicht durch schier unglaubliche Schikanen
die Wege verlegen zur Hebung der reichen Schätze des Landes. Jeder Aus¬
länder wird gern ein modernes Minengesetz befolgen, wird die von ihm ver¬
langte Steuer richtig zahlen. Er wird sich aber weigern, sich außerdem und
nachträglich vom Wali, Kaimakam usw. bei den geringsten Anlässen und unter
deu unglaublichsten Vorwänden immer neue Trinkgelder auspressen zu lasse»,
die jedes ernste Geschäft unmöglich mache». Man muß in Konstantinopel endlich
zu der Einsicht gelangen, daß Dampfmaschinen, Eisenbahnen Dinge der Neu¬
zeit sind, und daß wir heute 1907 schreiben und nicht 1323. Erst wenn diese
mittelalterliche Auffassung, das größte Hindernis jeglichen Fortschritts im ganzen
Orient, beseitigt sein wird, erst dann wird die Türkei von den reichen Schätzen
ersprießlichen Vorteil ziehen können, die im ganzen Lande der Hebung harren.




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[0292] Der Ausbau der türkische» Lisenbcchucu nil Fcuemngsmangel, obwohl Kohlen, und zwar Steinkohlen, in starken Flözen in der Nähe sind. Auch hier werden Zufahrten geschaffen werden müssen. Der Ausbau der ottomanischen Eisenbahnen wird zum guten Teile davon abhängen, daß ihre Finanzverwaltung eine andre wird. Aber es ist eben mit dem Begriffe „Verwaltung" in der Türkei fast immer die Vorstellung von Mi߬ wirtschaft zu sehr verbunden. Einen Krebsschaden in der Eisenbahnfrage haben die ausländischen Konzessionäre selbst erzeugt in der Kilometergarantie. Die türkische Regierung vergibt den Bau und verpflichtet sich, einen Mindestertrag für den Kilometer zu verbürge». Ist der Ertrag ungenügend — da liegt der Schaden —, so muß ihn der Bezirk aufdringe». Die Folge ist, daß anstatt einer Bereicherung des Bezirks durch seine Ausschließung dessen Verarmung durch Aussaugung eintritt. Ehe »änlich die Bahnstrecke genügende Erträge liefert, ist der Kreis verarmt, und der verarmten, durch Auswanderung ver¬ minderten Bevölkerung sollen noch obendrein höhere Lasten aufgelegt werden. Der Nachteil ist offenbar. Daher ist der Sultan nicht mehr geneigt, für Bahn¬ bauten dem Staate neue Verpflichtungen auflegen zu lassen. Er sträubt sich mit Recht dagegen, denn bisher hat noch keine der Bahnen mit Kilometerbürg¬ schaft ihre Nettoeinnahme auf eiuen Betrag bringen können, der dem Staate die Zahlung der Bürgschaft erspart hätte. Andre Strecken, die ohne Kilometerbürgschaft gebaut worden sind — zum Beispiel die Aidiubahu, die Strecken Jaffa-Jerusalem, Mersina-Adana und Mudcmia-Brussa —, zahlen ganz hübsche Dividenden. Es wird sich also bei der weitern, so wünschenswerten und so aussichts¬ vollen Ausgestaltung des türkischen Eisenbahnnetzes darum handeln, einen Weg zu finden zum Bau der Bahnen ohne die schädigende Kilometerbürgschaft. Die türkische Regierung aber sollte endlich mit rücksichtsloser Entschiedenheit die mittelalterlichen Wirtschaftsverfahren — vielmehr Mißwirtschaft — verlassen und den Bewerbern um Konzessionen nicht durch schier unglaubliche Schikanen die Wege verlegen zur Hebung der reichen Schätze des Landes. Jeder Aus¬ länder wird gern ein modernes Minengesetz befolgen, wird die von ihm ver¬ langte Steuer richtig zahlen. Er wird sich aber weigern, sich außerdem und nachträglich vom Wali, Kaimakam usw. bei den geringsten Anlässen und unter deu unglaublichsten Vorwänden immer neue Trinkgelder auspressen zu lasse», die jedes ernste Geschäft unmöglich mache». Man muß in Konstantinopel endlich zu der Einsicht gelangen, daß Dampfmaschinen, Eisenbahnen Dinge der Neu¬ zeit sind, und daß wir heute 1907 schreiben und nicht 1323. Erst wenn diese mittelalterliche Auffassung, das größte Hindernis jeglichen Fortschritts im ganzen Orient, beseitigt sein wird, erst dann wird die Türkei von den reichen Schätzen ersprießlichen Vorteil ziehen können, die im ganzen Lande der Hebung harren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/292>, abgerufen am 04.07.2024.