Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goetheerinnernngen im nordwestlichen Böhmen

lebens mit geistvollen, originellen Männern, schönen Frauen und Mädchen,
Deutschen, Österreicherinnen, Polinnen. So bedeutete ein Besuch Böhmens
im Grunde jedesmal, nicht nur, wie Goethe über den Sommer 1823 an
Marianne von Willemer schreibt, einen "freien, fast ländlichen Aufenthalt, Be¬
wegungen von Morgens bis Abends im Wandeln und Fahren, Eilen und
Begegnen, Irren und Finden", "Gelegenheit zum Erneuen älterer Verhält¬
nisse, zum Anknüpfen neuerer, zum Suchen und Gesuchtwerden, zu Unterhaltung,
Vertraulichkeit, Neigung, und was sich nicht alles durcheinander flocht; daß
man sich eben ganz vergaß, sich weder krank noch gesund, aber behaglich und
beinahe glücklich fühlte." --

Das Verdienst, die Bedeutung der Marienbader Quellen zuerst voll er¬
kannt und die jetzige Stadt als Badeort tatkräftig begründet zu haben, gebührt
dem Abte des Stifts Tepl, Karl Reitenberger, dessen ehernes Standbild sich
heute an einer der schönsten und belebtesten Stellen der herrlichen Parkanlagen
Marienbads erhebt. In zwei Jahren, 1908, wird ein Jahrhundert verflossen
sein seit Eröffnung der ersten planmäßig erbauten Badehäuser, die im Laufe
der Zeit in der großartigsten Weise vermehrt und vervollkommnet wordeu sind.

Alle Quellen Marienbads nebst den gegen Morgen, Mitternacht und
Abend weithin ausgebreiteten Waldungen, die gesamte Anlage der Bäder und
zahlreiche stattliche, dem Badeleben und dessen Verwaltung dienende Gebäude
sind Eigentum des Stifts Tepl. Diesem, als dem Mutterorte Marienbads,
galt mein erster Besuch.

Das Kloster liegt etwa drei Stunden östlich von Marienbad, in einer
Höhe von nahezu 700 Metern über dem Meere; es gehört dem Orden der
Prnmonstratenser an und ist 1193 auf einem wahren xr6 montr^ (praturQ
llionKtraturn) gegründet; gar stattlich hebt es sich mit seinen umfangreichen Ge¬
bäuden, in deren Mitte die zweitürmige Kirche aufragt, aus den umgebenden
Wiesen und Teichen hervor. Die sehr bedeutende Bibliothek sowie die Schätze
der Naturalien- und Kunstsammlung werden demnächst in einen: ueuausge-
bauteu, reich und geschmackvoll ausgestatteten nördlichen Flügel Aufstellung
finden, wo auch eine Reihe geräumiger Arbeits- und Gastzimmer ihrer bal¬
digen Vollendung entgegen geht. Inzwischen schreitet die von sachkundiger
Hand ausgeführte Herstellung eines großen alphabetischen und eines sachlichen
Zettelkatalogs der Bibliothek rüstig vorwärts. Schon vor Antritt meiner
Reise hatte ich mich gefreut, den Namen des derzeitigen Prälaten, Herrn Abts
Gilbert Heimer, in der Mitgliederliste der Goethegcsellschaft zu finden, und ich
kann es mir nicht versagen, bei dieser Gelegenheit Seiner Hochwürden für die
überaus gastfreundliche Aufnahme des Weltkindes hier meinen Dank nochmals
auszusprechen. Auf seine Anordnung hin gab mir, ehe die Glocke in den
fürstlich ausgestatteten Speisesaal zur Mittagstafel lud, der liebenswürdige
Frater Bibliothekarins Gelegenheit, in seiner freundlichen Arbeitszelle mit aller
Muße dem eigentlichen Zweck meines Besuches nachzugehn: die Originale


Goetheerinnernngen im nordwestlichen Böhmen

lebens mit geistvollen, originellen Männern, schönen Frauen und Mädchen,
Deutschen, Österreicherinnen, Polinnen. So bedeutete ein Besuch Böhmens
im Grunde jedesmal, nicht nur, wie Goethe über den Sommer 1823 an
Marianne von Willemer schreibt, einen „freien, fast ländlichen Aufenthalt, Be¬
wegungen von Morgens bis Abends im Wandeln und Fahren, Eilen und
Begegnen, Irren und Finden", „Gelegenheit zum Erneuen älterer Verhält¬
nisse, zum Anknüpfen neuerer, zum Suchen und Gesuchtwerden, zu Unterhaltung,
Vertraulichkeit, Neigung, und was sich nicht alles durcheinander flocht; daß
man sich eben ganz vergaß, sich weder krank noch gesund, aber behaglich und
beinahe glücklich fühlte." —

Das Verdienst, die Bedeutung der Marienbader Quellen zuerst voll er¬
kannt und die jetzige Stadt als Badeort tatkräftig begründet zu haben, gebührt
dem Abte des Stifts Tepl, Karl Reitenberger, dessen ehernes Standbild sich
heute an einer der schönsten und belebtesten Stellen der herrlichen Parkanlagen
Marienbads erhebt. In zwei Jahren, 1908, wird ein Jahrhundert verflossen
sein seit Eröffnung der ersten planmäßig erbauten Badehäuser, die im Laufe
der Zeit in der großartigsten Weise vermehrt und vervollkommnet wordeu sind.

Alle Quellen Marienbads nebst den gegen Morgen, Mitternacht und
Abend weithin ausgebreiteten Waldungen, die gesamte Anlage der Bäder und
zahlreiche stattliche, dem Badeleben und dessen Verwaltung dienende Gebäude
sind Eigentum des Stifts Tepl. Diesem, als dem Mutterorte Marienbads,
galt mein erster Besuch.

Das Kloster liegt etwa drei Stunden östlich von Marienbad, in einer
Höhe von nahezu 700 Metern über dem Meere; es gehört dem Orden der
Prnmonstratenser an und ist 1193 auf einem wahren xr6 montr^ (praturQ
llionKtraturn) gegründet; gar stattlich hebt es sich mit seinen umfangreichen Ge¬
bäuden, in deren Mitte die zweitürmige Kirche aufragt, aus den umgebenden
Wiesen und Teichen hervor. Die sehr bedeutende Bibliothek sowie die Schätze
der Naturalien- und Kunstsammlung werden demnächst in einen: ueuausge-
bauteu, reich und geschmackvoll ausgestatteten nördlichen Flügel Aufstellung
finden, wo auch eine Reihe geräumiger Arbeits- und Gastzimmer ihrer bal¬
digen Vollendung entgegen geht. Inzwischen schreitet die von sachkundiger
Hand ausgeführte Herstellung eines großen alphabetischen und eines sachlichen
Zettelkatalogs der Bibliothek rüstig vorwärts. Schon vor Antritt meiner
Reise hatte ich mich gefreut, den Namen des derzeitigen Prälaten, Herrn Abts
Gilbert Heimer, in der Mitgliederliste der Goethegcsellschaft zu finden, und ich
kann es mir nicht versagen, bei dieser Gelegenheit Seiner Hochwürden für die
überaus gastfreundliche Aufnahme des Weltkindes hier meinen Dank nochmals
auszusprechen. Auf seine Anordnung hin gab mir, ehe die Glocke in den
fürstlich ausgestatteten Speisesaal zur Mittagstafel lud, der liebenswürdige
Frater Bibliothekarins Gelegenheit, in seiner freundlichen Arbeitszelle mit aller
Muße dem eigentlichen Zweck meines Besuches nachzugehn: die Originale


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301280"/>
            <fw type="header" place="top"> Goetheerinnernngen im nordwestlichen Böhmen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> lebens mit geistvollen, originellen Männern, schönen Frauen und Mädchen,<lb/>
Deutschen, Österreicherinnen, Polinnen. So bedeutete ein Besuch Böhmens<lb/>
im Grunde jedesmal, nicht nur, wie Goethe über den Sommer 1823 an<lb/>
Marianne von Willemer schreibt, einen &#x201E;freien, fast ländlichen Aufenthalt, Be¬<lb/>
wegungen von Morgens bis Abends im Wandeln und Fahren, Eilen und<lb/>
Begegnen, Irren und Finden", &#x201E;Gelegenheit zum Erneuen älterer Verhält¬<lb/>
nisse, zum Anknüpfen neuerer, zum Suchen und Gesuchtwerden, zu Unterhaltung,<lb/>
Vertraulichkeit, Neigung, und was sich nicht alles durcheinander flocht; daß<lb/>
man sich eben ganz vergaß, sich weder krank noch gesund, aber behaglich und<lb/>
beinahe glücklich fühlte." &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_42"> Das Verdienst, die Bedeutung der Marienbader Quellen zuerst voll er¬<lb/>
kannt und die jetzige Stadt als Badeort tatkräftig begründet zu haben, gebührt<lb/>
dem Abte des Stifts Tepl, Karl Reitenberger, dessen ehernes Standbild sich<lb/>
heute an einer der schönsten und belebtesten Stellen der herrlichen Parkanlagen<lb/>
Marienbads erhebt. In zwei Jahren, 1908, wird ein Jahrhundert verflossen<lb/>
sein seit Eröffnung der ersten planmäßig erbauten Badehäuser, die im Laufe<lb/>
der Zeit in der großartigsten Weise vermehrt und vervollkommnet wordeu sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_43"> Alle Quellen Marienbads nebst den gegen Morgen, Mitternacht und<lb/>
Abend weithin ausgebreiteten Waldungen, die gesamte Anlage der Bäder und<lb/>
zahlreiche stattliche, dem Badeleben und dessen Verwaltung dienende Gebäude<lb/>
sind Eigentum des Stifts Tepl. Diesem, als dem Mutterorte Marienbads,<lb/>
galt mein erster Besuch.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Das Kloster liegt etwa drei Stunden östlich von Marienbad, in einer<lb/>
Höhe von nahezu 700 Metern über dem Meere; es gehört dem Orden der<lb/>
Prnmonstratenser an und ist 1193 auf einem wahren xr6 montr^ (praturQ<lb/>
llionKtraturn) gegründet; gar stattlich hebt es sich mit seinen umfangreichen Ge¬<lb/>
bäuden, in deren Mitte die zweitürmige Kirche aufragt, aus den umgebenden<lb/>
Wiesen und Teichen hervor. Die sehr bedeutende Bibliothek sowie die Schätze<lb/>
der Naturalien- und Kunstsammlung werden demnächst in einen: ueuausge-<lb/>
bauteu, reich und geschmackvoll ausgestatteten nördlichen Flügel Aufstellung<lb/>
finden, wo auch eine Reihe geräumiger Arbeits- und Gastzimmer ihrer bal¬<lb/>
digen Vollendung entgegen geht. Inzwischen schreitet die von sachkundiger<lb/>
Hand ausgeführte Herstellung eines großen alphabetischen und eines sachlichen<lb/>
Zettelkatalogs der Bibliothek rüstig vorwärts. Schon vor Antritt meiner<lb/>
Reise hatte ich mich gefreut, den Namen des derzeitigen Prälaten, Herrn Abts<lb/>
Gilbert Heimer, in der Mitgliederliste der Goethegcsellschaft zu finden, und ich<lb/>
kann es mir nicht versagen, bei dieser Gelegenheit Seiner Hochwürden für die<lb/>
überaus gastfreundliche Aufnahme des Weltkindes hier meinen Dank nochmals<lb/>
auszusprechen. Auf seine Anordnung hin gab mir, ehe die Glocke in den<lb/>
fürstlich ausgestatteten Speisesaal zur Mittagstafel lud, der liebenswürdige<lb/>
Frater Bibliothekarins Gelegenheit, in seiner freundlichen Arbeitszelle mit aller<lb/>
Muße dem eigentlichen Zweck meines Besuches nachzugehn: die Originale</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Goetheerinnernngen im nordwestlichen Böhmen lebens mit geistvollen, originellen Männern, schönen Frauen und Mädchen, Deutschen, Österreicherinnen, Polinnen. So bedeutete ein Besuch Böhmens im Grunde jedesmal, nicht nur, wie Goethe über den Sommer 1823 an Marianne von Willemer schreibt, einen „freien, fast ländlichen Aufenthalt, Be¬ wegungen von Morgens bis Abends im Wandeln und Fahren, Eilen und Begegnen, Irren und Finden", „Gelegenheit zum Erneuen älterer Verhält¬ nisse, zum Anknüpfen neuerer, zum Suchen und Gesuchtwerden, zu Unterhaltung, Vertraulichkeit, Neigung, und was sich nicht alles durcheinander flocht; daß man sich eben ganz vergaß, sich weder krank noch gesund, aber behaglich und beinahe glücklich fühlte." — Das Verdienst, die Bedeutung der Marienbader Quellen zuerst voll er¬ kannt und die jetzige Stadt als Badeort tatkräftig begründet zu haben, gebührt dem Abte des Stifts Tepl, Karl Reitenberger, dessen ehernes Standbild sich heute an einer der schönsten und belebtesten Stellen der herrlichen Parkanlagen Marienbads erhebt. In zwei Jahren, 1908, wird ein Jahrhundert verflossen sein seit Eröffnung der ersten planmäßig erbauten Badehäuser, die im Laufe der Zeit in der großartigsten Weise vermehrt und vervollkommnet wordeu sind. Alle Quellen Marienbads nebst den gegen Morgen, Mitternacht und Abend weithin ausgebreiteten Waldungen, die gesamte Anlage der Bäder und zahlreiche stattliche, dem Badeleben und dessen Verwaltung dienende Gebäude sind Eigentum des Stifts Tepl. Diesem, als dem Mutterorte Marienbads, galt mein erster Besuch. Das Kloster liegt etwa drei Stunden östlich von Marienbad, in einer Höhe von nahezu 700 Metern über dem Meere; es gehört dem Orden der Prnmonstratenser an und ist 1193 auf einem wahren xr6 montr^ (praturQ llionKtraturn) gegründet; gar stattlich hebt es sich mit seinen umfangreichen Ge¬ bäuden, in deren Mitte die zweitürmige Kirche aufragt, aus den umgebenden Wiesen und Teichen hervor. Die sehr bedeutende Bibliothek sowie die Schätze der Naturalien- und Kunstsammlung werden demnächst in einen: ueuausge- bauteu, reich und geschmackvoll ausgestatteten nördlichen Flügel Aufstellung finden, wo auch eine Reihe geräumiger Arbeits- und Gastzimmer ihrer bal¬ digen Vollendung entgegen geht. Inzwischen schreitet die von sachkundiger Hand ausgeführte Herstellung eines großen alphabetischen und eines sachlichen Zettelkatalogs der Bibliothek rüstig vorwärts. Schon vor Antritt meiner Reise hatte ich mich gefreut, den Namen des derzeitigen Prälaten, Herrn Abts Gilbert Heimer, in der Mitgliederliste der Goethegcsellschaft zu finden, und ich kann es mir nicht versagen, bei dieser Gelegenheit Seiner Hochwürden für die überaus gastfreundliche Aufnahme des Weltkindes hier meinen Dank nochmals auszusprechen. Auf seine Anordnung hin gab mir, ehe die Glocke in den fürstlich ausgestatteten Speisesaal zur Mittagstafel lud, der liebenswürdige Frater Bibliothekarins Gelegenheit, in seiner freundlichen Arbeitszelle mit aller Muße dem eigentlichen Zweck meines Besuches nachzugehn: die Originale

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/26>, abgerufen am 30.06.2024.