Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.das schon einmal gehört, diese eigentümlich abgebrochne Melodie, die in atemlos Hans Recklinghaus hat keine sanlfüllende, aber eine gutgeschulte sympathische Nein, kein Traum -- Erinnerungen steigen heraus, umfluten Marias Seele Die haftenden stAeo^ti binden sich zu einer sehnsüchtig lockenden Mvlodie -- wie Das erste Jahr ihrer Ehe; ein kleiner Streit, den sie beide gehabt, und Abends Die Blicke von Mann und Weib begegnen sich, haften sekundenlang ineinander Und die Zeit, die dann kam -- all die Tage und Wochen in Erwartung und Maria schloß die Angen, schwere heiße Tropfen fielen auf ihre gefalteten Hände. das schon einmal gehört, diese eigentümlich abgebrochne Melodie, die in atemlos Hans Recklinghaus hat keine sanlfüllende, aber eine gutgeschulte sympathische Nein, kein Traum — Erinnerungen steigen heraus, umfluten Marias Seele Die haftenden stAeo^ti binden sich zu einer sehnsüchtig lockenden Mvlodie — wie Das erste Jahr ihrer Ehe; ein kleiner Streit, den sie beide gehabt, und Abends Die Blicke von Mann und Weib begegnen sich, haften sekundenlang ineinander Und die Zeit, die dann kam — all die Tage und Wochen in Erwartung und Maria schloß die Angen, schwere heiße Tropfen fielen auf ihre gefalteten Hände. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300945"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1832" prev="#ID_1831"> das schon einmal gehört, diese eigentümlich abgebrochne Melodie, die in atemlos<lb/> vorwärts drängenden sea.eoirti, geheimnisvoll raunend, uralte Wundermär zu künden<lb/> scheint?</p><lb/> <p xml:id="ID_1833"> Hans Recklinghaus hat keine sanlfüllende, aber eine gutgeschulte sympathische<lb/> Stimme, deutlich versteht man Wort für Wort!</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1834"> Nein, kein Traum — Erinnerungen steigen heraus, umfluten Marias Seele<lb/> zugleich mit diesen Zauberklängen.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1835"> Die haftenden stAeo^ti binden sich zu einer sehnsüchtig lockenden Mvlodie — wie<lb/> in einer Vision schaut Maria zurück in die Vergangenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1836"> Das erste Jahr ihrer Ehe; ein kleiner Streit, den sie beide gehabt, und Abends<lb/> das Konzert, wo eine fremde junge Sängerin das Lied, dieses Lied gesungen.<lb/> Der Saal in dem posenschen Städtchen brechend voll — sie bekam kein Programm<lb/> mehr, es schadete auch nichts. Sie hört und achtet kaum auf die Worte, nnr die<lb/> Melodie, die wundersüße, geheimnisvolle, wirbt um ihr trotziges junges Herz, stiehlt<lb/> sich hinein, löscht alles ans, was kalt und fremd darin ist, und zündet die zitternde<lb/> Flammen heißen Liebessehnens an.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_9" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1837"> Die Blicke von Mann und Weib begegnen sich, haften sekundenlang ineinander<lb/> in lautloser Frage und Antwort — eine Hand gleitet heimlich herüber und umfaßt<lb/> die andre in stummem, heißem Druck — und dann ein Lächeln der Versöhnung. —<lb/> Den ganzen Heimweg entlang klingt und singt das Lied in ihrem Herzen wieder.<lb/> Es macht sie toll vor Lieb' und Sehnen — ein heißer Lebensdnrst überkommt sie,<lb/> leidenschaftliches Verlangen--Maria schloß die Angen, ein Zittern rann durch<lb/> ihren Leib — Gott, wenn sie sich der Nacht erinnerte, der „mailichten" Frühlings¬<lb/> nacht, wo im blassen Dämmern die Amsel so überlaut lockte und rief, wo fern im<lb/> Park die Nachtigall ihr schluchzendes Liebeswerben saug. Und sie selber — sie<lb/> beide junge, junge glückselige Menschen —</p><lb/> <p xml:id="ID_1838"> Und die Zeit, die dann kam — all die Tage und Wochen in Erwartung und<lb/> Sehnen, bevor ihr erstes Kind geboren wurde — verließ das Lied sie nicht mehr.<lb/> Tausendmal, wenn sie in stillen Stunden mit ihrem werdenden jungen Mutterglück<lb/> allein war, sang und summte sie die holde Melodie ohne Worte vor sich hin —<lb/> guter Gott, wie war sie damals glücklich, so traumhaft, friedvoll, überirdisch glücklich<lb/> gewesen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1839"> Maria schloß die Angen, schwere heiße Tropfen fielen auf ihre gefalteten Hände.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_10" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
das schon einmal gehört, diese eigentümlich abgebrochne Melodie, die in atemlos
vorwärts drängenden sea.eoirti, geheimnisvoll raunend, uralte Wundermär zu künden
scheint?
Hans Recklinghaus hat keine sanlfüllende, aber eine gutgeschulte sympathische
Stimme, deutlich versteht man Wort für Wort!
Nein, kein Traum — Erinnerungen steigen heraus, umfluten Marias Seele
zugleich mit diesen Zauberklängen.
Die haftenden stAeo^ti binden sich zu einer sehnsüchtig lockenden Mvlodie — wie
in einer Vision schaut Maria zurück in die Vergangenheit.
Das erste Jahr ihrer Ehe; ein kleiner Streit, den sie beide gehabt, und Abends
das Konzert, wo eine fremde junge Sängerin das Lied, dieses Lied gesungen.
Der Saal in dem posenschen Städtchen brechend voll — sie bekam kein Programm
mehr, es schadete auch nichts. Sie hört und achtet kaum auf die Worte, nnr die
Melodie, die wundersüße, geheimnisvolle, wirbt um ihr trotziges junges Herz, stiehlt
sich hinein, löscht alles ans, was kalt und fremd darin ist, und zündet die zitternde
Flammen heißen Liebessehnens an.
Die Blicke von Mann und Weib begegnen sich, haften sekundenlang ineinander
in lautloser Frage und Antwort — eine Hand gleitet heimlich herüber und umfaßt
die andre in stummem, heißem Druck — und dann ein Lächeln der Versöhnung. —
Den ganzen Heimweg entlang klingt und singt das Lied in ihrem Herzen wieder.
Es macht sie toll vor Lieb' und Sehnen — ein heißer Lebensdnrst überkommt sie,
leidenschaftliches Verlangen--Maria schloß die Angen, ein Zittern rann durch
ihren Leib — Gott, wenn sie sich der Nacht erinnerte, der „mailichten" Frühlings¬
nacht, wo im blassen Dämmern die Amsel so überlaut lockte und rief, wo fern im
Park die Nachtigall ihr schluchzendes Liebeswerben saug. Und sie selber — sie
beide junge, junge glückselige Menschen —
Und die Zeit, die dann kam — all die Tage und Wochen in Erwartung und
Sehnen, bevor ihr erstes Kind geboren wurde — verließ das Lied sie nicht mehr.
Tausendmal, wenn sie in stillen Stunden mit ihrem werdenden jungen Mutterglück
allein war, sang und summte sie die holde Melodie ohne Worte vor sich hin —
guter Gott, wie war sie damals glücklich, so traumhaft, friedvoll, überirdisch glücklich
gewesen!
Maria schloß die Angen, schwere heiße Tropfen fielen auf ihre gefalteten Hände.
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