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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetlieerinnerungen im nordwestlichen LSHmeii

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Zunächst müssen wir noch einen Augenblick bei der Goethes Aufenthalt
in Böhmen unmittelbar vorausgehenden Zeit verweilen. Das Jahr 1823 ist
eins der wichtigsten in Goethes Greisenalter. Zwei schwere Erkrankungen hat
der Vierundsiebzigjährige zu bestehn, am Anfang und gegen Ende des Jahres.
In der zweiten Hälfte des Februars machen sich die Freunde auf das schlimmste
gefaßt (in Jena verbreitet sich sogar die Nachricht, Goethe sei tot). "All¬
mächtiger Gott! seufzt der Kranke, was muß der arme Teufel leiden! Wie
krank bin ich, kränker als in vielen Jahren!" Die Ärzte bemühen sich ver¬
gebens. "Treibt nur eure Künste! ruft er ihnen zu, das ist alles recht gut,
aber ihr werdet mich doch wohl nicht retten." Halblaut spricht er zu sich
selbst: "Mich soll nur Wundern, ob diese so zerrissene, so gemarterte Einheit
wieder als eine Einheit wird auftreten und sich gestalten können?" Am
23. Februar scheint es zu Ende zu gehn; "der Tod steht in allen Ecken um
mich herum", sagt er zu seinem Sohne. Da, am 24., greift die tödlich ringende
Natur selbst, energisch fordernd, nach erprobten, einfachsten Heilmitteln; im
Tagebuch lesen wir uuter diesem Datum: "Der Zustand verschlimmerte sich
sehr, bis gegen Abend eine unwiderstehliche Neigung zum Maricnbader Wasser
eintrat, welches auch getrunken wurde. Später eine Tasse Arnica-Thee getrunken,
nach welchem sich der Zustand ganz zu verändern schien. Die Nacht zum
ersten Mal ruhiger erquickender Schlaf." Von nun an erholt sich Goethe
langsam, aber stetig. Und ein paar Wochen später schreibt er, nach langer
Unterbrechung seinen letzten Brief an die Jugendfreundin Auguste Bernstorff,
einen der herrlichsten, die wir überhaupt von ihm besitzen, abschließend: "Nun
aber, da ich von einer tödtlichen Krankheit in's Leben wieder zurückkehre,
soll das Blatt dennoch zu Ihnen, unmittelbar zu melden: daß der Allwaltende
mir noch gönnt, das schöne Licht seiner Sonne zu schauen."

In dem rührenden Aufsatz "Dankbare Gegenwart", der den Schluß des
im Sommer 1823 erschienenen Heftes von "Kunst und Altertum" bildet, ge¬
denkt Goethe der allgemeinen herzlichen Teilnahme, mit der man "vom Thron
bis zur Hütte" seine glückliche Wiedergenesung allenthalben feierte. Unter
den öffentlichen Ehrungen, die eine freundliche Fügung Goethen gerade in
diesen Wochen des erneuten Lebens zuführte, erfreuten ihn besonders das
Diplom als Ehrenmitglied der Gesellschaft des Vaterländischen Museums in
Böhmen, datiert vom 26. Februar, und das Diplom als auswärtiges Mit¬
glied der L,<)^1 Soviel? ot MwvurZIi vom 3. Februar; als Vorsitzender hatte
jenes unterzeichnet Graf Kaspar von Sternberg, dieses Sir Walter Scott.
Zu dem "großen Capital von freundschaftlich theilnehmenden Wohlwollen",
durch das, wie sich Goethe in einem Briefe an Nees von Esenbeck ausdrückt,
sein "innerstes Leben für ewige Zeiten gesichert ist", kam in diesen Tagen auch
die Taufe einer bis dahin unbekannten Pflanzengattung mit dem Namen


Goetlieerinnerungen im nordwestlichen LSHmeii

2

Zunächst müssen wir noch einen Augenblick bei der Goethes Aufenthalt
in Böhmen unmittelbar vorausgehenden Zeit verweilen. Das Jahr 1823 ist
eins der wichtigsten in Goethes Greisenalter. Zwei schwere Erkrankungen hat
der Vierundsiebzigjährige zu bestehn, am Anfang und gegen Ende des Jahres.
In der zweiten Hälfte des Februars machen sich die Freunde auf das schlimmste
gefaßt (in Jena verbreitet sich sogar die Nachricht, Goethe sei tot). „All¬
mächtiger Gott! seufzt der Kranke, was muß der arme Teufel leiden! Wie
krank bin ich, kränker als in vielen Jahren!" Die Ärzte bemühen sich ver¬
gebens. „Treibt nur eure Künste! ruft er ihnen zu, das ist alles recht gut,
aber ihr werdet mich doch wohl nicht retten." Halblaut spricht er zu sich
selbst: „Mich soll nur Wundern, ob diese so zerrissene, so gemarterte Einheit
wieder als eine Einheit wird auftreten und sich gestalten können?" Am
23. Februar scheint es zu Ende zu gehn; „der Tod steht in allen Ecken um
mich herum", sagt er zu seinem Sohne. Da, am 24., greift die tödlich ringende
Natur selbst, energisch fordernd, nach erprobten, einfachsten Heilmitteln; im
Tagebuch lesen wir uuter diesem Datum: „Der Zustand verschlimmerte sich
sehr, bis gegen Abend eine unwiderstehliche Neigung zum Maricnbader Wasser
eintrat, welches auch getrunken wurde. Später eine Tasse Arnica-Thee getrunken,
nach welchem sich der Zustand ganz zu verändern schien. Die Nacht zum
ersten Mal ruhiger erquickender Schlaf." Von nun an erholt sich Goethe
langsam, aber stetig. Und ein paar Wochen später schreibt er, nach langer
Unterbrechung seinen letzten Brief an die Jugendfreundin Auguste Bernstorff,
einen der herrlichsten, die wir überhaupt von ihm besitzen, abschließend: „Nun
aber, da ich von einer tödtlichen Krankheit in's Leben wieder zurückkehre,
soll das Blatt dennoch zu Ihnen, unmittelbar zu melden: daß der Allwaltende
mir noch gönnt, das schöne Licht seiner Sonne zu schauen."

In dem rührenden Aufsatz „Dankbare Gegenwart", der den Schluß des
im Sommer 1823 erschienenen Heftes von „Kunst und Altertum" bildet, ge¬
denkt Goethe der allgemeinen herzlichen Teilnahme, mit der man „vom Thron
bis zur Hütte" seine glückliche Wiedergenesung allenthalben feierte. Unter
den öffentlichen Ehrungen, die eine freundliche Fügung Goethen gerade in
diesen Wochen des erneuten Lebens zuführte, erfreuten ihn besonders das
Diplom als Ehrenmitglied der Gesellschaft des Vaterländischen Museums in
Böhmen, datiert vom 26. Februar, und das Diplom als auswärtiges Mit¬
glied der L,<)^1 Soviel? ot MwvurZIi vom 3. Februar; als Vorsitzender hatte
jenes unterzeichnet Graf Kaspar von Sternberg, dieses Sir Walter Scott.
Zu dem „großen Capital von freundschaftlich theilnehmenden Wohlwollen",
durch das, wie sich Goethe in einem Briefe an Nees von Esenbeck ausdrückt,
sein „innerstes Leben für ewige Zeiten gesichert ist", kam in diesen Tagen auch
die Taufe einer bis dahin unbekannten Pflanzengattung mit dem Namen


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[0023] Goetlieerinnerungen im nordwestlichen LSHmeii 2 Zunächst müssen wir noch einen Augenblick bei der Goethes Aufenthalt in Böhmen unmittelbar vorausgehenden Zeit verweilen. Das Jahr 1823 ist eins der wichtigsten in Goethes Greisenalter. Zwei schwere Erkrankungen hat der Vierundsiebzigjährige zu bestehn, am Anfang und gegen Ende des Jahres. In der zweiten Hälfte des Februars machen sich die Freunde auf das schlimmste gefaßt (in Jena verbreitet sich sogar die Nachricht, Goethe sei tot). „All¬ mächtiger Gott! seufzt der Kranke, was muß der arme Teufel leiden! Wie krank bin ich, kränker als in vielen Jahren!" Die Ärzte bemühen sich ver¬ gebens. „Treibt nur eure Künste! ruft er ihnen zu, das ist alles recht gut, aber ihr werdet mich doch wohl nicht retten." Halblaut spricht er zu sich selbst: „Mich soll nur Wundern, ob diese so zerrissene, so gemarterte Einheit wieder als eine Einheit wird auftreten und sich gestalten können?" Am 23. Februar scheint es zu Ende zu gehn; „der Tod steht in allen Ecken um mich herum", sagt er zu seinem Sohne. Da, am 24., greift die tödlich ringende Natur selbst, energisch fordernd, nach erprobten, einfachsten Heilmitteln; im Tagebuch lesen wir uuter diesem Datum: „Der Zustand verschlimmerte sich sehr, bis gegen Abend eine unwiderstehliche Neigung zum Maricnbader Wasser eintrat, welches auch getrunken wurde. Später eine Tasse Arnica-Thee getrunken, nach welchem sich der Zustand ganz zu verändern schien. Die Nacht zum ersten Mal ruhiger erquickender Schlaf." Von nun an erholt sich Goethe langsam, aber stetig. Und ein paar Wochen später schreibt er, nach langer Unterbrechung seinen letzten Brief an die Jugendfreundin Auguste Bernstorff, einen der herrlichsten, die wir überhaupt von ihm besitzen, abschließend: „Nun aber, da ich von einer tödtlichen Krankheit in's Leben wieder zurückkehre, soll das Blatt dennoch zu Ihnen, unmittelbar zu melden: daß der Allwaltende mir noch gönnt, das schöne Licht seiner Sonne zu schauen." In dem rührenden Aufsatz „Dankbare Gegenwart", der den Schluß des im Sommer 1823 erschienenen Heftes von „Kunst und Altertum" bildet, ge¬ denkt Goethe der allgemeinen herzlichen Teilnahme, mit der man „vom Thron bis zur Hütte" seine glückliche Wiedergenesung allenthalben feierte. Unter den öffentlichen Ehrungen, die eine freundliche Fügung Goethen gerade in diesen Wochen des erneuten Lebens zuführte, erfreuten ihn besonders das Diplom als Ehrenmitglied der Gesellschaft des Vaterländischen Museums in Böhmen, datiert vom 26. Februar, und das Diplom als auswärtiges Mit¬ glied der L,<)^1 Soviel? ot MwvurZIi vom 3. Februar; als Vorsitzender hatte jenes unterzeichnet Graf Kaspar von Sternberg, dieses Sir Walter Scott. Zu dem „großen Capital von freundschaftlich theilnehmenden Wohlwollen", durch das, wie sich Goethe in einem Briefe an Nees von Esenbeck ausdrückt, sein „innerstes Leben für ewige Zeiten gesichert ist", kam in diesen Tagen auch die Taufe einer bis dahin unbekannten Pflanzengattung mit dem Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/23>, abgerufen am 04.07.2024.