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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

Häuserzeile, darunter viele Prachtbauten, zur Rechten vom Auschabach begleitet;
den weitaus größten Mitleiden des Axteisens nehmen die mit bewundrungs-
würdiger Kunst ausgeführten pariartigcn Anlagen ein, um sie her gelagert in
anmutigen Bogen von Nord durch Ost nach Süd der nördliche Stadtteil mit
dem Krenzbrunnen, das vom Hotel Weimar beherrschte Gebiet und die Gruppe
der Badehäuser. Behalten wir nun beim Betreten der Stadt vom Bahnhof
her den Vergleich mit der Axt uoch einen Augenblick im Auge, so gewahren
wir, daß nur das Stielende nach Süden hin in das flache Land hinauslauft,
daß aber alles übrige in sanfter Steigung eingebettet ruht in ringsumgcbenden,
rauhe Winde abhaltenden, waldbewachsnen Berghöhen.

Wie die Lage der Stadt, so ist auch ihr Charakter einzig in seiner Art;
Marienbad macht einen durchaus harmonischen Eindruck, den Eindruck eiues
Ortes, der ausschließlich einem einzigen Zwecke dient: keine Fabriken gewahrt
man, kein lärmendes Gewerbe, keine Industrie, nicht Handel und Wandel, die
Stadt ist nur Badeort, Weltbad. Peinliche Sauberkeit herrscht durchaus.
Wünschte man vielleicht bei einzelnen Bauten etwas weniger Pracht, bei manchen
Knuflädeu weniger Luxus entfaltet, das überall leuchtende milde Grün der Zier¬
sträucher, die überall mit freundlichem Ernst Hereinschanenden Waldberge dämpfen
diesen Schein der Überkultur, verschmelzen mit ihm zu einem durchaus wohl¬
tuender Gesamtbilde.

Wie sollen wir nun aber in diesem Weltbade, das jährlich etwa 24000 Kur¬
gäste beherbergt, das kleine Marienbad Goethes von 1823 Herausfinden, um
deswillen wir allein hergekommen sind, und von dem Goethe bald nach seiner
Ankunft an seinen Sohn schreibt: "Marienbad ist beinahe ganz besetzt, am
1. Juli fanden sich 350 namhafte Personen eingezeichnet"? Nun, die erste
Anlage des Orts ist noch wohl erkennbar, schon auf dem Grundriß von 1823
ist die Gestalt der "Axt" sehr deutlich ausgeprägt, die Heiligtümer der Stadt,
die Quellen, sie sprudeln heute an denselben Stellen hervor wie vor hundert
Jahren, mit unerschöpften Kräften.

Freilich, das früher der Familie von Brösigke, damals dem Grafen Klebels-
berg gehörende Hans, wo Goethe 1821 und 1822 wohnte, finden wir nicht
mehr vor; an seiner Stelle erhebt sich das palastartige Hotel Weimar, doch er¬
zählt uns eine kleine Tafel über dem Portal von Goethes Aufenthalt daselbst.
Die ehemalige Beschaffenheit des Hauses -- es war zu beiden Seiten durch
Torfahrten (über denen sich Terrassen zum Lustwandeln befanden) mit den
Nachbarhäusern verbunden -- überliefert uns ein kleines Gemälde, das in der
Mansarde des Gocthehcmses zu Weimar hängt. Von den beiden Nachbar¬
häusern, jetzt "Zum schwarzen Adler" und "Zum grünen Kreuz", hat das letzte, west¬
lich liegende im ganzen noch sein altes behagliches Aussehen bewahrt. In noch
höherm Maße ist'dieses aber der Fall mit dem auf das "Grüne Kreuz" folgenden,
von diesem durch eine Gasse getrennten Hause, das mit seinem traulichen,
schindelgedeckten Dache schon von fern durch sein schlichtes, altväterisch-wohnliches


Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

Häuserzeile, darunter viele Prachtbauten, zur Rechten vom Auschabach begleitet;
den weitaus größten Mitleiden des Axteisens nehmen die mit bewundrungs-
würdiger Kunst ausgeführten pariartigcn Anlagen ein, um sie her gelagert in
anmutigen Bogen von Nord durch Ost nach Süd der nördliche Stadtteil mit
dem Krenzbrunnen, das vom Hotel Weimar beherrschte Gebiet und die Gruppe
der Badehäuser. Behalten wir nun beim Betreten der Stadt vom Bahnhof
her den Vergleich mit der Axt uoch einen Augenblick im Auge, so gewahren
wir, daß nur das Stielende nach Süden hin in das flache Land hinauslauft,
daß aber alles übrige in sanfter Steigung eingebettet ruht in ringsumgcbenden,
rauhe Winde abhaltenden, waldbewachsnen Berghöhen.

Wie die Lage der Stadt, so ist auch ihr Charakter einzig in seiner Art;
Marienbad macht einen durchaus harmonischen Eindruck, den Eindruck eiues
Ortes, der ausschließlich einem einzigen Zwecke dient: keine Fabriken gewahrt
man, kein lärmendes Gewerbe, keine Industrie, nicht Handel und Wandel, die
Stadt ist nur Badeort, Weltbad. Peinliche Sauberkeit herrscht durchaus.
Wünschte man vielleicht bei einzelnen Bauten etwas weniger Pracht, bei manchen
Knuflädeu weniger Luxus entfaltet, das überall leuchtende milde Grün der Zier¬
sträucher, die überall mit freundlichem Ernst Hereinschanenden Waldberge dämpfen
diesen Schein der Überkultur, verschmelzen mit ihm zu einem durchaus wohl¬
tuender Gesamtbilde.

Wie sollen wir nun aber in diesem Weltbade, das jährlich etwa 24000 Kur¬
gäste beherbergt, das kleine Marienbad Goethes von 1823 Herausfinden, um
deswillen wir allein hergekommen sind, und von dem Goethe bald nach seiner
Ankunft an seinen Sohn schreibt: „Marienbad ist beinahe ganz besetzt, am
1. Juli fanden sich 350 namhafte Personen eingezeichnet"? Nun, die erste
Anlage des Orts ist noch wohl erkennbar, schon auf dem Grundriß von 1823
ist die Gestalt der „Axt" sehr deutlich ausgeprägt, die Heiligtümer der Stadt,
die Quellen, sie sprudeln heute an denselben Stellen hervor wie vor hundert
Jahren, mit unerschöpften Kräften.

Freilich, das früher der Familie von Brösigke, damals dem Grafen Klebels-
berg gehörende Hans, wo Goethe 1821 und 1822 wohnte, finden wir nicht
mehr vor; an seiner Stelle erhebt sich das palastartige Hotel Weimar, doch er¬
zählt uns eine kleine Tafel über dem Portal von Goethes Aufenthalt daselbst.
Die ehemalige Beschaffenheit des Hauses — es war zu beiden Seiten durch
Torfahrten (über denen sich Terrassen zum Lustwandeln befanden) mit den
Nachbarhäusern verbunden — überliefert uns ein kleines Gemälde, das in der
Mansarde des Gocthehcmses zu Weimar hängt. Von den beiden Nachbar¬
häusern, jetzt „Zum schwarzen Adler" und „Zum grünen Kreuz", hat das letzte, west¬
lich liegende im ganzen noch sein altes behagliches Aussehen bewahrt. In noch
höherm Maße ist'dieses aber der Fall mit dem auf das „Grüne Kreuz" folgenden,
von diesem durch eine Gasse getrennten Hause, das mit seinem traulichen,
schindelgedeckten Dache schon von fern durch sein schlichtes, altväterisch-wohnliches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/29>, abgerufen am 24.07.2024.