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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Entwicklung der optischen Telegraphie

Paris und Lille auf eine Entfernung von sechzig Wegstunden unter Benutzung
von zwanzig Zwischenstationen anzulegen. Diese Linie wurde 1794 fertig¬
gestellt; sie erlaubte, ein Zeichen von Paris nach Lille binnen 2 Minuten zu
übertragen, was für die damalige Zeit natürlich eine unerhört großartige
Leistung war. Die erste Nachricht, die auf der neuen Linie übermittelt wurde,
war die Meldung von der Wiedereroberung von Conde, die am 15. Fructidor
des Jahres II (1. September 1794) dem Nationalkonvent zuging. Weitere
Linien wurden unter der Leitung des Claude Chappe, der zum Direktor der
Pariser Telegraphen ernannt worden war, in rascher Folge errichtet, und bald
war es möglich, von Paris nach Calais (68 Stunden) in 4 Minuten, nach
Straßburg (120 Stunden) in 5 Minuten 52 Sekunden, nach Brest (150 Stunden)
in 6 Minuten 50 Sekunden, nach Toulon in 13 Minuten 50 Sekunden und
nach Bayonne in 14 Minuten zu telegraphieren, wenn die Linie ungestört
war. Später führte man für die Nachtzeit mannigfache Vorkehrungen besondrer
Art ein, um durch Lichtsignale auch während der Dunkelheit den Verkehr,
wenigstens bei sichtigem Wetter, zu ermöglichen.

Napoleon der Erste, der die hohe Bedeutung des Telegraphenwesens vollauf
würdigte, wandte seiner weitern Ausgestaltung große Aufmerksamkeit zu und
bediente sich selbst sehr häusig des Telegraphen. Seine überraschenden Erfolge
vor Regensburg im April 1809 waren hauptsächlich dem Umstände zuzuschreiben,
daß ihm der unvermutete Jnnübergcmg der Österreicher bei Braunau durch
den Telegraphen binnen 24 Stunden nach Paris gemeldet werden konnte,
worauf er sofort nach dem Kriegsschauplatz abreiste, um hier mit einem ganz
frischgeschaffnen Heere in fünftägigen siegreichen Kämpfen die an Zahl über¬
legnen Österreicher vor Regensburg zurückzuwerfen. Bekannt ist, daß auch der
Befehl zur Hinrichtung Andreas Hofers durch den optischen Telegraphen nach
Mantua übermittelt wurde.

Auch in Deutschland machte das Telegraphenwesen nach den ersten
^happeschen Erfolgen große Fortschritte, wenigstens in den süddeutschen Staaten.
Die Anfänge des optischen Telegraphen fallen in Deutschland, ebenso wie in
Frankreich, in das Jahr 1794. Das erste Telegramm auf deutschem Boden
wurde am 22. November 1794 durch den Mechaniker Böckmann aus einer Ent¬
fernung von anderthalb Stunden nach Karlsruhe signalisiert und enthielt einen
gereimten Glückwunsch zum Geburtstag des Markgrafen Karl Friedrich von
Baden. Der Wortlaut dieses historisch interessanten Telegramms war der
folgende:

Die erste für den dauernden Betrieb bestimmte Telegraphenlinie in
Deutschland wurde erst 1798 von Frankfurt a. M. gebaut, während England


Die Entwicklung der optischen Telegraphie

Paris und Lille auf eine Entfernung von sechzig Wegstunden unter Benutzung
von zwanzig Zwischenstationen anzulegen. Diese Linie wurde 1794 fertig¬
gestellt; sie erlaubte, ein Zeichen von Paris nach Lille binnen 2 Minuten zu
übertragen, was für die damalige Zeit natürlich eine unerhört großartige
Leistung war. Die erste Nachricht, die auf der neuen Linie übermittelt wurde,
war die Meldung von der Wiedereroberung von Conde, die am 15. Fructidor
des Jahres II (1. September 1794) dem Nationalkonvent zuging. Weitere
Linien wurden unter der Leitung des Claude Chappe, der zum Direktor der
Pariser Telegraphen ernannt worden war, in rascher Folge errichtet, und bald
war es möglich, von Paris nach Calais (68 Stunden) in 4 Minuten, nach
Straßburg (120 Stunden) in 5 Minuten 52 Sekunden, nach Brest (150 Stunden)
in 6 Minuten 50 Sekunden, nach Toulon in 13 Minuten 50 Sekunden und
nach Bayonne in 14 Minuten zu telegraphieren, wenn die Linie ungestört
war. Später führte man für die Nachtzeit mannigfache Vorkehrungen besondrer
Art ein, um durch Lichtsignale auch während der Dunkelheit den Verkehr,
wenigstens bei sichtigem Wetter, zu ermöglichen.

Napoleon der Erste, der die hohe Bedeutung des Telegraphenwesens vollauf
würdigte, wandte seiner weitern Ausgestaltung große Aufmerksamkeit zu und
bediente sich selbst sehr häusig des Telegraphen. Seine überraschenden Erfolge
vor Regensburg im April 1809 waren hauptsächlich dem Umstände zuzuschreiben,
daß ihm der unvermutete Jnnübergcmg der Österreicher bei Braunau durch
den Telegraphen binnen 24 Stunden nach Paris gemeldet werden konnte,
worauf er sofort nach dem Kriegsschauplatz abreiste, um hier mit einem ganz
frischgeschaffnen Heere in fünftägigen siegreichen Kämpfen die an Zahl über¬
legnen Österreicher vor Regensburg zurückzuwerfen. Bekannt ist, daß auch der
Befehl zur Hinrichtung Andreas Hofers durch den optischen Telegraphen nach
Mantua übermittelt wurde.

Auch in Deutschland machte das Telegraphenwesen nach den ersten
^happeschen Erfolgen große Fortschritte, wenigstens in den süddeutschen Staaten.
Die Anfänge des optischen Telegraphen fallen in Deutschland, ebenso wie in
Frankreich, in das Jahr 1794. Das erste Telegramm auf deutschem Boden
wurde am 22. November 1794 durch den Mechaniker Böckmann aus einer Ent¬
fernung von anderthalb Stunden nach Karlsruhe signalisiert und enthielt einen
gereimten Glückwunsch zum Geburtstag des Markgrafen Karl Friedrich von
Baden. Der Wortlaut dieses historisch interessanten Telegramms war der
folgende:

Die erste für den dauernden Betrieb bestimmte Telegraphenlinie in
Deutschland wurde erst 1798 von Frankfurt a. M. gebaut, während England


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[0587] Die Entwicklung der optischen Telegraphie Paris und Lille auf eine Entfernung von sechzig Wegstunden unter Benutzung von zwanzig Zwischenstationen anzulegen. Diese Linie wurde 1794 fertig¬ gestellt; sie erlaubte, ein Zeichen von Paris nach Lille binnen 2 Minuten zu übertragen, was für die damalige Zeit natürlich eine unerhört großartige Leistung war. Die erste Nachricht, die auf der neuen Linie übermittelt wurde, war die Meldung von der Wiedereroberung von Conde, die am 15. Fructidor des Jahres II (1. September 1794) dem Nationalkonvent zuging. Weitere Linien wurden unter der Leitung des Claude Chappe, der zum Direktor der Pariser Telegraphen ernannt worden war, in rascher Folge errichtet, und bald war es möglich, von Paris nach Calais (68 Stunden) in 4 Minuten, nach Straßburg (120 Stunden) in 5 Minuten 52 Sekunden, nach Brest (150 Stunden) in 6 Minuten 50 Sekunden, nach Toulon in 13 Minuten 50 Sekunden und nach Bayonne in 14 Minuten zu telegraphieren, wenn die Linie ungestört war. Später führte man für die Nachtzeit mannigfache Vorkehrungen besondrer Art ein, um durch Lichtsignale auch während der Dunkelheit den Verkehr, wenigstens bei sichtigem Wetter, zu ermöglichen. Napoleon der Erste, der die hohe Bedeutung des Telegraphenwesens vollauf würdigte, wandte seiner weitern Ausgestaltung große Aufmerksamkeit zu und bediente sich selbst sehr häusig des Telegraphen. Seine überraschenden Erfolge vor Regensburg im April 1809 waren hauptsächlich dem Umstände zuzuschreiben, daß ihm der unvermutete Jnnübergcmg der Österreicher bei Braunau durch den Telegraphen binnen 24 Stunden nach Paris gemeldet werden konnte, worauf er sofort nach dem Kriegsschauplatz abreiste, um hier mit einem ganz frischgeschaffnen Heere in fünftägigen siegreichen Kämpfen die an Zahl über¬ legnen Österreicher vor Regensburg zurückzuwerfen. Bekannt ist, daß auch der Befehl zur Hinrichtung Andreas Hofers durch den optischen Telegraphen nach Mantua übermittelt wurde. Auch in Deutschland machte das Telegraphenwesen nach den ersten ^happeschen Erfolgen große Fortschritte, wenigstens in den süddeutschen Staaten. Die Anfänge des optischen Telegraphen fallen in Deutschland, ebenso wie in Frankreich, in das Jahr 1794. Das erste Telegramm auf deutschem Boden wurde am 22. November 1794 durch den Mechaniker Böckmann aus einer Ent¬ fernung von anderthalb Stunden nach Karlsruhe signalisiert und enthielt einen gereimten Glückwunsch zum Geburtstag des Markgrafen Karl Friedrich von Baden. Der Wortlaut dieses historisch interessanten Telegramms war der folgende: Die erste für den dauernden Betrieb bestimmte Telegraphenlinie in Deutschland wurde erst 1798 von Frankfurt a. M. gebaut, während England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/587>, abgerufen am 23.07.2024.