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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dresdner Uünstlerhefte

neuern Kirchcnbciu zu interessieren glaubt, kann nichts besseres tun als dieses
Heft in die Hand nehmen und die darin niedergelegten Empfindungen feiner
und ernster Künstler auf sich wirken lassen. Wie verhält sich namentlich die
hier gegebne Innendekoration zu seinem eignen Gefühl für kirchliche Formen,
und hat dieses Gefühl da, wo es sich ablehnend verhält, recht, oder beruht es
nur auf der zufälligen, historischen Gewöhnung an das Alte? Dann wird ja
dieses ohne Frage überwunden werden durch das Neue, wenn man ihm nur
Zeit läßt. Oder aber haben die historischen Formen nicht außer dem Alters¬
privileg doch auch uoch eine tiefer liegende, innere Kraft, eine wenigstens mit
der kirchlichen Kunst unlösbar verbundne Lebensfähigkeit, die, wie sie Jahr¬
hunderte überdauert hat, auch dieser Neuerung standhalten wird? Denn bis
jetzt wenigstens ist die moderne Richtung auf diesem Gebiete noch wenig über
das Regieren hinausgekommen. Das Doppelheft 2 und 3 bringt auf 136 Tafeln
Werke der großen Dresdner Kunstgewerbeausstellung von 1906 mit Beschränkung
auf Dresdner Künstler: Fassaden einiger Ausstellungsgebüude, viele Jnnen-
rüume mit ihrer Ausstattung an Möbeln und Geräten, endlich einzelne Gegen¬
stände. Die Abbildungen sind ganz vortrefflich. Der Photograph, der die
Aufnahme dieser Interieurs gemacht hat, ist ein Meister seines Fachs. So
mustergiltig sind sie in der Wahl des Standpunkts, so klar bis in alle Winkel.
Das Ganze ist ein Erinnerungsdenkmal von dauerndem Wert, so recht geeignet,
Anhaltspunkte zu geben für die Erörterung der mannigfaltigen Fragen, die
die nunmehr geschlossene, ungemein reichhaltige Ausstellung angeregt hat.

Die beteiligten Kreise, Veranstalter und Aussteller, sind von ihren Er¬
folgen befriedigt. Die öffentliche Meinung der Unbeteiligten ist es nicht
durchweg. Auswärtige Besucher haben manche Einwendungen gemacht, das
einheimische Publikum konnte man, wo man ging und stand, reichlich kritisieren
hören. Manche hervorragende Dresdner Firmen haben die Ausstellung überhaupt
nicht beschickt, zum Teil, wie man sagt, deswegen, weil sie das hier zum
erstenmale durchgeführte Prinzip nicht billigten, das kurz gesagt den aus¬
führenden Gewerbsmann als Vasallen des erfindenden Künstlers erscheinen ließ.
Wie kommt der Maler dazu -- sagte zum Beispiel der Goldschmied --, wenn
er sich mit Bildermalen nicht mehr ernähren kann, mir seine Entwürfe von
Geräten und Schmucksachen als Erfindungen aufzudrängen; die kann ich doch
selbst machen, wenn ich überhaupt meine Kunst verstehe! In der Tat trat
denn auch das "Entworfen" oder "Erfunden" auf den Etiketten und im Katalog
überall recht aufdringlich hervor, oft geradezu komisch bei nichtigen Dingen,
sodaß man auf den Gedanken kommen konnte, ein Spaßvogel Hütte hier den
hohen Stil der Ausstcllungsterminologie parodieren wollen. Namentlich war
die Ausstellung mit solchen Erfindern weiblichen Geschlechts reich gesegnet.

Am meisten Interesse erweckte bei den Besuchern das auch der Menge
nach überwiegende Zimmermobiliar, worunter die bessern Einrichtungen meist
für bestimmte, mit dargestellte Rünme geschaffen waren, manchmal in der Art,


Dresdner Uünstlerhefte

neuern Kirchcnbciu zu interessieren glaubt, kann nichts besseres tun als dieses
Heft in die Hand nehmen und die darin niedergelegten Empfindungen feiner
und ernster Künstler auf sich wirken lassen. Wie verhält sich namentlich die
hier gegebne Innendekoration zu seinem eignen Gefühl für kirchliche Formen,
und hat dieses Gefühl da, wo es sich ablehnend verhält, recht, oder beruht es
nur auf der zufälligen, historischen Gewöhnung an das Alte? Dann wird ja
dieses ohne Frage überwunden werden durch das Neue, wenn man ihm nur
Zeit läßt. Oder aber haben die historischen Formen nicht außer dem Alters¬
privileg doch auch uoch eine tiefer liegende, innere Kraft, eine wenigstens mit
der kirchlichen Kunst unlösbar verbundne Lebensfähigkeit, die, wie sie Jahr¬
hunderte überdauert hat, auch dieser Neuerung standhalten wird? Denn bis
jetzt wenigstens ist die moderne Richtung auf diesem Gebiete noch wenig über
das Regieren hinausgekommen. Das Doppelheft 2 und 3 bringt auf 136 Tafeln
Werke der großen Dresdner Kunstgewerbeausstellung von 1906 mit Beschränkung
auf Dresdner Künstler: Fassaden einiger Ausstellungsgebüude, viele Jnnen-
rüume mit ihrer Ausstattung an Möbeln und Geräten, endlich einzelne Gegen¬
stände. Die Abbildungen sind ganz vortrefflich. Der Photograph, der die
Aufnahme dieser Interieurs gemacht hat, ist ein Meister seines Fachs. So
mustergiltig sind sie in der Wahl des Standpunkts, so klar bis in alle Winkel.
Das Ganze ist ein Erinnerungsdenkmal von dauerndem Wert, so recht geeignet,
Anhaltspunkte zu geben für die Erörterung der mannigfaltigen Fragen, die
die nunmehr geschlossene, ungemein reichhaltige Ausstellung angeregt hat.

Die beteiligten Kreise, Veranstalter und Aussteller, sind von ihren Er¬
folgen befriedigt. Die öffentliche Meinung der Unbeteiligten ist es nicht
durchweg. Auswärtige Besucher haben manche Einwendungen gemacht, das
einheimische Publikum konnte man, wo man ging und stand, reichlich kritisieren
hören. Manche hervorragende Dresdner Firmen haben die Ausstellung überhaupt
nicht beschickt, zum Teil, wie man sagt, deswegen, weil sie das hier zum
erstenmale durchgeführte Prinzip nicht billigten, das kurz gesagt den aus¬
führenden Gewerbsmann als Vasallen des erfindenden Künstlers erscheinen ließ.
Wie kommt der Maler dazu — sagte zum Beispiel der Goldschmied —, wenn
er sich mit Bildermalen nicht mehr ernähren kann, mir seine Entwürfe von
Geräten und Schmucksachen als Erfindungen aufzudrängen; die kann ich doch
selbst machen, wenn ich überhaupt meine Kunst verstehe! In der Tat trat
denn auch das „Entworfen" oder „Erfunden" auf den Etiketten und im Katalog
überall recht aufdringlich hervor, oft geradezu komisch bei nichtigen Dingen,
sodaß man auf den Gedanken kommen konnte, ein Spaßvogel Hütte hier den
hohen Stil der Ausstcllungsterminologie parodieren wollen. Namentlich war
die Ausstellung mit solchen Erfindern weiblichen Geschlechts reich gesegnet.

Am meisten Interesse erweckte bei den Besuchern das auch der Menge
nach überwiegende Zimmermobiliar, worunter die bessern Einrichtungen meist
für bestimmte, mit dargestellte Rünme geschaffen waren, manchmal in der Art,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/608>, abgerufen am 23.07.2024.