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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fnciner See

Gewirr enger, finsterer Gassen zu einem ernst und ehrwürdig dreinschauenden
Manne, Don Alfonso. Dieser erklärte sich bereit, mir ein Bett zu geben.
Natürlich ließ ich sofort Wein holen und belohnte den braven Maurer mit
einem Schoppen feurigen roten. Er war vor Jahren im Elsaß gewesen und
hatte da mit vielen Hunderten seiner Landsleute für uns in Straßburg und an
andern Orten Forts gebant. Da an sämtlichen Wänden der Wohnung Mode¬
bilder hingen, kam ich bald zu der Überzeugung, daß mein Wirt ein Schneider
sein müsse. Und so war es auch. Das Herbergehalten betrieb er aber doch
vielleicht als Hauptsache, die Rechnung am nächsten Morgen verriet einen außer¬
ordentlich entwickelten Geschäftssinn.

Die einstige Bedeutung des Städtchens, das jetzt nur 9000 Einwohner
hat, beweisen seine stattlichen Kirchen aus dem dreizehnten Jahrhundert, sämtlich
romanisch und von demselben Charakter wie die aus derselben Zeit in Aquila.
Schöne Rosetten zeigt die Pfarrkirche San Giovanni und eine andre Sant'
Angelo. Bemerkenswert sind die Fresken an der Lünette der Eingangspforte
von San Francesco: Madonna mit Heiligen. Das steife Byzantinische ist noch
nicht überwunden, aber wohltuend wirken die sanft abgetöntem Farben. Auch
die milden, seinen Gesichter verraten den Einfluß des nahen Andricus.

Menschen und Dinge, die bei der ersten Bekanntschaft einen günstigen Ein¬
druck auf uns machen, verlieren oft um so mehr bei genaueren Zusehen. So
gings mir mit dem Kastell von Celaeno, in dem ich gestern aus der Ferne eine
ganz seltene Perle der Romantik entdeckt zu haben wähnte. Im ganzen gut
erhalten, ist es im einzelnen schrecklich verwahrlost. Schmutzig die Höfe, Treppen,
Galerien und Gänge, schrecklich die Malereien der obern Räume. Die ehe¬
maligen Prunkzimmer der fürstlichen Besitzer verraten ihren schlechten Geschmack.
Überall Verfall. Hier hat wohl seit hundert Jahren kein Maurer oder Tüncher
einen Schaden gebessert. Dank der soliden Vanart des Mittelalters noch nichts
Ruinenhaftes. Aber welches Juwel könnte dieses durch seinen imposanten
Säulenhof architektonisch hervorragende Gebäude in der Hand eines reichen
Herrn auch im Innern werden! Wie köstlich sind die Ausblicke aus den Saal¬
fenstern des Obergeschosses und von dem Umgang oben, wo man über den
Zinnenkranz nach der Stadt Avezzcmo, auf den fruchtreichen Boden des ehe¬
maligen Sees und die freundlichen Berge in weitem Kreise hinüberschaut! Noch
sind einige gotische Fenster an der Seeseite erhalten und ein steinerner Fenster¬
rahmen über dem innern Tor -- edelste Neuaisscmcearbeit. Aber eine Er¬
neuerung dieses köstlichen Herrensitzes steht nicht zu hoffen. Das Schloß gehört
jetzt drei verschiednen Eigentümern und ist an eine Menge Familien vermietet.
Jene suchen möglichst viel herauszuschlagen und wenden nichts auf. Mit dem
Gefühl des äußersten Unbehagens verließ ich die historisch denkwürdige Stätte.




Am Fnciner See

Gewirr enger, finsterer Gassen zu einem ernst und ehrwürdig dreinschauenden
Manne, Don Alfonso. Dieser erklärte sich bereit, mir ein Bett zu geben.
Natürlich ließ ich sofort Wein holen und belohnte den braven Maurer mit
einem Schoppen feurigen roten. Er war vor Jahren im Elsaß gewesen und
hatte da mit vielen Hunderten seiner Landsleute für uns in Straßburg und an
andern Orten Forts gebant. Da an sämtlichen Wänden der Wohnung Mode¬
bilder hingen, kam ich bald zu der Überzeugung, daß mein Wirt ein Schneider
sein müsse. Und so war es auch. Das Herbergehalten betrieb er aber doch
vielleicht als Hauptsache, die Rechnung am nächsten Morgen verriet einen außer¬
ordentlich entwickelten Geschäftssinn.

Die einstige Bedeutung des Städtchens, das jetzt nur 9000 Einwohner
hat, beweisen seine stattlichen Kirchen aus dem dreizehnten Jahrhundert, sämtlich
romanisch und von demselben Charakter wie die aus derselben Zeit in Aquila.
Schöne Rosetten zeigt die Pfarrkirche San Giovanni und eine andre Sant'
Angelo. Bemerkenswert sind die Fresken an der Lünette der Eingangspforte
von San Francesco: Madonna mit Heiligen. Das steife Byzantinische ist noch
nicht überwunden, aber wohltuend wirken die sanft abgetöntem Farben. Auch
die milden, seinen Gesichter verraten den Einfluß des nahen Andricus.

Menschen und Dinge, die bei der ersten Bekanntschaft einen günstigen Ein¬
druck auf uns machen, verlieren oft um so mehr bei genaueren Zusehen. So
gings mir mit dem Kastell von Celaeno, in dem ich gestern aus der Ferne eine
ganz seltene Perle der Romantik entdeckt zu haben wähnte. Im ganzen gut
erhalten, ist es im einzelnen schrecklich verwahrlost. Schmutzig die Höfe, Treppen,
Galerien und Gänge, schrecklich die Malereien der obern Räume. Die ehe¬
maligen Prunkzimmer der fürstlichen Besitzer verraten ihren schlechten Geschmack.
Überall Verfall. Hier hat wohl seit hundert Jahren kein Maurer oder Tüncher
einen Schaden gebessert. Dank der soliden Vanart des Mittelalters noch nichts
Ruinenhaftes. Aber welches Juwel könnte dieses durch seinen imposanten
Säulenhof architektonisch hervorragende Gebäude in der Hand eines reichen
Herrn auch im Innern werden! Wie köstlich sind die Ausblicke aus den Saal¬
fenstern des Obergeschosses und von dem Umgang oben, wo man über den
Zinnenkranz nach der Stadt Avezzcmo, auf den fruchtreichen Boden des ehe¬
maligen Sees und die freundlichen Berge in weitem Kreise hinüberschaut! Noch
sind einige gotische Fenster an der Seeseite erhalten und ein steinerner Fenster¬
rahmen über dem innern Tor — edelste Neuaisscmcearbeit. Aber eine Er¬
neuerung dieses köstlichen Herrensitzes steht nicht zu hoffen. Das Schloß gehört
jetzt drei verschiednen Eigentümern und ist an eine Menge Familien vermietet.
Jene suchen möglichst viel herauszuschlagen und wenden nichts auf. Mit dem
Gefühl des äußersten Unbehagens verließ ich die historisch denkwürdige Stätte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/114>, abgerufen am 24.07.2024.