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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

meiner Landsleute im Kampf um ein falsches Ideal mit ihrem Blute gerötet
hatten. Leider erwies sich infolge schweren Schirokkos mein Plan, zur Abflu߬
stelle des Emissärs und dann das obere Liristal hinauf zu gehen und so
Tcigliacozzo vom Gebirge her zu erreichen, unausführbar. Ich stieg also in das
Jmeletal hinab und schritt quer durch die Ebene auf Scurcola zu. Ich hatte
gelesen, daß in der Nähe dieser Stadt Karl von Anjou eine Zisterzienserabtei
S. Maria della Vittoria gegründet hatte, wo die Gebeine der Erschlagnen in
Massengräbern beigesetzt wurden. Die Mönche haben nicht lange ihre Seelen¬
messen gesungen. Wie wenn der Fluch des Himmels auf der Stätte gelegen
hätte, wurde das Kloster alsbald von Grund aus durch Erdbeben zerstört und
erhob sich nicht wieder. Was jetzt noch von der Abtei steht, sind ein paar
traurige Mauern hinter einer Meierei an der Straße Seurcola--Avezzcmo.
Ein schönes Akanthuskapitäl römischen Meißels liegt mitten in den Trümmern,
jedenfalls von dem nahen Alba stammend, ebenso wie mehrere Säulen- und
Architravstücke. Denn Karl beutete für sein Kloster die verfallne Stadt droben
am Berge rücksichtlos aus. So lehnt anch eine weibliche Gewandstatue ohne
Kopf und Arme an der Wand des ehemaligen Klosterhofes, die vielleicht da¬
mals als Heilige auf einen Altar gestellt und angebetet wurde (Beispiele hier¬
für finden sich noch heute, z. B. in Visa). In eine der Mauern ist eine Sand¬
steintafel eingelassen worden mit der Inschrift (Versen Dantes aus dem 28. Gesang
des Inferno):'

Das Wort ist ohne Kenntnis des Verlaufs der Schlacht nicht zu versteh",
weshalb ich hier an der Hand eines zeitgenössischen Berichts eine kurze Dar¬
stellung ihrer nähern Umstände einflechten will.

Konrad der Vierte von Hohenstaufen hatte schon 1254 nach kaum vier¬
jähriger Regierung im Dom von Messina die ewige Ruhe gefunden. Sein
Sohn Konradin, von seiner Mutter Elisabeth auf Burg Trausnitz bei Landshut
erzogen, ließ sich, wiewohl erst sechzehn Jahre alt, nicht zurückhalten, auf die
Kunde, daß Karl von Anjou im Königreich Neapel eingefallen sei und durch
den Sieg bei Benevent (1266) ganz Süditalien an sich gebracht habe, die deutsche
Ritterschaft aufzubieten und mit ihr die Alpen zu überschreiten, um sein väter¬
liches Erbe wiederzuerobern. Von Rom her kam er am Anio herauf über
Tivoli, Arsoli und gelangte unbehelligt durch die Talsperre von Colii, da hörte
er zu seinem Staunen, daß Karl schon an den Ufern des Fuciner Sees stehe.
Der Anjou hatte kaum vom Herannahen des Hohenstaufen vernommen, als er
die Belagerung von Lucera in Apulien abbrach. In beschleunigten Märschen
war er nach Aquila geeilt, um sich die Hilfe dieser starken Stadt zu sichern,
dann nach Avezzano vorgedrungen.


Am Fuciner See

meiner Landsleute im Kampf um ein falsches Ideal mit ihrem Blute gerötet
hatten. Leider erwies sich infolge schweren Schirokkos mein Plan, zur Abflu߬
stelle des Emissärs und dann das obere Liristal hinauf zu gehen und so
Tcigliacozzo vom Gebirge her zu erreichen, unausführbar. Ich stieg also in das
Jmeletal hinab und schritt quer durch die Ebene auf Scurcola zu. Ich hatte
gelesen, daß in der Nähe dieser Stadt Karl von Anjou eine Zisterzienserabtei
S. Maria della Vittoria gegründet hatte, wo die Gebeine der Erschlagnen in
Massengräbern beigesetzt wurden. Die Mönche haben nicht lange ihre Seelen¬
messen gesungen. Wie wenn der Fluch des Himmels auf der Stätte gelegen
hätte, wurde das Kloster alsbald von Grund aus durch Erdbeben zerstört und
erhob sich nicht wieder. Was jetzt noch von der Abtei steht, sind ein paar
traurige Mauern hinter einer Meierei an der Straße Seurcola—Avezzcmo.
Ein schönes Akanthuskapitäl römischen Meißels liegt mitten in den Trümmern,
jedenfalls von dem nahen Alba stammend, ebenso wie mehrere Säulen- und
Architravstücke. Denn Karl beutete für sein Kloster die verfallne Stadt droben
am Berge rücksichtlos aus. So lehnt anch eine weibliche Gewandstatue ohne
Kopf und Arme an der Wand des ehemaligen Klosterhofes, die vielleicht da¬
mals als Heilige auf einen Altar gestellt und angebetet wurde (Beispiele hier¬
für finden sich noch heute, z. B. in Visa). In eine der Mauern ist eine Sand¬
steintafel eingelassen worden mit der Inschrift (Versen Dantes aus dem 28. Gesang
des Inferno):'

Das Wort ist ohne Kenntnis des Verlaufs der Schlacht nicht zu versteh»,
weshalb ich hier an der Hand eines zeitgenössischen Berichts eine kurze Dar¬
stellung ihrer nähern Umstände einflechten will.

Konrad der Vierte von Hohenstaufen hatte schon 1254 nach kaum vier¬
jähriger Regierung im Dom von Messina die ewige Ruhe gefunden. Sein
Sohn Konradin, von seiner Mutter Elisabeth auf Burg Trausnitz bei Landshut
erzogen, ließ sich, wiewohl erst sechzehn Jahre alt, nicht zurückhalten, auf die
Kunde, daß Karl von Anjou im Königreich Neapel eingefallen sei und durch
den Sieg bei Benevent (1266) ganz Süditalien an sich gebracht habe, die deutsche
Ritterschaft aufzubieten und mit ihr die Alpen zu überschreiten, um sein väter¬
liches Erbe wiederzuerobern. Von Rom her kam er am Anio herauf über
Tivoli, Arsoli und gelangte unbehelligt durch die Talsperre von Colii, da hörte
er zu seinem Staunen, daß Karl schon an den Ufern des Fuciner Sees stehe.
Der Anjou hatte kaum vom Herannahen des Hohenstaufen vernommen, als er
die Belagerung von Lucera in Apulien abbrach. In beschleunigten Märschen
war er nach Aquila geeilt, um sich die Hilfe dieser starken Stadt zu sichern,
dann nach Avezzano vorgedrungen.


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[0215] Am Fuciner See meiner Landsleute im Kampf um ein falsches Ideal mit ihrem Blute gerötet hatten. Leider erwies sich infolge schweren Schirokkos mein Plan, zur Abflu߬ stelle des Emissärs und dann das obere Liristal hinauf zu gehen und so Tcigliacozzo vom Gebirge her zu erreichen, unausführbar. Ich stieg also in das Jmeletal hinab und schritt quer durch die Ebene auf Scurcola zu. Ich hatte gelesen, daß in der Nähe dieser Stadt Karl von Anjou eine Zisterzienserabtei S. Maria della Vittoria gegründet hatte, wo die Gebeine der Erschlagnen in Massengräbern beigesetzt wurden. Die Mönche haben nicht lange ihre Seelen¬ messen gesungen. Wie wenn der Fluch des Himmels auf der Stätte gelegen hätte, wurde das Kloster alsbald von Grund aus durch Erdbeben zerstört und erhob sich nicht wieder. Was jetzt noch von der Abtei steht, sind ein paar traurige Mauern hinter einer Meierei an der Straße Seurcola—Avezzcmo. Ein schönes Akanthuskapitäl römischen Meißels liegt mitten in den Trümmern, jedenfalls von dem nahen Alba stammend, ebenso wie mehrere Säulen- und Architravstücke. Denn Karl beutete für sein Kloster die verfallne Stadt droben am Berge rücksichtlos aus. So lehnt anch eine weibliche Gewandstatue ohne Kopf und Arme an der Wand des ehemaligen Klosterhofes, die vielleicht da¬ mals als Heilige auf einen Altar gestellt und angebetet wurde (Beispiele hier¬ für finden sich noch heute, z. B. in Visa). In eine der Mauern ist eine Sand¬ steintafel eingelassen worden mit der Inschrift (Versen Dantes aus dem 28. Gesang des Inferno):' Das Wort ist ohne Kenntnis des Verlaufs der Schlacht nicht zu versteh», weshalb ich hier an der Hand eines zeitgenössischen Berichts eine kurze Dar¬ stellung ihrer nähern Umstände einflechten will. Konrad der Vierte von Hohenstaufen hatte schon 1254 nach kaum vier¬ jähriger Regierung im Dom von Messina die ewige Ruhe gefunden. Sein Sohn Konradin, von seiner Mutter Elisabeth auf Burg Trausnitz bei Landshut erzogen, ließ sich, wiewohl erst sechzehn Jahre alt, nicht zurückhalten, auf die Kunde, daß Karl von Anjou im Königreich Neapel eingefallen sei und durch den Sieg bei Benevent (1266) ganz Süditalien an sich gebracht habe, die deutsche Ritterschaft aufzubieten und mit ihr die Alpen zu überschreiten, um sein väter¬ liches Erbe wiederzuerobern. Von Rom her kam er am Anio herauf über Tivoli, Arsoli und gelangte unbehelligt durch die Talsperre von Colii, da hörte er zu seinem Staunen, daß Karl schon an den Ufern des Fuciner Sees stehe. Der Anjou hatte kaum vom Herannahen des Hohenstaufen vernommen, als er die Belagerung von Lucera in Apulien abbrach. In beschleunigten Märschen war er nach Aquila geeilt, um sich die Hilfe dieser starken Stadt zu sichern, dann nach Avezzano vorgedrungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/215>, abgerufen am 24.07.2024.