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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aschabad und Umgegend

bildet einen scharfen Einschnitt im Gebirge und trennt völlig verschiedne For¬
mationen. Links erhebt sich nämlich immer höher ansteigend fast senkrecht eine
Felswand mit ebenso zerrissenen zackigen, von Kaminen geschlitzten Formen,
wie sie die Dolomiten zeigen, gelbbraun, jeder Vegetation entbehrend. Vor
und rechts von uns steigen dagegen Berge auf, deren viel sanfter geschwungne
Linien die Bildung aus Muschelkalk anzeigen und Weideflächen und weiter oben
auch Holzbestünde -- einer Wacholderart Artscha -- aufweisen. Im Tale selber
sind einige Anwesen verstreut, und Kamelställe bieten Karawanen Schutz gegen
die Witterung. Auch einige weidende Tiere verkünden etwas Leben. Das
hört aber hinter der nach dreiundeinhalbstündiger Fahrt erreichten Poststation
Kurtsch-Sön bald wieder auf. Die Poststation selber ist ein unbedeutendes kleines
Haus mit den notwendigsten Stallungen in Erdhütten. Auch diese Form von
Unterkunft ist typisch für Transkaukasien. Sie ist im Winter warm, im Sommer
verhältnismäßig kühl, schützt vor Stürmen und beherbergt oft Mensch und Tier
gemeinsam. Der Postmeister, ein höflicher Mann in russischer Manier rund ge¬
schoren, hält zwei Tschetwjörken, Viergespanne, für uns bereit und nimmt mit
Freude eine kleine Bestellung auf Tee für unsre Rückkehr entgegen. Schnell
sind die Pferde umgelegt, und weiter gehts das Flußtal aufwärts, mehrfach
durch Bäche und das ausgepflasterte Flußbett, schließlich in einen schmalen
Spalt in die Kalksteinwände hinein und ganz unerwartet scharf rechtsum in neuen
Zickzacks mit sanfter Steigung zu bedeutender Höhe hinauf. Keine Schutz¬
mauer, kein Prellpfahl begrenzt die Straße, die an den Knickpunkten nur etwas
breiter und nach der Bergseite geneigt angelegt ist. Wieder wollen wir die
Pferde entlasten, geben aber den Versuch auf, als an der Bergwand auf halber
Höhe ein rasender Föhn losbricht und uns hinabzufegen droht. Großartiger
wird jetzt die Aussicht auf die Dolomitenwand, aber leider sind die Bergkegel
Mi Westen von dichten Wolken umhüllt und versprechen nichts gutes. Auf der
Höhe winden wir uns in einigen Schleifen wieder nur eine kurze Strecke vor¬
wärts und treten mit erneuter scharfer Wendung in ein ganz eigentümliches
ein bis zwei Kilometer breites Hochtal, eingefaßt von den verschiedensten Berg¬
formen. Landwirtschaftliche Kulturen neben den Viehweiden erwecken einige
Hoffnung, und das am Ende auftauchende Dorf Gaudan veranlaßt den Kutscher,
die Pferde zu langem Galopp anzutreiben, um gegenüber der immer unan¬
genehmer werdenden Witterung baldigst ein Unterkommen zu finden. Aber erst
die Arbeit, und dann das Vergnügen! Wir bestellen im Vorbeifahren im PostHofe
den Ssamowar, Brot und Eier und streben der persischen Grenze zu. Wieder
gehts aufwärts, diesesmal in abscheulichem Schmutz und Schmelzwasser, das
die Straße herabströmt und durch seine lehmgefärbten Spritzer unsre Mäntel
um den letzten Rest ihrer Schönheit bringt. Am Posten vorüber traben wir
der Grenze zu und sehen auf der Paßhöhe eine steckengebliebne Wagenkolonne
vor uns. Es ist völlig unmöglich, an den unbehilflichen breiten bunten Last¬
wagen vorbeizukommen. Unser Ziel ist ja auch erreicht. Eine Reihe Stein-


Aschabad und Umgegend

bildet einen scharfen Einschnitt im Gebirge und trennt völlig verschiedne For¬
mationen. Links erhebt sich nämlich immer höher ansteigend fast senkrecht eine
Felswand mit ebenso zerrissenen zackigen, von Kaminen geschlitzten Formen,
wie sie die Dolomiten zeigen, gelbbraun, jeder Vegetation entbehrend. Vor
und rechts von uns steigen dagegen Berge auf, deren viel sanfter geschwungne
Linien die Bildung aus Muschelkalk anzeigen und Weideflächen und weiter oben
auch Holzbestünde — einer Wacholderart Artscha — aufweisen. Im Tale selber
sind einige Anwesen verstreut, und Kamelställe bieten Karawanen Schutz gegen
die Witterung. Auch einige weidende Tiere verkünden etwas Leben. Das
hört aber hinter der nach dreiundeinhalbstündiger Fahrt erreichten Poststation
Kurtsch-Sön bald wieder auf. Die Poststation selber ist ein unbedeutendes kleines
Haus mit den notwendigsten Stallungen in Erdhütten. Auch diese Form von
Unterkunft ist typisch für Transkaukasien. Sie ist im Winter warm, im Sommer
verhältnismäßig kühl, schützt vor Stürmen und beherbergt oft Mensch und Tier
gemeinsam. Der Postmeister, ein höflicher Mann in russischer Manier rund ge¬
schoren, hält zwei Tschetwjörken, Viergespanne, für uns bereit und nimmt mit
Freude eine kleine Bestellung auf Tee für unsre Rückkehr entgegen. Schnell
sind die Pferde umgelegt, und weiter gehts das Flußtal aufwärts, mehrfach
durch Bäche und das ausgepflasterte Flußbett, schließlich in einen schmalen
Spalt in die Kalksteinwände hinein und ganz unerwartet scharf rechtsum in neuen
Zickzacks mit sanfter Steigung zu bedeutender Höhe hinauf. Keine Schutz¬
mauer, kein Prellpfahl begrenzt die Straße, die an den Knickpunkten nur etwas
breiter und nach der Bergseite geneigt angelegt ist. Wieder wollen wir die
Pferde entlasten, geben aber den Versuch auf, als an der Bergwand auf halber
Höhe ein rasender Föhn losbricht und uns hinabzufegen droht. Großartiger
wird jetzt die Aussicht auf die Dolomitenwand, aber leider sind die Bergkegel
Mi Westen von dichten Wolken umhüllt und versprechen nichts gutes. Auf der
Höhe winden wir uns in einigen Schleifen wieder nur eine kurze Strecke vor¬
wärts und treten mit erneuter scharfer Wendung in ein ganz eigentümliches
ein bis zwei Kilometer breites Hochtal, eingefaßt von den verschiedensten Berg¬
formen. Landwirtschaftliche Kulturen neben den Viehweiden erwecken einige
Hoffnung, und das am Ende auftauchende Dorf Gaudan veranlaßt den Kutscher,
die Pferde zu langem Galopp anzutreiben, um gegenüber der immer unan¬
genehmer werdenden Witterung baldigst ein Unterkommen zu finden. Aber erst
die Arbeit, und dann das Vergnügen! Wir bestellen im Vorbeifahren im PostHofe
den Ssamowar, Brot und Eier und streben der persischen Grenze zu. Wieder
gehts aufwärts, diesesmal in abscheulichem Schmutz und Schmelzwasser, das
die Straße herabströmt und durch seine lehmgefärbten Spritzer unsre Mäntel
um den letzten Rest ihrer Schönheit bringt. Am Posten vorüber traben wir
der Grenze zu und sehen auf der Paßhöhe eine steckengebliebne Wagenkolonne
vor uns. Es ist völlig unmöglich, an den unbehilflichen breiten bunten Last¬
wagen vorbeizukommen. Unser Ziel ist ja auch erreicht. Eine Reihe Stein-


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[0555] Aschabad und Umgegend bildet einen scharfen Einschnitt im Gebirge und trennt völlig verschiedne For¬ mationen. Links erhebt sich nämlich immer höher ansteigend fast senkrecht eine Felswand mit ebenso zerrissenen zackigen, von Kaminen geschlitzten Formen, wie sie die Dolomiten zeigen, gelbbraun, jeder Vegetation entbehrend. Vor und rechts von uns steigen dagegen Berge auf, deren viel sanfter geschwungne Linien die Bildung aus Muschelkalk anzeigen und Weideflächen und weiter oben auch Holzbestünde — einer Wacholderart Artscha — aufweisen. Im Tale selber sind einige Anwesen verstreut, und Kamelställe bieten Karawanen Schutz gegen die Witterung. Auch einige weidende Tiere verkünden etwas Leben. Das hört aber hinter der nach dreiundeinhalbstündiger Fahrt erreichten Poststation Kurtsch-Sön bald wieder auf. Die Poststation selber ist ein unbedeutendes kleines Haus mit den notwendigsten Stallungen in Erdhütten. Auch diese Form von Unterkunft ist typisch für Transkaukasien. Sie ist im Winter warm, im Sommer verhältnismäßig kühl, schützt vor Stürmen und beherbergt oft Mensch und Tier gemeinsam. Der Postmeister, ein höflicher Mann in russischer Manier rund ge¬ schoren, hält zwei Tschetwjörken, Viergespanne, für uns bereit und nimmt mit Freude eine kleine Bestellung auf Tee für unsre Rückkehr entgegen. Schnell sind die Pferde umgelegt, und weiter gehts das Flußtal aufwärts, mehrfach durch Bäche und das ausgepflasterte Flußbett, schließlich in einen schmalen Spalt in die Kalksteinwände hinein und ganz unerwartet scharf rechtsum in neuen Zickzacks mit sanfter Steigung zu bedeutender Höhe hinauf. Keine Schutz¬ mauer, kein Prellpfahl begrenzt die Straße, die an den Knickpunkten nur etwas breiter und nach der Bergseite geneigt angelegt ist. Wieder wollen wir die Pferde entlasten, geben aber den Versuch auf, als an der Bergwand auf halber Höhe ein rasender Föhn losbricht und uns hinabzufegen droht. Großartiger wird jetzt die Aussicht auf die Dolomitenwand, aber leider sind die Bergkegel Mi Westen von dichten Wolken umhüllt und versprechen nichts gutes. Auf der Höhe winden wir uns in einigen Schleifen wieder nur eine kurze Strecke vor¬ wärts und treten mit erneuter scharfer Wendung in ein ganz eigentümliches ein bis zwei Kilometer breites Hochtal, eingefaßt von den verschiedensten Berg¬ formen. Landwirtschaftliche Kulturen neben den Viehweiden erwecken einige Hoffnung, und das am Ende auftauchende Dorf Gaudan veranlaßt den Kutscher, die Pferde zu langem Galopp anzutreiben, um gegenüber der immer unan¬ genehmer werdenden Witterung baldigst ein Unterkommen zu finden. Aber erst die Arbeit, und dann das Vergnügen! Wir bestellen im Vorbeifahren im PostHofe den Ssamowar, Brot und Eier und streben der persischen Grenze zu. Wieder gehts aufwärts, diesesmal in abscheulichem Schmutz und Schmelzwasser, das die Straße herabströmt und durch seine lehmgefärbten Spritzer unsre Mäntel um den letzten Rest ihrer Schönheit bringt. Am Posten vorüber traben wir der Grenze zu und sehen auf der Paßhöhe eine steckengebliebne Wagenkolonne vor uns. Es ist völlig unmöglich, an den unbehilflichen breiten bunten Last¬ wagen vorbeizukommen. Unser Ziel ist ja auch erreicht. Eine Reihe Stein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/555>, abgerufen am 23.07.2024.