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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

Sie sind trübe genug. Im Altertum wütete hier der blutige Marserkrieg
90 bis 89 vor Chr., und im siebzehnten Jahrhundert hatte das Städtchen nicht
minder zu leiden, da es am Aufstande Masaniellos gegen den spanischen
Despotismus (1647) hervorragenden Anteil nahm und durch das Erdbeben von
1695 halb zerstört wurde. Das alte Kastell da unten aber mit seinen vier
wuchtigen Ecktürmen wußte noch ganz andre Dinge zu erzählen.

Wieder begegnen wir hier den Spuren unsers großen Kaisers Friedrich
des Zweiten. Im Jahre 1221 empörte sich der Graf von Celano wider ihn.
Der Feldherr des Hohenstaufen, Graf von Acerra, zog an den Fuciner See,
besetzte die Stadt, konnte aber die Rocca Mandolfi nicht nehmen. Das Jahr
darauf kam der Kaiser selbst, ohne etwas auszurichten. Endlich vermittelte der
Papst einen Frieden, wonach der Graf von Celano mit seinen Mannen freien
Abzug erhielt. Dafür mußten aber die Bürger in die Verbannung gehn, ihre
Stadt wurde verbrannt. So lag sie zwei Jnhre in Schutt und Asche. Endlich
war der Zorn des Kaisers verraucht. In eigner Person gründete er feierlich
Celano aufs neue als Civitas Imperialis und erlaubte den Bürgern, die ihren
Zwangsanfenthalt unterdes in Kalcibrien, Sizilien und Malta genommen hatten,
zurückzukehren.

Die Grafschaft ging durch die Hände verschiedner Familien und gelangte
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts an Covella, die letzte Sprossin des Nor-
mmmengrafen Roger. Das wilde Blut dieses Geschlechts lebte noch einmal
auf in ihrem Sohn Nuggerotto. Der gönnte der Mutter den mächtigen Besitz
nicht, schlug sich auf die Seite der Anjous, die nach zweihundertjähriger Herr¬
schaft der Arcigonese Alfonso der Erste 1442 vom Throne Neapels gestoßen
hatte, und mietete den Condottiere Niccolo Piccinnino, um der Mutter Celano
zu entreißen. Die Stadt wurde tatsächlich erobert, und bald auch die Burg von
Gagliano, wohin die unglückliche Fran geflüchtet war, von den Landsknechten
Ruggerottos erstürmt. Der Sohn warf die eigne Mutter in den Kerker. Um
diese Schmach zu rächen, schickte Ferdinand der Erste (1458 bis 1494) Napoleone
Orsini. Der schlug Nuggerotto. Und Nuggerotto ließ seine Mutter frei, damit
sie beim Papst Pius dem Zweiten Fürbitte für ihn einlege. Aber weder der
Papst, der Celano für den Kirchenstaat beanspruchte, noch der mißratene Sohn
erhielten das schöne Ländchen. Ferdinand gab es als Mitgift seiner natürlichen
Tochter Maria von Aragonien einem seiner Getreuen, Antonio PiccolomiM, zu
Lehen. Dieser, sein Schwiegersohn, war zugleich ein Neffe des Papstes, und
so wurden beide Teile zufriedengestellt, mir der törichte Nuggerotto war wohl¬
verdienterweise um sein mütterliches Erbe gekommen.

Infolge der Herbstmesse herrschte auf den Straßen des Städtchens reges
Treiben, alle Gasthäuser waren überfüllt, sodaß ich froh war, als sich meiner
mit gewohnter italienischer Liebenswürdigkeit ein Maurer annahm, der auf dem
Markte bei Lampenschein vor einer Tciberne zu Abend aß. Obgleich er eben
seinen Teller Suppe erhalten hatte, sprang er auf und begleitete mich durch ein


Grsnzbotm I 1907 14
Am Fuciner See

Sie sind trübe genug. Im Altertum wütete hier der blutige Marserkrieg
90 bis 89 vor Chr., und im siebzehnten Jahrhundert hatte das Städtchen nicht
minder zu leiden, da es am Aufstande Masaniellos gegen den spanischen
Despotismus (1647) hervorragenden Anteil nahm und durch das Erdbeben von
1695 halb zerstört wurde. Das alte Kastell da unten aber mit seinen vier
wuchtigen Ecktürmen wußte noch ganz andre Dinge zu erzählen.

Wieder begegnen wir hier den Spuren unsers großen Kaisers Friedrich
des Zweiten. Im Jahre 1221 empörte sich der Graf von Celano wider ihn.
Der Feldherr des Hohenstaufen, Graf von Acerra, zog an den Fuciner See,
besetzte die Stadt, konnte aber die Rocca Mandolfi nicht nehmen. Das Jahr
darauf kam der Kaiser selbst, ohne etwas auszurichten. Endlich vermittelte der
Papst einen Frieden, wonach der Graf von Celano mit seinen Mannen freien
Abzug erhielt. Dafür mußten aber die Bürger in die Verbannung gehn, ihre
Stadt wurde verbrannt. So lag sie zwei Jnhre in Schutt und Asche. Endlich
war der Zorn des Kaisers verraucht. In eigner Person gründete er feierlich
Celano aufs neue als Civitas Imperialis und erlaubte den Bürgern, die ihren
Zwangsanfenthalt unterdes in Kalcibrien, Sizilien und Malta genommen hatten,
zurückzukehren.

Die Grafschaft ging durch die Hände verschiedner Familien und gelangte
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts an Covella, die letzte Sprossin des Nor-
mmmengrafen Roger. Das wilde Blut dieses Geschlechts lebte noch einmal
auf in ihrem Sohn Nuggerotto. Der gönnte der Mutter den mächtigen Besitz
nicht, schlug sich auf die Seite der Anjous, die nach zweihundertjähriger Herr¬
schaft der Arcigonese Alfonso der Erste 1442 vom Throne Neapels gestoßen
hatte, und mietete den Condottiere Niccolo Piccinnino, um der Mutter Celano
zu entreißen. Die Stadt wurde tatsächlich erobert, und bald auch die Burg von
Gagliano, wohin die unglückliche Fran geflüchtet war, von den Landsknechten
Ruggerottos erstürmt. Der Sohn warf die eigne Mutter in den Kerker. Um
diese Schmach zu rächen, schickte Ferdinand der Erste (1458 bis 1494) Napoleone
Orsini. Der schlug Nuggerotto. Und Nuggerotto ließ seine Mutter frei, damit
sie beim Papst Pius dem Zweiten Fürbitte für ihn einlege. Aber weder der
Papst, der Celano für den Kirchenstaat beanspruchte, noch der mißratene Sohn
erhielten das schöne Ländchen. Ferdinand gab es als Mitgift seiner natürlichen
Tochter Maria von Aragonien einem seiner Getreuen, Antonio PiccolomiM, zu
Lehen. Dieser, sein Schwiegersohn, war zugleich ein Neffe des Papstes, und
so wurden beide Teile zufriedengestellt, mir der törichte Nuggerotto war wohl¬
verdienterweise um sein mütterliches Erbe gekommen.

Infolge der Herbstmesse herrschte auf den Straßen des Städtchens reges
Treiben, alle Gasthäuser waren überfüllt, sodaß ich froh war, als sich meiner
mit gewohnter italienischer Liebenswürdigkeit ein Maurer annahm, der auf dem
Markte bei Lampenschein vor einer Tciberne zu Abend aß. Obgleich er eben
seinen Teller Suppe erhalten hatte, sprang er auf und begleitete mich durch ein


Grsnzbotm I 1907 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/113>, abgerufen am 24.07.2024.