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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

Ist es nicht merkwürdig, daß auch das eben neu erschienene Werk von
Ricarda Huch mit dem Papst und der katholischen Kirche beginnt? Es heißt
"Die Verteidigung Roms" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt)
und beginnt mit der Thronbesteigung des Papstes Pius des Neunten, in jener
Zeit, wo sogar ein deutscher Protestant wie der Dichter Bernhard von Lepel,
Fontanes Freund, in den allgemeinen Jubel der Begrüßung des neuen Herrn
einstimmte:


Bau am Werke, das dieses zerrissne Geschlecht selbst kaum begreift,
Des Name kaum darf leise verraten das Lied, -- du
Aber kennsts, wofern du im heiligen Geist Nachfolger des göttlichen Sohns bist,
Kennst es -- wofern es vergönnt wird diesem Stern,
Der in unendlicher Ferne des Lichts kreist, daß er einst
Sein Geschlecht Gott nahe trägt.

Aber nicht Pius ist des Buches Held, sondern im Mittelpunkt soll Gari-
baldi stehn, und "der Geschichten von Garibaldi ersten Teil" soll der Band
umschließen. Faßt Ricard" Huch ihren Vorwurf so, so entkräftet sie von vorn¬
herein ein Bedenken, das der ebenfalls gewählte Untertitel "Roman" in dem
Leser aufsteigen läßt. Denn wer ein solches Wort wählt, sagt damit, daß er
einigermaßen bestimmte ästhetische Grenzen einhalten will. Und so wenig wie
eine Reihenfolge von Handlungen und Stimmungen innerhalb einiger Akte
allein ein Drama ist, geben die hier erzählten Dinge einen Roman. Als Ge¬
schichten von Garibaldi sind sie aber wunderschön. Man vergißt schnell die
anfängliche Enttäuschung, wenn der eine oder der andre, mit dem sich die
Dichterin näher beschäftigt, später im Allgemeinen wieder untergeht. Wundervoll
ist es, wie Garibaldi eingeführt wird. Der Priester Ugo Bassi hat in einem
Traum eine edle Frau, das leidende Italien, gesehen. Sie ruft: Wer errettet
mich? Und als sie zum dritten male gerufen hat, antwortet eine Stimme: Ich!
"Es war eine Stimme, die den wüsten Raum mit Glanz und Klang füllte,
eine solche, wie die Gottes gewesen sein mußte, als er sprach: Es werde Licht!
und es Licht ward." Bassi hat geglaubt, es würde die Stimme des neuen
Papstes sein, und ist enttäuscht, als er diesen zum ersten male reden hört. Und
mit Entzücken erkennt er in Garibaldis Stimme die seines Traumes. Traum¬
schwere Bilder reihen sich in diesem Buch aneinander. "Hinter den Mauern
eines weißen Hauses auf der Höhe von Velletri war ein alter Garten, den
seit langem niemand mehr pflegte, sodaß der ungehemmte Wuchs verwildernder
Bäume dunkel über die einsamen Wege schwoll: dort wartete der Tod. Er
kam mit der Nacht, zog, wie ein Raubvogel suchend, große Kreise über den
Garten und senkte sich langsam aus einen Orangenbaum, der neben vielen
andern, die blühten, oberhalb einer breiten steinernen Treppe stand. Zwischen
den Zweigen sitzend, warf er ein mondfarbigcs Netz aus, das sich wie Spinn¬
gewebe über die Stufen der Treppe, eine flache, steinerne Bank, die, vom Fuße
derselben nach beiden Seiten ausgehend, einen runden Platz umgab, und über


Neue Romane und Novellen

Ist es nicht merkwürdig, daß auch das eben neu erschienene Werk von
Ricarda Huch mit dem Papst und der katholischen Kirche beginnt? Es heißt
„Die Verteidigung Roms" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt)
und beginnt mit der Thronbesteigung des Papstes Pius des Neunten, in jener
Zeit, wo sogar ein deutscher Protestant wie der Dichter Bernhard von Lepel,
Fontanes Freund, in den allgemeinen Jubel der Begrüßung des neuen Herrn
einstimmte:


Bau am Werke, das dieses zerrissne Geschlecht selbst kaum begreift,
Des Name kaum darf leise verraten das Lied, — du
Aber kennsts, wofern du im heiligen Geist Nachfolger des göttlichen Sohns bist,
Kennst es — wofern es vergönnt wird diesem Stern,
Der in unendlicher Ferne des Lichts kreist, daß er einst
Sein Geschlecht Gott nahe trägt.

Aber nicht Pius ist des Buches Held, sondern im Mittelpunkt soll Gari-
baldi stehn, und „der Geschichten von Garibaldi ersten Teil" soll der Band
umschließen. Faßt Ricard« Huch ihren Vorwurf so, so entkräftet sie von vorn¬
herein ein Bedenken, das der ebenfalls gewählte Untertitel „Roman" in dem
Leser aufsteigen läßt. Denn wer ein solches Wort wählt, sagt damit, daß er
einigermaßen bestimmte ästhetische Grenzen einhalten will. Und so wenig wie
eine Reihenfolge von Handlungen und Stimmungen innerhalb einiger Akte
allein ein Drama ist, geben die hier erzählten Dinge einen Roman. Als Ge¬
schichten von Garibaldi sind sie aber wunderschön. Man vergißt schnell die
anfängliche Enttäuschung, wenn der eine oder der andre, mit dem sich die
Dichterin näher beschäftigt, später im Allgemeinen wieder untergeht. Wundervoll
ist es, wie Garibaldi eingeführt wird. Der Priester Ugo Bassi hat in einem
Traum eine edle Frau, das leidende Italien, gesehen. Sie ruft: Wer errettet
mich? Und als sie zum dritten male gerufen hat, antwortet eine Stimme: Ich!
„Es war eine Stimme, die den wüsten Raum mit Glanz und Klang füllte,
eine solche, wie die Gottes gewesen sein mußte, als er sprach: Es werde Licht!
und es Licht ward." Bassi hat geglaubt, es würde die Stimme des neuen
Papstes sein, und ist enttäuscht, als er diesen zum ersten male reden hört. Und
mit Entzücken erkennt er in Garibaldis Stimme die seines Traumes. Traum¬
schwere Bilder reihen sich in diesem Buch aneinander. „Hinter den Mauern
eines weißen Hauses auf der Höhe von Velletri war ein alter Garten, den
seit langem niemand mehr pflegte, sodaß der ungehemmte Wuchs verwildernder
Bäume dunkel über die einsamen Wege schwoll: dort wartete der Tod. Er
kam mit der Nacht, zog, wie ein Raubvogel suchend, große Kreise über den
Garten und senkte sich langsam aus einen Orangenbaum, der neben vielen
andern, die blühten, oberhalb einer breiten steinernen Treppe stand. Zwischen
den Zweigen sitzend, warf er ein mondfarbigcs Netz aus, das sich wie Spinn¬
gewebe über die Stufen der Treppe, eine flache, steinerne Bank, die, vom Fuße
derselben nach beiden Seiten ausgehend, einen runden Platz umgab, und über


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[0420] Neue Romane und Novellen Ist es nicht merkwürdig, daß auch das eben neu erschienene Werk von Ricarda Huch mit dem Papst und der katholischen Kirche beginnt? Es heißt „Die Verteidigung Roms" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) und beginnt mit der Thronbesteigung des Papstes Pius des Neunten, in jener Zeit, wo sogar ein deutscher Protestant wie der Dichter Bernhard von Lepel, Fontanes Freund, in den allgemeinen Jubel der Begrüßung des neuen Herrn einstimmte: Bau am Werke, das dieses zerrissne Geschlecht selbst kaum begreift, Des Name kaum darf leise verraten das Lied, — du Aber kennsts, wofern du im heiligen Geist Nachfolger des göttlichen Sohns bist, Kennst es — wofern es vergönnt wird diesem Stern, Der in unendlicher Ferne des Lichts kreist, daß er einst Sein Geschlecht Gott nahe trägt. Aber nicht Pius ist des Buches Held, sondern im Mittelpunkt soll Gari- baldi stehn, und „der Geschichten von Garibaldi ersten Teil" soll der Band umschließen. Faßt Ricard« Huch ihren Vorwurf so, so entkräftet sie von vorn¬ herein ein Bedenken, das der ebenfalls gewählte Untertitel „Roman" in dem Leser aufsteigen läßt. Denn wer ein solches Wort wählt, sagt damit, daß er einigermaßen bestimmte ästhetische Grenzen einhalten will. Und so wenig wie eine Reihenfolge von Handlungen und Stimmungen innerhalb einiger Akte allein ein Drama ist, geben die hier erzählten Dinge einen Roman. Als Ge¬ schichten von Garibaldi sind sie aber wunderschön. Man vergißt schnell die anfängliche Enttäuschung, wenn der eine oder der andre, mit dem sich die Dichterin näher beschäftigt, später im Allgemeinen wieder untergeht. Wundervoll ist es, wie Garibaldi eingeführt wird. Der Priester Ugo Bassi hat in einem Traum eine edle Frau, das leidende Italien, gesehen. Sie ruft: Wer errettet mich? Und als sie zum dritten male gerufen hat, antwortet eine Stimme: Ich! „Es war eine Stimme, die den wüsten Raum mit Glanz und Klang füllte, eine solche, wie die Gottes gewesen sein mußte, als er sprach: Es werde Licht! und es Licht ward." Bassi hat geglaubt, es würde die Stimme des neuen Papstes sein, und ist enttäuscht, als er diesen zum ersten male reden hört. Und mit Entzücken erkennt er in Garibaldis Stimme die seines Traumes. Traum¬ schwere Bilder reihen sich in diesem Buch aneinander. „Hinter den Mauern eines weißen Hauses auf der Höhe von Velletri war ein alter Garten, den seit langem niemand mehr pflegte, sodaß der ungehemmte Wuchs verwildernder Bäume dunkel über die einsamen Wege schwoll: dort wartete der Tod. Er kam mit der Nacht, zog, wie ein Raubvogel suchend, große Kreise über den Garten und senkte sich langsam aus einen Orangenbaum, der neben vielen andern, die blühten, oberhalb einer breiten steinernen Treppe stand. Zwischen den Zweigen sitzend, warf er ein mondfarbigcs Netz aus, das sich wie Spinn¬ gewebe über die Stufen der Treppe, eine flache, steinerne Bank, die, vom Fuße derselben nach beiden Seiten ausgehend, einen runden Platz umgab, und über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/420>, abgerufen am 23.07.2024.