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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Unterredung mit Fürst Bismarck

kanzler (1894 bis 1901) mehr als ein Menschenalter lang sich immer als vor¬
sichtigen, klugen Staatsmann von vornehmer Gesinnung und als deutschen
Patrioten erwiesen hat, wenn er auch nicht zu den großen, den führenden Geistern
seines Volks gezählt hat. Zum Lohne für das alles ist er von einem Teile
der deutschen Presse als herzlich unbedeutend geradezu verhöhnt worden. Und
warum? weil er über Bismarcks Entlassung Tatsachen mitgeteilt hat, die den
Bruch als unvermeidlich, als ein tragisches Ereignis im vollen Sinne des Wortes,
wofür freilich der Erzähler selbst leider keine Empfindung verrät, erkennen
lassen, allerdings nur für urteilsfähige, nicht von leidenschaftlichen Vorurteilen
und Sympathien voreingenommene Leser.

Die bekannte Tatsache, daß der Bruch wesentlich herbeigeführt worden ist
durch die Differenz in der Behandlung der sozialen Frage, wird von den
Memoiren lediglich bestätigt (vgl. besonders den Bericht Hohenlohes über eine
lange Unterredung mit dem Kaiser auf einer Jagdfahrt im Elsaß in der Nacht
vom 23. zum 24. April 1890, datiert Straßburg, 26. April, II, 467 ff.). Ohne
nun auf die Behauptung näher eingehen zu wollen, die Hans Delbrück im
Novemberheft der Preußischen Jahrbücher zuerst aufgestellt und im Dezember¬
heft ("Die Hohenlohe-Memoiren und Bismarcks Entlassung") ausführlicher
verfochten hat, daß es sich dabei um nichts Geringeres als um die Beseitigung
des allgemeinen Wahlrechts durch einen Staatsstreich gehandelt, der Kaiser aber
sich diesem widersetzt habe, so halte ich es doch nicht für überflüssig, hier eine
Darstellung mitzuteilen, die mir Fürst Bismarck in Varzin am Nachmittage des
30. Oktober 1892 in seinem Arbeitszimmer ohne weitere Zeugen gab, und die
ich mir dann aus dem Gedächtnis heraus sofort aufgezeichnet habe (vgl.
Herbsttage in Varzin, Grenzboten 1892, IV, S. 380 f.). Ich kann natürlich nicht
für jedes einzelne Wort einstehen, aber die bekannte prägnante und drastische
Art des Fürsten, sich auszudrücken, pflegte sich sehr fest, unvergeßlich einzuprägen,
sodaß ich für die Hauptsache bis auf den Wortlaut bürgen zu rönnen glaube. Der
Fürst sprach in ruhigem, gleichmäßigem Redefluß, ohne Erregung zu verraten.

Ich hatte damals bei meinem Besuche von meinem Freunde Hans Grunow
den Auftrag mitgenommen, den Fürsten wieder für die Grenzboten zu interessieren,
die lange in Verbindung mit ihm gestanden hatten, diese Verbindung aber nicht
hatten behaupten können, vornehmlich wohl, weil sie eine Zeit lang eine von der
seinen verschiedne sozialpolitische Richtung einschlugen. Ich sagte ihm also, die
Grenzboten betrachteten die Sozialdemokratie als ein notwendiges Erzeugnis des
Kapitalismus und hielten die Emanzipationsbestrebungen des vierten Standes
grundsätzlich für ebenso berechtigt wie seinerzeit die des dritten. Auf diese
theoretische Betrachtung ging der Fürst nicht weiter ein, sondern er faßte die
Frage sofort in ihren praktischen Konsequenzen. "Was ist sozialistisch?" sagte er.
"Wenn der Unternehmergewinn unter ein gewisses Niveau herabsinkt, dann zieht
der Unternehmer sein Kapital eben zurück, schließt seine Fabrik und schneidet
Coupons. Die Sozialdemokratie will den Umsturz, ihre Führer fahren um


Line Unterredung mit Fürst Bismarck

kanzler (1894 bis 1901) mehr als ein Menschenalter lang sich immer als vor¬
sichtigen, klugen Staatsmann von vornehmer Gesinnung und als deutschen
Patrioten erwiesen hat, wenn er auch nicht zu den großen, den führenden Geistern
seines Volks gezählt hat. Zum Lohne für das alles ist er von einem Teile
der deutschen Presse als herzlich unbedeutend geradezu verhöhnt worden. Und
warum? weil er über Bismarcks Entlassung Tatsachen mitgeteilt hat, die den
Bruch als unvermeidlich, als ein tragisches Ereignis im vollen Sinne des Wortes,
wofür freilich der Erzähler selbst leider keine Empfindung verrät, erkennen
lassen, allerdings nur für urteilsfähige, nicht von leidenschaftlichen Vorurteilen
und Sympathien voreingenommene Leser.

Die bekannte Tatsache, daß der Bruch wesentlich herbeigeführt worden ist
durch die Differenz in der Behandlung der sozialen Frage, wird von den
Memoiren lediglich bestätigt (vgl. besonders den Bericht Hohenlohes über eine
lange Unterredung mit dem Kaiser auf einer Jagdfahrt im Elsaß in der Nacht
vom 23. zum 24. April 1890, datiert Straßburg, 26. April, II, 467 ff.). Ohne
nun auf die Behauptung näher eingehen zu wollen, die Hans Delbrück im
Novemberheft der Preußischen Jahrbücher zuerst aufgestellt und im Dezember¬
heft („Die Hohenlohe-Memoiren und Bismarcks Entlassung") ausführlicher
verfochten hat, daß es sich dabei um nichts Geringeres als um die Beseitigung
des allgemeinen Wahlrechts durch einen Staatsstreich gehandelt, der Kaiser aber
sich diesem widersetzt habe, so halte ich es doch nicht für überflüssig, hier eine
Darstellung mitzuteilen, die mir Fürst Bismarck in Varzin am Nachmittage des
30. Oktober 1892 in seinem Arbeitszimmer ohne weitere Zeugen gab, und die
ich mir dann aus dem Gedächtnis heraus sofort aufgezeichnet habe (vgl.
Herbsttage in Varzin, Grenzboten 1892, IV, S. 380 f.). Ich kann natürlich nicht
für jedes einzelne Wort einstehen, aber die bekannte prägnante und drastische
Art des Fürsten, sich auszudrücken, pflegte sich sehr fest, unvergeßlich einzuprägen,
sodaß ich für die Hauptsache bis auf den Wortlaut bürgen zu rönnen glaube. Der
Fürst sprach in ruhigem, gleichmäßigem Redefluß, ohne Erregung zu verraten.

Ich hatte damals bei meinem Besuche von meinem Freunde Hans Grunow
den Auftrag mitgenommen, den Fürsten wieder für die Grenzboten zu interessieren,
die lange in Verbindung mit ihm gestanden hatten, diese Verbindung aber nicht
hatten behaupten können, vornehmlich wohl, weil sie eine Zeit lang eine von der
seinen verschiedne sozialpolitische Richtung einschlugen. Ich sagte ihm also, die
Grenzboten betrachteten die Sozialdemokratie als ein notwendiges Erzeugnis des
Kapitalismus und hielten die Emanzipationsbestrebungen des vierten Standes
grundsätzlich für ebenso berechtigt wie seinerzeit die des dritten. Auf diese
theoretische Betrachtung ging der Fürst nicht weiter ein, sondern er faßte die
Frage sofort in ihren praktischen Konsequenzen. „Was ist sozialistisch?" sagte er.
„Wenn der Unternehmergewinn unter ein gewisses Niveau herabsinkt, dann zieht
der Unternehmer sein Kapital eben zurück, schließt seine Fabrik und schneidet
Coupons. Die Sozialdemokratie will den Umsturz, ihre Führer fahren um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/130>, abgerufen am 30.06.2024.