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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fucmer See

bestimmt, den Schützen auf und nieder zu ziehen. Leider blieb mir eine eingehende
Besichtigung versagt, da der Maschinist nicht zur Stelle war. So führte mich
ein Knabe nur die enge Schneckentreppe hinab bis zum Niveau des Wassers.
Unheimlich im trüben Schein unsrer Lämpchen floß es rauschend durch den hier
beginnenden Tunnel in den tiefen Berg hinein. Draußen begab ich mich auf
die imposante Brücke, die den hier mündenden Sammelkanal überspannt. Diesen
breiten Kanal, der vom Seebecken herkommt, sieht man weit hinaus. Von
zwanzig Meter hohen Wallen eingefaßt, führt der graugrüne Strom das Wasser
von vielen Quadratmeilen in der Runde langsam daher. Mit wundervoller
Klarheit, nur zuweilen leis erzitternd, spiegelten sich die hohen Pappeln der
Wälle in der Tiefe wieder. Wendet man sich nach der andern Seite, dem
Maschinenhaus zu, so sieht man unten das Wasser in einem künstlichen Fall
abstürzen, kurz bevor es im Innern des Berges verschwindet. Dann zieht es
hinab, beinahe eine deutsche Meile unter der Erde hin, und vereinigt sich kurz
nach dem Austritt mit den Wellen des jungen Liris. Sieben Meter hoch er¬
hebt sich auf der Mitte der Brücke eine Madonnenstatue aus weißem Marmor
von großer Anmut. "Unter den Auspizien der Maria ist dieses Werk, das die
römischen Kaiser und spätere Könige vergeblich unternahmen, vollendet worden."
So steht auf dem Sockel zu lesen. Da dessen obere Fläche zugleich die einstige
Höhe des Sees bezeichnet, wird einem an diesem Punkte die Größe des Unter¬
nehmens so recht deutlich. Hier beginnend bedeckte noch vor fünfzig Jahren
Wasser, lauter Wasser weit nach Osten, nach Norden und nach Süden hin die
jetzt so blühenden Fluren.

Ich begab mich zu dem eine Stunde entfernten Gestüt. Ein etwas ein¬
förmiger Marsch die schnurgeraden Pappelalleen dahin. Aber das Gefühl, auf
ehemaligem Seegrunde zu wandeln, belebte meine Schritte, ebenso die Erwartung,
alsbald eine Menge edler Pferde bewundern zu können.

Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nur in bescheidnen Maße; denn
beinahe alle vierbeinigen Insassen des Gestüts, sämtliche Stuten und Fohlen,
waren auf entlegnen Weideplätzen, wo sie Tag und Nacht unter Aufsicht ihrer
Hirten im Freien weilen. Erst im Dezember kehren sie in ihre Ställe hierher
zurück. So bekam ich nur die beiden Zuchthengste, ein englisches Halbblut und
ein englisches Vollblut zu sehen. Jeder hatte zur Wohnung einen besondern
Raum, den ein Wärter öffnete. Ohne Sattel, Zaum und Zügel, in edler Nacktheit
standen die herrlichen Tiere und schauten mit den wilden, kühnen Augen auf
uns Eindringlinge, wahre Wunder an Kraft und Schönheit. Das ganze Jahr
hindurch weilen sie einsam hier in ihren Verließen oder werden gefesselt auf
besondre Weiden geführt, während der drei Frühlingsmonate aber decken sie
etwa hundert Stuten, nach der Reihe, täglich früh und abends.

Der Anblick einer andern eigentümlichen Tierbildung wurde mir auf den,
Heimwege. Ich kam gerade an einer der Meiereien vorbei, in deren Nähe zwölf
Strohfeimen, jeder vom Umfang eines mäßigen Hauses, den Segen der kürzlich


Am Fucmer See

bestimmt, den Schützen auf und nieder zu ziehen. Leider blieb mir eine eingehende
Besichtigung versagt, da der Maschinist nicht zur Stelle war. So führte mich
ein Knabe nur die enge Schneckentreppe hinab bis zum Niveau des Wassers.
Unheimlich im trüben Schein unsrer Lämpchen floß es rauschend durch den hier
beginnenden Tunnel in den tiefen Berg hinein. Draußen begab ich mich auf
die imposante Brücke, die den hier mündenden Sammelkanal überspannt. Diesen
breiten Kanal, der vom Seebecken herkommt, sieht man weit hinaus. Von
zwanzig Meter hohen Wallen eingefaßt, führt der graugrüne Strom das Wasser
von vielen Quadratmeilen in der Runde langsam daher. Mit wundervoller
Klarheit, nur zuweilen leis erzitternd, spiegelten sich die hohen Pappeln der
Wälle in der Tiefe wieder. Wendet man sich nach der andern Seite, dem
Maschinenhaus zu, so sieht man unten das Wasser in einem künstlichen Fall
abstürzen, kurz bevor es im Innern des Berges verschwindet. Dann zieht es
hinab, beinahe eine deutsche Meile unter der Erde hin, und vereinigt sich kurz
nach dem Austritt mit den Wellen des jungen Liris. Sieben Meter hoch er¬
hebt sich auf der Mitte der Brücke eine Madonnenstatue aus weißem Marmor
von großer Anmut. „Unter den Auspizien der Maria ist dieses Werk, das die
römischen Kaiser und spätere Könige vergeblich unternahmen, vollendet worden."
So steht auf dem Sockel zu lesen. Da dessen obere Fläche zugleich die einstige
Höhe des Sees bezeichnet, wird einem an diesem Punkte die Größe des Unter¬
nehmens so recht deutlich. Hier beginnend bedeckte noch vor fünfzig Jahren
Wasser, lauter Wasser weit nach Osten, nach Norden und nach Süden hin die
jetzt so blühenden Fluren.

Ich begab mich zu dem eine Stunde entfernten Gestüt. Ein etwas ein¬
förmiger Marsch die schnurgeraden Pappelalleen dahin. Aber das Gefühl, auf
ehemaligem Seegrunde zu wandeln, belebte meine Schritte, ebenso die Erwartung,
alsbald eine Menge edler Pferde bewundern zu können.

Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nur in bescheidnen Maße; denn
beinahe alle vierbeinigen Insassen des Gestüts, sämtliche Stuten und Fohlen,
waren auf entlegnen Weideplätzen, wo sie Tag und Nacht unter Aufsicht ihrer
Hirten im Freien weilen. Erst im Dezember kehren sie in ihre Ställe hierher
zurück. So bekam ich nur die beiden Zuchthengste, ein englisches Halbblut und
ein englisches Vollblut zu sehen. Jeder hatte zur Wohnung einen besondern
Raum, den ein Wärter öffnete. Ohne Sattel, Zaum und Zügel, in edler Nacktheit
standen die herrlichen Tiere und schauten mit den wilden, kühnen Augen auf
uns Eindringlinge, wahre Wunder an Kraft und Schönheit. Das ganze Jahr
hindurch weilen sie einsam hier in ihren Verließen oder werden gefesselt auf
besondre Weiden geführt, während der drei Frühlingsmonate aber decken sie
etwa hundert Stuten, nach der Reihe, täglich früh und abends.

Der Anblick einer andern eigentümlichen Tierbildung wurde mir auf den,
Heimwege. Ich kam gerade an einer der Meiereien vorbei, in deren Nähe zwölf
Strohfeimen, jeder vom Umfang eines mäßigen Hauses, den Segen der kürzlich


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[0211] Am Fucmer See bestimmt, den Schützen auf und nieder zu ziehen. Leider blieb mir eine eingehende Besichtigung versagt, da der Maschinist nicht zur Stelle war. So führte mich ein Knabe nur die enge Schneckentreppe hinab bis zum Niveau des Wassers. Unheimlich im trüben Schein unsrer Lämpchen floß es rauschend durch den hier beginnenden Tunnel in den tiefen Berg hinein. Draußen begab ich mich auf die imposante Brücke, die den hier mündenden Sammelkanal überspannt. Diesen breiten Kanal, der vom Seebecken herkommt, sieht man weit hinaus. Von zwanzig Meter hohen Wallen eingefaßt, führt der graugrüne Strom das Wasser von vielen Quadratmeilen in der Runde langsam daher. Mit wundervoller Klarheit, nur zuweilen leis erzitternd, spiegelten sich die hohen Pappeln der Wälle in der Tiefe wieder. Wendet man sich nach der andern Seite, dem Maschinenhaus zu, so sieht man unten das Wasser in einem künstlichen Fall abstürzen, kurz bevor es im Innern des Berges verschwindet. Dann zieht es hinab, beinahe eine deutsche Meile unter der Erde hin, und vereinigt sich kurz nach dem Austritt mit den Wellen des jungen Liris. Sieben Meter hoch er¬ hebt sich auf der Mitte der Brücke eine Madonnenstatue aus weißem Marmor von großer Anmut. „Unter den Auspizien der Maria ist dieses Werk, das die römischen Kaiser und spätere Könige vergeblich unternahmen, vollendet worden." So steht auf dem Sockel zu lesen. Da dessen obere Fläche zugleich die einstige Höhe des Sees bezeichnet, wird einem an diesem Punkte die Größe des Unter¬ nehmens so recht deutlich. Hier beginnend bedeckte noch vor fünfzig Jahren Wasser, lauter Wasser weit nach Osten, nach Norden und nach Süden hin die jetzt so blühenden Fluren. Ich begab mich zu dem eine Stunde entfernten Gestüt. Ein etwas ein¬ förmiger Marsch die schnurgeraden Pappelalleen dahin. Aber das Gefühl, auf ehemaligem Seegrunde zu wandeln, belebte meine Schritte, ebenso die Erwartung, alsbald eine Menge edler Pferde bewundern zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nur in bescheidnen Maße; denn beinahe alle vierbeinigen Insassen des Gestüts, sämtliche Stuten und Fohlen, waren auf entlegnen Weideplätzen, wo sie Tag und Nacht unter Aufsicht ihrer Hirten im Freien weilen. Erst im Dezember kehren sie in ihre Ställe hierher zurück. So bekam ich nur die beiden Zuchthengste, ein englisches Halbblut und ein englisches Vollblut zu sehen. Jeder hatte zur Wohnung einen besondern Raum, den ein Wärter öffnete. Ohne Sattel, Zaum und Zügel, in edler Nacktheit standen die herrlichen Tiere und schauten mit den wilden, kühnen Augen auf uns Eindringlinge, wahre Wunder an Kraft und Schönheit. Das ganze Jahr hindurch weilen sie einsam hier in ihren Verließen oder werden gefesselt auf besondre Weiden geführt, während der drei Frühlingsmonate aber decken sie etwa hundert Stuten, nach der Reihe, täglich früh und abends. Der Anblick einer andern eigentümlichen Tierbildung wurde mir auf den, Heimwege. Ich kam gerade an einer der Meiereien vorbei, in deren Nähe zwölf Strohfeimen, jeder vom Umfang eines mäßigen Hauses, den Segen der kürzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/211>, abgerufen am 24.07.2024.