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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dresdner Aünstlerhefte

haben kann, das nimmt man in Surrogaten. Jeder möchte alles äußerlich so
hübsch wie möglich haben und zeigen. Dieser Grundtrieb des menschlichen
Herzens ist so alt wie die Welt. Sollte er sich wirklich durch die Kunstschul-
meisterei ausrotten lassen?

Wir sammeln noch einige Eindrücke aus der großen Flucht von Zimmern,
Sälen und Vorräumen mit den anspruchsvollern Einrichtungen, die vor allem
sehr schön gearbeitet und aus gewühlten Material hergestellt waren, so kostbar,
daß sich gewöhnliche Menschen gar nicht vermessen würden, dergleichen besitzen
zu wollen. Aber sie durften es doch ansehen und sich ihre Gedanken darüber
machen. Das Publikum schien hindurchzugehn mit einem Gefühl von Ehrfurcht
vor dem vielen Gelde, was das zu erwerben kosten müsse, und darin hatte
es gewiß Recht. Wer aber die Erinnerung mitbrachte an ähnlich luxuriöse
Mobiliareinrichtungen älterer Stilformen, dem mußte es doch alsbald aufgehn,
wieviel voller und reicher diese Hütten wirken müssen, wenn es darauf ankam,
Eindrücke einer wirklich vornehmen Pracht zu verbreiten. Bei schlichten Gegen¬
ständen des täglichen Gebrauchs hat ja die Ornamentscheu der Moderne etwas
für sich. Wenn sie aber Prunkmöbel in größerm Maßstabe baut und noch so
viel echtes Material verschwendet, macht sie mit ihren stumpfen Profilen und
ihren leeren Flüchen den Eindruck nüchterner Einförmigkeit. Sie kann, da das
Auge nun einmal Zierformen verlangt, diese nicht ganz entbehren, aber das
Linienwerk, das sie an die Stelle des verschmähten Ornaments der historischen
Stile setzt, langweilt uns durch die kümmerliche Eintönigkeit der sich stets wieder¬
holenden Motive. Welche Armut an Erfindung gähnt uns zum Beispiel aus
der Zeichnung dieser kostbaren Teppiche und Vorhänge entgegen! Nicht ohne
Grund behaupten sich ja deshalb auch die orientalischen Fabrikate. Die bleiben
"modern", wenn sich auch das Publikum einreden läßt, daß die Nenaissance-
und Barockmuster durch die neuste Liniendekoration überwunden seien.

Diese bessern und auch ein Teil der geringern Mobiliars waren, wie
schon bemerkt, in besonders dekorierte Räume gestellt, wovon die Abbildungen
unsers Dresdner Künstlerhefts eine Anschauung geben. Wenn dies zu dem
Zwecke geschah, daß sich die Möbel auf solche Weise besser präsentierten, so
war das ja nichts neues, denn unsre Möbelmagazine machen es auch nicht
viel anders. Hier aber waren, wie ebenfalls schon bemerkt wurde, in sehr vielen
Füllen diese Möbel gerade für diese Räume bestimmt, und diese Zusammen¬
gehörigkeit trat mit dem Anspruch auf, etwas Neues zu sein, wofür man den
Ausdruck "Raumkunst" gewählt hatte. Ganz neu ist ja freilich auch das nicht,
denn es ist auch sonst schon vorgekommen, daß sich ein reicher Mann im eignen
Hause nach seinem und seines Architekten Geschmack die Räume einrichten und
möblieren läßt. Neu war aber die prinzipielle Betonung dieser Zusammen¬
gehörigkeit, die Verallgemeinerung dieser Forderung, oder, wie man auch sagen
kann, der Anspruch, daß dies etwas Neues sei, so wichtig und notwendig, daß
es eine Aufgabe der Zukunft sein werde und müsse. Nun wissen wir aber alle,


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haben kann, das nimmt man in Surrogaten. Jeder möchte alles äußerlich so
hübsch wie möglich haben und zeigen. Dieser Grundtrieb des menschlichen
Herzens ist so alt wie die Welt. Sollte er sich wirklich durch die Kunstschul-
meisterei ausrotten lassen?

Wir sammeln noch einige Eindrücke aus der großen Flucht von Zimmern,
Sälen und Vorräumen mit den anspruchsvollern Einrichtungen, die vor allem
sehr schön gearbeitet und aus gewühlten Material hergestellt waren, so kostbar,
daß sich gewöhnliche Menschen gar nicht vermessen würden, dergleichen besitzen
zu wollen. Aber sie durften es doch ansehen und sich ihre Gedanken darüber
machen. Das Publikum schien hindurchzugehn mit einem Gefühl von Ehrfurcht
vor dem vielen Gelde, was das zu erwerben kosten müsse, und darin hatte
es gewiß Recht. Wer aber die Erinnerung mitbrachte an ähnlich luxuriöse
Mobiliareinrichtungen älterer Stilformen, dem mußte es doch alsbald aufgehn,
wieviel voller und reicher diese Hütten wirken müssen, wenn es darauf ankam,
Eindrücke einer wirklich vornehmen Pracht zu verbreiten. Bei schlichten Gegen¬
ständen des täglichen Gebrauchs hat ja die Ornamentscheu der Moderne etwas
für sich. Wenn sie aber Prunkmöbel in größerm Maßstabe baut und noch so
viel echtes Material verschwendet, macht sie mit ihren stumpfen Profilen und
ihren leeren Flüchen den Eindruck nüchterner Einförmigkeit. Sie kann, da das
Auge nun einmal Zierformen verlangt, diese nicht ganz entbehren, aber das
Linienwerk, das sie an die Stelle des verschmähten Ornaments der historischen
Stile setzt, langweilt uns durch die kümmerliche Eintönigkeit der sich stets wieder¬
holenden Motive. Welche Armut an Erfindung gähnt uns zum Beispiel aus
der Zeichnung dieser kostbaren Teppiche und Vorhänge entgegen! Nicht ohne
Grund behaupten sich ja deshalb auch die orientalischen Fabrikate. Die bleiben
„modern", wenn sich auch das Publikum einreden läßt, daß die Nenaissance-
und Barockmuster durch die neuste Liniendekoration überwunden seien.

Diese bessern und auch ein Teil der geringern Mobiliars waren, wie
schon bemerkt, in besonders dekorierte Räume gestellt, wovon die Abbildungen
unsers Dresdner Künstlerhefts eine Anschauung geben. Wenn dies zu dem
Zwecke geschah, daß sich die Möbel auf solche Weise besser präsentierten, so
war das ja nichts neues, denn unsre Möbelmagazine machen es auch nicht
viel anders. Hier aber waren, wie ebenfalls schon bemerkt wurde, in sehr vielen
Füllen diese Möbel gerade für diese Räume bestimmt, und diese Zusammen¬
gehörigkeit trat mit dem Anspruch auf, etwas Neues zu sein, wofür man den
Ausdruck „Raumkunst" gewählt hatte. Ganz neu ist ja freilich auch das nicht,
denn es ist auch sonst schon vorgekommen, daß sich ein reicher Mann im eignen
Hause nach seinem und seines Architekten Geschmack die Räume einrichten und
möblieren läßt. Neu war aber die prinzipielle Betonung dieser Zusammen¬
gehörigkeit, die Verallgemeinerung dieser Forderung, oder, wie man auch sagen
kann, der Anspruch, daß dies etwas Neues sei, so wichtig und notwendig, daß
es eine Aufgabe der Zukunft sein werde und müsse. Nun wissen wir aber alle,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/610>, abgerufen am 23.07.2024.