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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnerungen im nordwestlichen Löhnen

lassen, lediglich um seinen Unterthanen einigen Erwerb zu verschaffen". Des
Grafen geistvolle Gesichtszüge überliefert ein vortreffliches kleines Gemälde, das
sich im Schloß befindet. Goethes eigenhändiger Brief an den Grafen, dessen
Anfang oben mitgeteilt worden ist, hängt unter Glas und Rahmen an der
Wand eines der nach Südosten gerichteten Fenster, von dein aus man die
köstlichste Aussicht weit hinaus nach der Gegend von Karlsbad hin genießt.
Unter diesem Fenster zieht sich eine geräumige Terrasse hin, auf der, nach der
mündlichen Überlieferung des Schlosses, Goethe in jenen Septembertagen des
Jahres 1823 nächtlicherweile im Mondschein gewandelt sein soll, Ulrikens
gedenkend und der eben durchlebten Schmerzen des Abschieds von ihr. In solcher
Stunde mag das wunderbare Lied abermals um einige herrliche Strophen
gewachsen sein, und wirklich lesen wir im Tagebuch unter Hardenberg die
Vermerke: "An dem Gedichte fMarienbader Elegiej redigirt", "Sonntag das
Gedicht fortgesetzt". So ist der Name Hardenberg für alle Zeit mit Goethes
Lyrik verknüpft. Denn

Am 7. September verließ Goethe das Schloß. Der Polizeirat Grüner
war abermals erschienen, um ihn abzuholen. In seinem Goethebüchlein lesen
wir über den Abschied des Dichters vom Grasen Auersperg: "Diese zwei edlen,
und ich darf von beiden sagen, großen Männer schieden von einander mit dem
innigsten Wunsche und der zuversichtlichen Hoffnung, sich im künftigen Jahre
wieder zu sehen, aber sie sahen sich auf Erden nicht wieder." Goethe hat
das Schloß Hardenberg wie überhaupt Böhmen nach dem Jahre 1823 nicht
wieder besucht.

Auf dem Rückwege nach Eger gelangte ich über den Ort Zwodau, an dem
ehemaligen Gasthof "Zur alten Post" vorüber, in dem Goethe das humoristische
Bildchen ürisLrks vdri8ti(zö1a6 zeichnete,*) zunächst nach Falkenau, wo Goethe
1822 im Hause des Bergmeisters Ignatius Lößl wohnte (eine Gedenktafel er¬
innert daran); Lößl war es, der den unglücklichen Naturdichter Fürnsteiu
veranlaßte, sich in seinem Wägelchen am Tor, das Goethe passieren mußte,
aufzustellen, damit er des großen und gütigen Mannes ansichtig würde. Es
ist bekannt, welchen liebevollen Anteil Goethe an dem vom Schicksal schwer
Heimgesuchten nahm. Er schrieb damals über Fürnstein an den Grafen Stern -
berg: "Auf seinem, seit dem siebenten Jahr, durch Gicht verkrümmten Körper
hat sich ein guter Kopf ausgebildet, ein Cerebralsystem, das Wohlgestalten Gliedern



Es ist in einer trefflichen Heliogravüre wiedergegeben in Band XVII der "Chronik
des Wiener Goethe-Vereins".
Goetheerinnerungen im nordwestlichen Löhnen

lassen, lediglich um seinen Unterthanen einigen Erwerb zu verschaffen". Des
Grafen geistvolle Gesichtszüge überliefert ein vortreffliches kleines Gemälde, das
sich im Schloß befindet. Goethes eigenhändiger Brief an den Grafen, dessen
Anfang oben mitgeteilt worden ist, hängt unter Glas und Rahmen an der
Wand eines der nach Südosten gerichteten Fenster, von dein aus man die
köstlichste Aussicht weit hinaus nach der Gegend von Karlsbad hin genießt.
Unter diesem Fenster zieht sich eine geräumige Terrasse hin, auf der, nach der
mündlichen Überlieferung des Schlosses, Goethe in jenen Septembertagen des
Jahres 1823 nächtlicherweile im Mondschein gewandelt sein soll, Ulrikens
gedenkend und der eben durchlebten Schmerzen des Abschieds von ihr. In solcher
Stunde mag das wunderbare Lied abermals um einige herrliche Strophen
gewachsen sein, und wirklich lesen wir im Tagebuch unter Hardenberg die
Vermerke: „An dem Gedichte fMarienbader Elegiej redigirt", „Sonntag das
Gedicht fortgesetzt". So ist der Name Hardenberg für alle Zeit mit Goethes
Lyrik verknüpft. Denn

Am 7. September verließ Goethe das Schloß. Der Polizeirat Grüner
war abermals erschienen, um ihn abzuholen. In seinem Goethebüchlein lesen
wir über den Abschied des Dichters vom Grasen Auersperg: „Diese zwei edlen,
und ich darf von beiden sagen, großen Männer schieden von einander mit dem
innigsten Wunsche und der zuversichtlichen Hoffnung, sich im künftigen Jahre
wieder zu sehen, aber sie sahen sich auf Erden nicht wieder." Goethe hat
das Schloß Hardenberg wie überhaupt Böhmen nach dem Jahre 1823 nicht
wieder besucht.

Auf dem Rückwege nach Eger gelangte ich über den Ort Zwodau, an dem
ehemaligen Gasthof „Zur alten Post" vorüber, in dem Goethe das humoristische
Bildchen ürisLrks vdri8ti(zö1a6 zeichnete,*) zunächst nach Falkenau, wo Goethe
1822 im Hause des Bergmeisters Ignatius Lößl wohnte (eine Gedenktafel er¬
innert daran); Lößl war es, der den unglücklichen Naturdichter Fürnsteiu
veranlaßte, sich in seinem Wägelchen am Tor, das Goethe passieren mußte,
aufzustellen, damit er des großen und gütigen Mannes ansichtig würde. Es
ist bekannt, welchen liebevollen Anteil Goethe an dem vom Schicksal schwer
Heimgesuchten nahm. Er schrieb damals über Fürnstein an den Grafen Stern -
berg: „Auf seinem, seit dem siebenten Jahr, durch Gicht verkrümmten Körper
hat sich ein guter Kopf ausgebildet, ein Cerebralsystem, das Wohlgestalten Gliedern



Es ist in einer trefflichen Heliogravüre wiedergegeben in Band XVII der „Chronik
des Wiener Goethe-Vereins".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/148>, abgerufen am 24.07.2024.