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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Liebesbriefe

fühlen er auch ihrer gedenkt, oft ernste Vorhaltungen wegen ihres unüber¬
legten Benehmens zu machen, und nicht nur während des Brautstandes.
Noch einer der ehelichen Briefe enthält die mahnende Bitte, nicht allein auf
ihre und seine Ehre Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein.
Drollig erzählt der Künstler, was er mit dem auf Reisen mitgeführten Porträt
der Gattin beginnt. Wenn er es aus seinem "Arrest" herausnimmt, sagt er:
"grüß Dich Gott. Stanzer!! -- grüß Dich Gott, Spitzbub. -- Krallerballer --
Spitzignas -- Bagatellerl -- schluck und druck!" -- und wenn er es wieder
hineinlegen will, läßt er es nach und nach "herunterrutschen " und ruft dazu:
"Nu -- Nu -- Nu -- Nu!" und bei dem letzten schnell: "Gute Nacht,
Mauserl, schlaf gesund!" Übermütig schließt er einmal: "0 fern! stri! ich
küsse und drück Dich 1095060437032 mal (hier kannst Du Dich im Aussprechen
üben)." In seltsamen Anreden an die Geliebte kann ein andrer großer Ton¬
künstler mit ihm wetteifern: Weber ("O Dn garstiger Mops", "mein vielge¬
liebter Schneefuß"). Eine ganze Menagerie haben wir in den verschiednen
Titulaturen des Buches beisammen: Turteltaube (Seite 1 und 12), Hirschlein,
Schüflein Mörike), Pferd (Droste -- Schücking), Pinscher (Hebbel) usw. -- Weit
unter Konstanze Mozart, die bei aller Leichtlebigkeit ihrem Manne eine treue
Lebensgefährtin gewesen ist, steht die folgende Briefschreiberin, das "Schwaben-
mädcl" Elise Hahn, die als Bürgers Gattin den Nest seines leidcnreichen
Daseins vergiftet hat.

Einen reinen, ungetrübten Genuß gewähren wieder die Briefe aus
Schillers Brautstand. Als der Dichter nach mehr als anderthalbjähriger Be¬
kanntschaft um Lotte warb, durfte er unter der Begründung "Vortrefflichkeit
der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft
und der Liebe" mit Recht prophezeien: "Unsre Freundschaft und Liebe wird
unzerreißbar und ewig seyn, wie die Gefühle, worauf wir sie gründen."
Sein aus Leipzig datiertes, höchste Glückseligkeit atmendes Schreiben vom
Abend des 3. August 1789 kann dem "Lied an die Freude" zur Seite ge¬
stellt werden.

Schriftliche Liebesunterhaltungen Goethes mit einzelnen von den vielen
Frauen und Mädchen, die durch ihn unsterblich geworden sind, schließen sich
in stattlicher Reihe an. Auf die etwas elegischen Briefe an Kätchen Schön¬
kopf, die der Kranke in Erinnerung an die Leipziger Zeit in Frankfurt
schmiedete, folgen zwei anmutige an Friederike Brion, drei voll schmerzlicher
Resignation an Charlotte Buff, darunter die beiden Abschiedsbilletts vom 10.
und vom 11. September 1772, zwei stürmisch bewegte an die ihm persönlich
unbekannte Grüsiu Auguste zu Stolberg, zu einer Zeit geschrieben, wo seine
Leidenschaft für Lili Schönemann ihren Höhepunkt erreicht hatte, und ein
Schreiben, das uns seine tiefe Neigung für Corona Schröter enthüllt. Gleicht
schon die Mehrzahl dieser Briefe lyrischen Gedichten in Prosa, so läßt sich
das mit noch mehr Recht von denen behaupten, deren glückliche Empfängerin


Deutsche Liebesbriefe

fühlen er auch ihrer gedenkt, oft ernste Vorhaltungen wegen ihres unüber¬
legten Benehmens zu machen, und nicht nur während des Brautstandes.
Noch einer der ehelichen Briefe enthält die mahnende Bitte, nicht allein auf
ihre und seine Ehre Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein.
Drollig erzählt der Künstler, was er mit dem auf Reisen mitgeführten Porträt
der Gattin beginnt. Wenn er es aus seinem „Arrest" herausnimmt, sagt er:
„grüß Dich Gott. Stanzer!! — grüß Dich Gott, Spitzbub. — Krallerballer —
Spitzignas — Bagatellerl — schluck und druck!" — und wenn er es wieder
hineinlegen will, läßt er es nach und nach „herunterrutschen " und ruft dazu:
„Nu — Nu — Nu — Nu!" und bei dem letzten schnell: „Gute Nacht,
Mauserl, schlaf gesund!" Übermütig schließt er einmal: „0 fern! stri! ich
küsse und drück Dich 1095060437032 mal (hier kannst Du Dich im Aussprechen
üben)." In seltsamen Anreden an die Geliebte kann ein andrer großer Ton¬
künstler mit ihm wetteifern: Weber („O Dn garstiger Mops", „mein vielge¬
liebter Schneefuß"). Eine ganze Menagerie haben wir in den verschiednen
Titulaturen des Buches beisammen: Turteltaube (Seite 1 und 12), Hirschlein,
Schüflein Mörike), Pferd (Droste — Schücking), Pinscher (Hebbel) usw. — Weit
unter Konstanze Mozart, die bei aller Leichtlebigkeit ihrem Manne eine treue
Lebensgefährtin gewesen ist, steht die folgende Briefschreiberin, das „Schwaben-
mädcl" Elise Hahn, die als Bürgers Gattin den Nest seines leidcnreichen
Daseins vergiftet hat.

Einen reinen, ungetrübten Genuß gewähren wieder die Briefe aus
Schillers Brautstand. Als der Dichter nach mehr als anderthalbjähriger Be¬
kanntschaft um Lotte warb, durfte er unter der Begründung „Vortrefflichkeit
der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft
und der Liebe" mit Recht prophezeien: „Unsre Freundschaft und Liebe wird
unzerreißbar und ewig seyn, wie die Gefühle, worauf wir sie gründen."
Sein aus Leipzig datiertes, höchste Glückseligkeit atmendes Schreiben vom
Abend des 3. August 1789 kann dem „Lied an die Freude" zur Seite ge¬
stellt werden.

Schriftliche Liebesunterhaltungen Goethes mit einzelnen von den vielen
Frauen und Mädchen, die durch ihn unsterblich geworden sind, schließen sich
in stattlicher Reihe an. Auf die etwas elegischen Briefe an Kätchen Schön¬
kopf, die der Kranke in Erinnerung an die Leipziger Zeit in Frankfurt
schmiedete, folgen zwei anmutige an Friederike Brion, drei voll schmerzlicher
Resignation an Charlotte Buff, darunter die beiden Abschiedsbilletts vom 10.
und vom 11. September 1772, zwei stürmisch bewegte an die ihm persönlich
unbekannte Grüsiu Auguste zu Stolberg, zu einer Zeit geschrieben, wo seine
Leidenschaft für Lili Schönemann ihren Höhepunkt erreicht hatte, und ein
Schreiben, das uns seine tiefe Neigung für Corona Schröter enthüllt. Gleicht
schon die Mehrzahl dieser Briefe lyrischen Gedichten in Prosa, so läßt sich
das mit noch mehr Recht von denen behaupten, deren glückliche Empfängerin


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[0538] Deutsche Liebesbriefe fühlen er auch ihrer gedenkt, oft ernste Vorhaltungen wegen ihres unüber¬ legten Benehmens zu machen, und nicht nur während des Brautstandes. Noch einer der ehelichen Briefe enthält die mahnende Bitte, nicht allein auf ihre und seine Ehre Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein. Drollig erzählt der Künstler, was er mit dem auf Reisen mitgeführten Porträt der Gattin beginnt. Wenn er es aus seinem „Arrest" herausnimmt, sagt er: „grüß Dich Gott. Stanzer!! — grüß Dich Gott, Spitzbub. — Krallerballer — Spitzignas — Bagatellerl — schluck und druck!" — und wenn er es wieder hineinlegen will, läßt er es nach und nach „herunterrutschen " und ruft dazu: „Nu — Nu — Nu — Nu!" und bei dem letzten schnell: „Gute Nacht, Mauserl, schlaf gesund!" Übermütig schließt er einmal: „0 fern! stri! ich küsse und drück Dich 1095060437032 mal (hier kannst Du Dich im Aussprechen üben)." In seltsamen Anreden an die Geliebte kann ein andrer großer Ton¬ künstler mit ihm wetteifern: Weber („O Dn garstiger Mops", „mein vielge¬ liebter Schneefuß"). Eine ganze Menagerie haben wir in den verschiednen Titulaturen des Buches beisammen: Turteltaube (Seite 1 und 12), Hirschlein, Schüflein Mörike), Pferd (Droste — Schücking), Pinscher (Hebbel) usw. — Weit unter Konstanze Mozart, die bei aller Leichtlebigkeit ihrem Manne eine treue Lebensgefährtin gewesen ist, steht die folgende Briefschreiberin, das „Schwaben- mädcl" Elise Hahn, die als Bürgers Gattin den Nest seines leidcnreichen Daseins vergiftet hat. Einen reinen, ungetrübten Genuß gewähren wieder die Briefe aus Schillers Brautstand. Als der Dichter nach mehr als anderthalbjähriger Be¬ kanntschaft um Lotte warb, durfte er unter der Begründung „Vortrefflichkeit der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft und der Liebe" mit Recht prophezeien: „Unsre Freundschaft und Liebe wird unzerreißbar und ewig seyn, wie die Gefühle, worauf wir sie gründen." Sein aus Leipzig datiertes, höchste Glückseligkeit atmendes Schreiben vom Abend des 3. August 1789 kann dem „Lied an die Freude" zur Seite ge¬ stellt werden. Schriftliche Liebesunterhaltungen Goethes mit einzelnen von den vielen Frauen und Mädchen, die durch ihn unsterblich geworden sind, schließen sich in stattlicher Reihe an. Auf die etwas elegischen Briefe an Kätchen Schön¬ kopf, die der Kranke in Erinnerung an die Leipziger Zeit in Frankfurt schmiedete, folgen zwei anmutige an Friederike Brion, drei voll schmerzlicher Resignation an Charlotte Buff, darunter die beiden Abschiedsbilletts vom 10. und vom 11. September 1772, zwei stürmisch bewegte an die ihm persönlich unbekannte Grüsiu Auguste zu Stolberg, zu einer Zeit geschrieben, wo seine Leidenschaft für Lili Schönemann ihren Höhepunkt erreicht hatte, und ein Schreiben, das uns seine tiefe Neigung für Corona Schröter enthüllt. Gleicht schon die Mehrzahl dieser Briefe lyrischen Gedichten in Prosa, so läßt sich das mit noch mehr Recht von denen behaupten, deren glückliche Empfängerin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/538>, abgerufen am 23.07.2024.