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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Moritz Lazarus Lel'enserinnenmgen

Lazarus der Ratgeber und Kritiker bei fast allen seinen dichterischen Arbeiten,
dem er seine Schöpfungen "sowohl in bezug auf die Komposition als auf den
Stil" im Manuskript zur Durchsicht schickte.

Weit umfangreicher und aktueller ist der Essay über Paul Heyse, da er
einen der beliebtesten noch lebenden Dichter betrifft. Lazarus, obwohl sechs
Jahre älter, war mit ihm durch eine bis in die Studentenzeit zurückreichende
tiefe und innige Freundschaft verbunden. Lazarus war der verwitweten Mutter
Heyses ein treuer Berater, dem schwachsinnigen Bruder Vormund, vor alle":
aber für Paul Heyse selbst wohl der einflußreichste Kritiker und Förderer bei
seiner ganzen reichen dichterischen Produktion. Oft liest Lazarus die Korrektur¬
bogen der Novellen und Romane des Freundes, oft treffen sie zu mündlicher
Aussprache über solche Stoffe zusammen: "Einigemal war es das reizende
Grimma, das die beiden Freunde an schönen Sommertagen zusammen sah. Hier,
in den freundlichen Anlagen an der Mulde -- wie zwei heimlich Liebende sich
treffend und begrüßend -- wurden Heysesche Manuskripte, die Lazarus schon in
Leipzig durchgelesen und durchgedacht hatte, gemeinsam nun auch durchgesprochen
iso zum Beispiel "Die Kinder der Welt")." Die Briefe Heyses, aus denen die
Herausgeber den reichen Stoff geschöpft haben, zeigen den Dichter von einer
neuen Seite, als einen Meister des Briefstils. Wie der große Meister des
antiken Briefs, Cicero, in seinen Frcundesbriefen, weiß er in einer wohltönenden,
fast musikalischen Sprache die tiefsten Saiten seines Herzens erklingen zu lassen,
in cmmntigstem Geplauder von Menschen und Dingen in buntem Wechsel zu
sprechen, die dunkelsten Probleme zu beleuchten, die schwersten Schicksale durch
Mitteilung zu erleichtern. Wir schauen durch diese Briefe, die doch wahrlich in
ihrer ungeschminkten Offenheit nicht für die Öffentlichkeit geschrieben waren, tief
hinein in Heyses innerstes Seelenleben, und wir freuen uns um so mehr, auf
dem Grunde dieser Seele soviel Anmut und reine Menschlichkeit zu sehen. Und
wie wertvoll ist es für uns, die ganze den Dichter umgebende Welt, vom Bau¬
führer, der ihm sein Wohnhaus in München baut, bis zum genialen Maler
Franz Lenbach in diesem reinen Spiegel Heller und klarer zu schauen! Ich kann
es mir nicht versagen, einige Proben von Heysescher Briefkunst hier einzufügen.
Zur Begleitung einiger neuen Geisteskinder, die Lazarus zur Begutachtung
vorgelegt werden, schreibt er: "Die sauften Worte aus Deiner Kehle, Geliebtester,
ermutigen mich zu dem heimtückischen Beginnen, Dich Wehrlosen abermals zu
überfallen. Beifolgende Geschichte hat so lange im Mutterschoß meiner Phantasie
gelegen, daß ich fürchtete, sie möchte am Ende als ein übertragnes Kind ans
Licht treten, und sie darum mit Zangen herausholte, obwohl mir nicht ganz
geheuer dabei war. Denn trotz der langen Zeit scheint mir dies und das noch
nicht ausgedacht, und da ich die Blätter endlich wieder durchlas, hatte ich eine
so unsichere Empfindung, daß ich gern hörte, ob es ein mißartetes, totgebornes
Geschöpf sei, was ich da auf meinen Knien schaukle. Ich habe die seltsamste
Stockblindheit über mein eignes Blut, die einem eintägigen Hündlein Ehre


Moritz Lazarus Lel'enserinnenmgen

Lazarus der Ratgeber und Kritiker bei fast allen seinen dichterischen Arbeiten,
dem er seine Schöpfungen „sowohl in bezug auf die Komposition als auf den
Stil" im Manuskript zur Durchsicht schickte.

Weit umfangreicher und aktueller ist der Essay über Paul Heyse, da er
einen der beliebtesten noch lebenden Dichter betrifft. Lazarus, obwohl sechs
Jahre älter, war mit ihm durch eine bis in die Studentenzeit zurückreichende
tiefe und innige Freundschaft verbunden. Lazarus war der verwitweten Mutter
Heyses ein treuer Berater, dem schwachsinnigen Bruder Vormund, vor alle»:
aber für Paul Heyse selbst wohl der einflußreichste Kritiker und Förderer bei
seiner ganzen reichen dichterischen Produktion. Oft liest Lazarus die Korrektur¬
bogen der Novellen und Romane des Freundes, oft treffen sie zu mündlicher
Aussprache über solche Stoffe zusammen: „Einigemal war es das reizende
Grimma, das die beiden Freunde an schönen Sommertagen zusammen sah. Hier,
in den freundlichen Anlagen an der Mulde — wie zwei heimlich Liebende sich
treffend und begrüßend — wurden Heysesche Manuskripte, die Lazarus schon in
Leipzig durchgelesen und durchgedacht hatte, gemeinsam nun auch durchgesprochen
iso zum Beispiel »Die Kinder der Welt«)." Die Briefe Heyses, aus denen die
Herausgeber den reichen Stoff geschöpft haben, zeigen den Dichter von einer
neuen Seite, als einen Meister des Briefstils. Wie der große Meister des
antiken Briefs, Cicero, in seinen Frcundesbriefen, weiß er in einer wohltönenden,
fast musikalischen Sprache die tiefsten Saiten seines Herzens erklingen zu lassen,
in cmmntigstem Geplauder von Menschen und Dingen in buntem Wechsel zu
sprechen, die dunkelsten Probleme zu beleuchten, die schwersten Schicksale durch
Mitteilung zu erleichtern. Wir schauen durch diese Briefe, die doch wahrlich in
ihrer ungeschminkten Offenheit nicht für die Öffentlichkeit geschrieben waren, tief
hinein in Heyses innerstes Seelenleben, und wir freuen uns um so mehr, auf
dem Grunde dieser Seele soviel Anmut und reine Menschlichkeit zu sehen. Und
wie wertvoll ist es für uns, die ganze den Dichter umgebende Welt, vom Bau¬
führer, der ihm sein Wohnhaus in München baut, bis zum genialen Maler
Franz Lenbach in diesem reinen Spiegel Heller und klarer zu schauen! Ich kann
es mir nicht versagen, einige Proben von Heysescher Briefkunst hier einzufügen.
Zur Begleitung einiger neuen Geisteskinder, die Lazarus zur Begutachtung
vorgelegt werden, schreibt er: „Die sauften Worte aus Deiner Kehle, Geliebtester,
ermutigen mich zu dem heimtückischen Beginnen, Dich Wehrlosen abermals zu
überfallen. Beifolgende Geschichte hat so lange im Mutterschoß meiner Phantasie
gelegen, daß ich fürchtete, sie möchte am Ende als ein übertragnes Kind ans
Licht treten, und sie darum mit Zangen herausholte, obwohl mir nicht ganz
geheuer dabei war. Denn trotz der langen Zeit scheint mir dies und das noch
nicht ausgedacht, und da ich die Blätter endlich wieder durchlas, hatte ich eine
so unsichere Empfindung, daß ich gern hörte, ob es ein mißartetes, totgebornes
Geschöpf sei, was ich da auf meinen Knien schaukle. Ich habe die seltsamste
Stockblindheit über mein eignes Blut, die einem eintägigen Hündlein Ehre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/468>, abgerufen am 23.07.2024.