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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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zu werden; wahrscheinlich haben sie den Tieren vorher die Giftzähne aus¬
gebrochen. Statt der Tiere selbst werden auch Tiermasken verwandt, wie denn
überhaupt Masken beim Tanz der Wilden teils als Schreckmittel teils als
Zaubermittel beliebt sind. Auch der Kriegstanz ist ursprünglich ein Zauber.
Er wird nicht bloß nach vollendetem Kampf zur Feier des Sieges veranstaltet,
sondern auch, ehe man in den Kampf zieht. Und daß dieses nicht bloß zu dem
Zwecke geschieht, die Kriegslust zu wecken und den Mut zu heben, beweist der
Umstand, daß manchmal in Stellvertretung der Krieger die Weiber tanzen. So
halten bei einem Indianerstamme Brasiliens die Weiber, während die Männer
im Kriege sind. Umzüge mit bemaltem Gesicht und in Kleidungsstücke der
Männer vermummt. Dem entspricht die Sitte eines andern Stammes, daß
die auf dem Felde arbeitende Familie auf dem zum Hause gehörenden Tanzplatz
einen Angehörigen zurückläßt, der tanzen und singen muß, um dadurch das
Gedeihen der Saat zu fördern.

Die Musik, die den Tanz begleitet, ist ursprünglich bloßer Lärm als Aus¬
druck oder zur Steigerung des Affekts. Ein musikalisches Element kommt da¬
durch hinein, daß sich die Trommler und sonstigen Schläger dem Rhythmus der
Tanzenden und Singenden anpassen. Auch die einfachen Schlaginstrumente
werden als Zaubermittel, außerdem zu Ankündigungen verwandt. Abstch Mes
erfunden können die ersten wirklichen Musikinstrumente nicht sein. Solche Absicht
konnte erst wirksam werden, nachdem man zufällig Töne und Tonreihen vernommen
hatte, die Wohlgefallen erregten, und die man deshalb öfter zu erzeugen wünschte.
So bemerkte man, daß Kürbisse von verschiedner Größe, aus die man rin Holz-
stWen schlug, verschieden hohe Töne erklingen ließen. Aus solchen Resonanz-
körpern haben Kongoncger eine Art Glockenspiel zusammengestellt. Beim be¬
arbeiten der Tierhänte. beim Fällen der Bäume, beim Anblasen hohler Pflanzen¬
stengel und Knochen vernahm man allerlei Töne, die zur Wiederholung reizten.
Am fruchtbarsten erwiesen sich die Klänge, die angeblasene Pflanzenstengel von
sich gaben und gespannte Bogensehnen, wenn man sie zupfte. Aus jenen gingen
die Blasinstrumente, ans diesen die Saiteninstrumente hervor. Wie die Ton-
höhe und der Wohlklang von Tonfolgen mit geometrischen und arithmetischen
Verhältnissen zusammenhängt, wurde früh entdeckt; '"^e man doch um Tu.e
v°n bestimmten Höhen u erhalten. Saiten von bestimmter Lange verwenden.
°n der Rohrpfeife die Löcher in bestimmten Abständen voneinander anbringen.
°der, bei der Panflöte. Rohre von verschiednen Längen miteinander verbinden.
^ fand sich, daß dabei Zahlen eine Rolle spielten, die wegen ihrer Bedeutung
auf andern Gebieten, besonders in der Sternkunde, als h^ge Z°h en M n
und von diesen Erfahrungen aus haben die Pythagoräer die erste Musiktheorie
begründet, über die Wundt ausführlich berichtet.

, Vom mimischen Tanz und Auszug aus entwickelt ich der Mimus. Bei
den Alten umfaßte dieser Begriff alle Gattungen mimisch-dramati cher Kunst,
die außerhalb des Gebiets der klassischen Tragödie und Komödie lagen, "von


lvundts Geschichte der musischen Aünste

zu werden; wahrscheinlich haben sie den Tieren vorher die Giftzähne aus¬
gebrochen. Statt der Tiere selbst werden auch Tiermasken verwandt, wie denn
überhaupt Masken beim Tanz der Wilden teils als Schreckmittel teils als
Zaubermittel beliebt sind. Auch der Kriegstanz ist ursprünglich ein Zauber.
Er wird nicht bloß nach vollendetem Kampf zur Feier des Sieges veranstaltet,
sondern auch, ehe man in den Kampf zieht. Und daß dieses nicht bloß zu dem
Zwecke geschieht, die Kriegslust zu wecken und den Mut zu heben, beweist der
Umstand, daß manchmal in Stellvertretung der Krieger die Weiber tanzen. So
halten bei einem Indianerstamme Brasiliens die Weiber, während die Männer
im Kriege sind. Umzüge mit bemaltem Gesicht und in Kleidungsstücke der
Männer vermummt. Dem entspricht die Sitte eines andern Stammes, daß
die auf dem Felde arbeitende Familie auf dem zum Hause gehörenden Tanzplatz
einen Angehörigen zurückläßt, der tanzen und singen muß, um dadurch das
Gedeihen der Saat zu fördern.

Die Musik, die den Tanz begleitet, ist ursprünglich bloßer Lärm als Aus¬
druck oder zur Steigerung des Affekts. Ein musikalisches Element kommt da¬
durch hinein, daß sich die Trommler und sonstigen Schläger dem Rhythmus der
Tanzenden und Singenden anpassen. Auch die einfachen Schlaginstrumente
werden als Zaubermittel, außerdem zu Ankündigungen verwandt. Abstch Mes
erfunden können die ersten wirklichen Musikinstrumente nicht sein. Solche Absicht
konnte erst wirksam werden, nachdem man zufällig Töne und Tonreihen vernommen
hatte, die Wohlgefallen erregten, und die man deshalb öfter zu erzeugen wünschte.
So bemerkte man, daß Kürbisse von verschiedner Größe, aus die man rin Holz-
stWen schlug, verschieden hohe Töne erklingen ließen. Aus solchen Resonanz-
körpern haben Kongoncger eine Art Glockenspiel zusammengestellt. Beim be¬
arbeiten der Tierhänte. beim Fällen der Bäume, beim Anblasen hohler Pflanzen¬
stengel und Knochen vernahm man allerlei Töne, die zur Wiederholung reizten.
Am fruchtbarsten erwiesen sich die Klänge, die angeblasene Pflanzenstengel von
sich gaben und gespannte Bogensehnen, wenn man sie zupfte. Aus jenen gingen
die Blasinstrumente, ans diesen die Saiteninstrumente hervor. Wie die Ton-
höhe und der Wohlklang von Tonfolgen mit geometrischen und arithmetischen
Verhältnissen zusammenhängt, wurde früh entdeckt; '"^e man doch um Tu.e
v°n bestimmten Höhen u erhalten. Saiten von bestimmter Lange verwenden.
°n der Rohrpfeife die Löcher in bestimmten Abständen voneinander anbringen.
°der, bei der Panflöte. Rohre von verschiednen Längen miteinander verbinden.
^ fand sich, daß dabei Zahlen eine Rolle spielten, die wegen ihrer Bedeutung
auf andern Gebieten, besonders in der Sternkunde, als h^ge Z°h en M n
und von diesen Erfahrungen aus haben die Pythagoräer die erste Musiktheorie
begründet, über die Wundt ausführlich berichtet.

, Vom mimischen Tanz und Auszug aus entwickelt ich der Mimus. Bei
den Alten umfaßte dieser Begriff alle Gattungen mimisch-dramati cher Kunst,
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[0709] lvundts Geschichte der musischen Aünste zu werden; wahrscheinlich haben sie den Tieren vorher die Giftzähne aus¬ gebrochen. Statt der Tiere selbst werden auch Tiermasken verwandt, wie denn überhaupt Masken beim Tanz der Wilden teils als Schreckmittel teils als Zaubermittel beliebt sind. Auch der Kriegstanz ist ursprünglich ein Zauber. Er wird nicht bloß nach vollendetem Kampf zur Feier des Sieges veranstaltet, sondern auch, ehe man in den Kampf zieht. Und daß dieses nicht bloß zu dem Zwecke geschieht, die Kriegslust zu wecken und den Mut zu heben, beweist der Umstand, daß manchmal in Stellvertretung der Krieger die Weiber tanzen. So halten bei einem Indianerstamme Brasiliens die Weiber, während die Männer im Kriege sind. Umzüge mit bemaltem Gesicht und in Kleidungsstücke der Männer vermummt. Dem entspricht die Sitte eines andern Stammes, daß die auf dem Felde arbeitende Familie auf dem zum Hause gehörenden Tanzplatz einen Angehörigen zurückläßt, der tanzen und singen muß, um dadurch das Gedeihen der Saat zu fördern. Die Musik, die den Tanz begleitet, ist ursprünglich bloßer Lärm als Aus¬ druck oder zur Steigerung des Affekts. Ein musikalisches Element kommt da¬ durch hinein, daß sich die Trommler und sonstigen Schläger dem Rhythmus der Tanzenden und Singenden anpassen. Auch die einfachen Schlaginstrumente werden als Zaubermittel, außerdem zu Ankündigungen verwandt. Abstch Mes erfunden können die ersten wirklichen Musikinstrumente nicht sein. Solche Absicht konnte erst wirksam werden, nachdem man zufällig Töne und Tonreihen vernommen hatte, die Wohlgefallen erregten, und die man deshalb öfter zu erzeugen wünschte. So bemerkte man, daß Kürbisse von verschiedner Größe, aus die man rin Holz- stWen schlug, verschieden hohe Töne erklingen ließen. Aus solchen Resonanz- körpern haben Kongoncger eine Art Glockenspiel zusammengestellt. Beim be¬ arbeiten der Tierhänte. beim Fällen der Bäume, beim Anblasen hohler Pflanzen¬ stengel und Knochen vernahm man allerlei Töne, die zur Wiederholung reizten. Am fruchtbarsten erwiesen sich die Klänge, die angeblasene Pflanzenstengel von sich gaben und gespannte Bogensehnen, wenn man sie zupfte. Aus jenen gingen die Blasinstrumente, ans diesen die Saiteninstrumente hervor. Wie die Ton- höhe und der Wohlklang von Tonfolgen mit geometrischen und arithmetischen Verhältnissen zusammenhängt, wurde früh entdeckt; '"^e man doch um Tu.e v°n bestimmten Höhen u erhalten. Saiten von bestimmter Lange verwenden. °n der Rohrpfeife die Löcher in bestimmten Abständen voneinander anbringen. °der, bei der Panflöte. Rohre von verschiednen Längen miteinander verbinden. ^ fand sich, daß dabei Zahlen eine Rolle spielten, die wegen ihrer Bedeutung auf andern Gebieten, besonders in der Sternkunde, als h^ge Z°h en M n und von diesen Erfahrungen aus haben die Pythagoräer die erste Musiktheorie begründet, über die Wundt ausführlich berichtet. , Vom mimischen Tanz und Auszug aus entwickelt ich der Mimus. Bei den Alten umfaßte dieser Begriff alle Gattungen mimisch-dramati cher Kunst, die außerhalb des Gebiets der klassischen Tragödie und Komödie lagen, „von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/709>, abgerufen am 23.07.2024.