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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Unterredung mit Fürst Bismarck

ihm: "Wenn ich Ew. Majestät raten darf, so werfen Sie das Papier ins
Kaminfeuer." "Nein nein, erwiderte er, geben Sie nur her", und setzte seinen
Namen darunter. Ich legte das Papier in meine Mappe und suchte die Ver¬
öffentlichung noch hinauszuschieben, aber zehn Tage nachher schickte er zu mir
und ließ fragen, warum sie noch nicht publiziert seien, es sollte bis zum nächsten
Morgen geschehen (4. Februar 1890). Welche traurigen Folgen das hatte, wissen
Sie. (Gemeine sind die Neichstagswahlen vom 20. Februar.) Ich glaubte Unter¬
stützung zu finden, indem ich die Berufung des Staatsrath (zum 14. Februar)
und der nationalen Arbeiterschutzkvnferenz veranlaßte. Ich täuschte mich. Im
Staatsrat (26. Februar bis 4. März), wo auch einige Arbeiter (vier) zugezogen
waren, wagten nur wenige Vertreter der Industrie schwache Einwendungen,
darunter der Vertreter von Krupp, ein Sachse, wie hieß er doch? -- "Geheimrat
Jencke", warf ich ein --, die übrigen fürchteten vultum instüntis t^ravni und
ließen mich im Stich. Unsre Konkurrenten aber, die Franzosen, Engländer und
Belgier, konnten doch nur wünschen, daß wir konkurrenzunfähig würden.

Der Kaiser wollte sich überhaupt von mir trennen, wenn auch nicht so
bald. Denn sein Ruhm wurde von meiner Existenz beschattet. Ich sah das
wohl, aber ich hielt es für feig, davonzulaufen. Seitdem suchte er Händel mit
mir. Er wollte die Kabiuettsorder (vom 8. September 1852) über die Stellung
des Ministerpräsidenten zu seinen Kollegen aufheben. "Das können Ew. Majestät
tun, sagte ich ihm, nur gibt es dann keinen Ministerpräsidenten mehr, und ich
müßte zurücktreten." "Sie setzen mich dadurch in eine Zwangslage." "Durchaus
nicht, Majestät können dann ja selbst das Präsidium übernehmen." "Das sollte
mir einfallen!"*) Dann kamen die Verdyschen Pläne für eine Umgestaltung der
Armee,**) dieselben, die heute wieder vorliegen; ich war dagegen."

Diese Darstellung des Fürsten gibt die genaue Parallele zu der Erzählung,
die Hohenlohe aus dem Munde des Kaisers überliefert. Danach begann die
Verstimmung schon im Dezember 1889, und es sieht dort so aus, als ob die
Unterredung zwischen Kaiser und Kanzler, in der die prinzipiellen Gegensätze in
der sozialen Frage zum erstenmale scharf aufeinander stießen, in die nächst¬
folgende Zeit gehöre. Nur ist die von mir wiedergegebne Darstellung des Fürsten
drastischer und wird noch gehoben durch das, was er über seinen Standpunkt
und seine Absichten vorausschickte; jedenfalls hat er nach seinen eignen Worten
gegenüber der Sozialdemokratie sehr weit gehen wollen, bis zur Anwendung
militärischer Gewalt im Falle des Widerstandes. Von einem Staatsstreich sagte
er allerdings kein Wort, aber auch darüber nicht, wie er sich die Durchführung
seines Planes dachte, und es wäre ganz untunlich gewesen, ihn mit einer Frage
zu unterbrechen. Vom Staatsrat freilich, wie Hohenlohe gehört haben will, hat der
Kaiser die Erlasse nicht haben wollen, denn sie wurden schon am 4. Februar 1890




*) Diese Unterredung war am is. März, H. Kohl, Bismarckregesten II, 497.
**) Die Einführung der zweijährigen Dienstzeit bei der Infanterie.
Line Unterredung mit Fürst Bismarck

ihm: »Wenn ich Ew. Majestät raten darf, so werfen Sie das Papier ins
Kaminfeuer.« »Nein nein, erwiderte er, geben Sie nur her«, und setzte seinen
Namen darunter. Ich legte das Papier in meine Mappe und suchte die Ver¬
öffentlichung noch hinauszuschieben, aber zehn Tage nachher schickte er zu mir
und ließ fragen, warum sie noch nicht publiziert seien, es sollte bis zum nächsten
Morgen geschehen (4. Februar 1890). Welche traurigen Folgen das hatte, wissen
Sie. (Gemeine sind die Neichstagswahlen vom 20. Februar.) Ich glaubte Unter¬
stützung zu finden, indem ich die Berufung des Staatsrath (zum 14. Februar)
und der nationalen Arbeiterschutzkvnferenz veranlaßte. Ich täuschte mich. Im
Staatsrat (26. Februar bis 4. März), wo auch einige Arbeiter (vier) zugezogen
waren, wagten nur wenige Vertreter der Industrie schwache Einwendungen,
darunter der Vertreter von Krupp, ein Sachse, wie hieß er doch? — »Geheimrat
Jencke«, warf ich ein —, die übrigen fürchteten vultum instüntis t^ravni und
ließen mich im Stich. Unsre Konkurrenten aber, die Franzosen, Engländer und
Belgier, konnten doch nur wünschen, daß wir konkurrenzunfähig würden.

Der Kaiser wollte sich überhaupt von mir trennen, wenn auch nicht so
bald. Denn sein Ruhm wurde von meiner Existenz beschattet. Ich sah das
wohl, aber ich hielt es für feig, davonzulaufen. Seitdem suchte er Händel mit
mir. Er wollte die Kabiuettsorder (vom 8. September 1852) über die Stellung
des Ministerpräsidenten zu seinen Kollegen aufheben. »Das können Ew. Majestät
tun, sagte ich ihm, nur gibt es dann keinen Ministerpräsidenten mehr, und ich
müßte zurücktreten.« »Sie setzen mich dadurch in eine Zwangslage.« »Durchaus
nicht, Majestät können dann ja selbst das Präsidium übernehmen.« »Das sollte
mir einfallen!«*) Dann kamen die Verdyschen Pläne für eine Umgestaltung der
Armee,**) dieselben, die heute wieder vorliegen; ich war dagegen."

Diese Darstellung des Fürsten gibt die genaue Parallele zu der Erzählung,
die Hohenlohe aus dem Munde des Kaisers überliefert. Danach begann die
Verstimmung schon im Dezember 1889, und es sieht dort so aus, als ob die
Unterredung zwischen Kaiser und Kanzler, in der die prinzipiellen Gegensätze in
der sozialen Frage zum erstenmale scharf aufeinander stießen, in die nächst¬
folgende Zeit gehöre. Nur ist die von mir wiedergegebne Darstellung des Fürsten
drastischer und wird noch gehoben durch das, was er über seinen Standpunkt
und seine Absichten vorausschickte; jedenfalls hat er nach seinen eignen Worten
gegenüber der Sozialdemokratie sehr weit gehen wollen, bis zur Anwendung
militärischer Gewalt im Falle des Widerstandes. Von einem Staatsstreich sagte
er allerdings kein Wort, aber auch darüber nicht, wie er sich die Durchführung
seines Planes dachte, und es wäre ganz untunlich gewesen, ihn mit einer Frage
zu unterbrechen. Vom Staatsrat freilich, wie Hohenlohe gehört haben will, hat der
Kaiser die Erlasse nicht haben wollen, denn sie wurden schon am 4. Februar 1890




*) Diese Unterredung war am is. März, H. Kohl, Bismarckregesten II, 497.
**) Die Einführung der zweijährigen Dienstzeit bei der Infanterie.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/132>, abgerufen am 02.10.2024.